Der norwegische Autor Erik Fosnes Hansen erzählt in der fiktiven Biografie "Das Löwenmädchen" davon, wie 1912 in der skandinavischen Provinz ein Kind geboren wird, das am ganzen Körper mit dichtem, goldblondem Haar bewachsen ist. Die Mutter stirbt bei der Geburt. Der Vater versteckt das Mädchen anfangs. Doch der selbstbewusste "Freak" wächst heran und sucht seinen Weg nach draußen, mitten ins Leben hinein. Kann das gutgehen?
Auch wenn die Geschichte des hochbegabten Löwenmädchens ausgedacht ist, den beschriebenen Gendefekt gibt es tatsächlich. Einige Dutzend Fälle wurden seit dem Mittelalter dokumentiert. Im weitgehend gut bis euphorisch besprochenen Roman des Norwegers Hansen, erschienen 2006, geht es natürlich nicht nur um den tragikomischen Effekt eines Mädchens mit Fell im Gesicht. Es dürfte kein Zufall sein, dass der Autor seine Geschichte in einer Zeit ansiedelte, da einem das Fremde, Andersartige weniger oft begegnete als heute und die Menschen seltsame Auswüchse des Körpers auf Jahrmärkten gegen Entgelt begutachteten.
Um das Leben in einer solchen Freak-Shows geht es auch in der Mitte des Films, als Hauptfigur Eva sich der tingelnden Kompanie Johannes Joachims (Burghart Klaußner) anschließt, der neben anderen seltsamen Menschen auch einen lederhäutigen Echsenmann (Ken Duken) im Programm aufbietet. Die Irritation der klugen Eva hält allerdings nicht lange an. Zuvor sah man sie als selbstbewusste Siebenjährige (Aurora Lindseth Løkka), die sich bei Disputen mit dem Vater nicht länger in einen dunklen Verschlag einschließen lassen will. Die auch jene Markierungslinie, die der strenge Erzeuger und Bahnhofsvorsteher einen Schritt hinter den Fenstern nach draußen zog, immer wieder überschreitet. Eva will gesehen werden. Sie möchte in die Schule und mit anderen Kindern spielen.
Erste Auftritte in der Öffentlichkeit funktionieren recht gut. Fast könnte man meinen, die norwegisch-ländliche Gesellschaft um das Jahr 1920 herum war in etwa so tolerant wie eine großstädtische Hipster-Community in – sagen wir – Deutschland. Trotzdem gilt es auch Rückschläge zu verarbeiten, denn an Evas Außenseitertum besteht kein Zweifel. Ein kurzer Blick in den Spiegel oder einen klaren norwegischen See genügt. Liebesenttäuschungen des Löwenmädchens, Mathilde Thomine Storm spielt die 14-Jährige, Ida Ursin-Holm die junge Erwachsene, bleiben nicht aus. Dennoch könnte man Vibeke Idsøes ("Karlsson vom Dach", 2002) Film fast schon als positives Erbauungskino bezeichnen. Das selbstbewusste Löwenmädchen kommt abseits periodisch-dramaturgisch auftretender Krisen ganz gut durchs Leben. Wo das Ganze hinführt, wird natürlich nicht verraten.
"Wenn man jung ist, denkt man, dass Schönheit das Leben selbst ist. Aber was ist Schönheit?" Eine nach gängigen Idealen perfekt aussehende, aber nicht mehr ganz junge Frau (Connie Nielsen) spricht diesen Satz in der Mitte des Films zum fast erwachsenen Löwenmädchen. Es ist einer der wenigen Momente, in denen die Regisseurin und Drehbuchautorin versucht, eine zweite Ebene über der klassisch erzählten Coming-of-Age-Geschichte einzuziehen. Der in schöne, aber auch ein bisschen erwartbare Bilder gegossene Film bleibt bisweilen zu sehr an der Oberfläche haften.
Mit Conor O'Sullivan ("The Hours", "The Dark Knight", "X-Men", "Game of Thrones") konnte immerhin einer der Top-Maskenbildner Hollywoods gewonnen werden, auch wenn Special Effects in diesem sehr klassischen Filmdrama kaum eine Rolle spielen. Die Tatsache, dass Evas Leben als Chance und nicht nur dramatisch triefende Bürde gesehen werden kann, fügt bereits bekannten Außenseiterfilmen immerhin neue Gedanken hinzu. So ist "Das Löwenmädchen" ein guter Anlass, mal wieder über Ausgrenzung und das Fremde in der eigenen Umgebung nachzudenken. Auch darüber, wie man sich selbst fühlen würde – mit Fell im Gesicht.
Quelle: teleschau – der Mediendienst