Die Macher des neuen Bond-Films "Keine Zeit zu sterben" brechen Tabus. Das Ende der Daniel-Craig-Ära wird die Fans entzweien.
"James Bond will return", steht am Ende in riesigen Lettern auf der Leinwand, und das ist dann doch eine tröstliche Botschaft. Spoilern verbietet sich, was bei diesem Bond-Film mehr als bei allen Vorgängern gilt. Sicher ist: Daniel Craig hat sich aus der erfolgreichen Kinoreihe verabschiedet. Die Nachfolge ist offen. Nicht nur personell. Auch inhaltlich lässt sich am Ende von "Keine Zeit zu sterben" im Brechtschen Sinne feststellen: "Und so sehen wir betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen."
Es ist das neunte Mal, dass sich ein Bond-Titel beim großen Themenfeld "Leben", "Sterben" und "Tod" bedient. "Keine Zeit zu sterben" klingt nach großer 007-Tradition, die der neue 25. Film der Reihe denn auch an einigen Stellen erfüllt. Anders als in den Zeiten früherer Bond-Darsteller sehen die Produzenten Michael G. Wilson und Barbara Broccoli den britischen Agenten jedoch inzwischen als Teil einer seriellen Idee. Bedeutet: Die fünf Craig-Filme sollen als Einheit verstanden werden. Eine abgeschlossene Geschichte mitten im 007-Universum, das es immerhin seit 1961 gibt.
Lange Zeit wurde es als eiserne Regel begriffen, dass jedes Abenteuer weitgehend eigenständig gesehen werden kann. Das ist nun nicht mehr so. In der Folge stellen sich am Ende von "Keine Zeit zu sterben" viele Fragen. Man muss kein Prophet sein, was das in Zeiten von Social Media bedeutet: Wochen-, monate-, ja vielleicht jahrelange Spekulationen über die Zukunft von 007 im Netz und damit kostenlose PR. Das kann man verstehen. Das darf man aber auch kritisieren.
Die Craig-Story war mit dem letzten Film, "Spectre" (2015), eigentlich abgeschlossen. Jedoch ließ sich der Hauptdarsteller entgegen zunächst anderslautender Bekundungen auch dank finanziell bemerkenswerter Zugeständnisse zu einem weiteren Auftritt als Bond überreden. Es bedurfte folglich eines inhaltlichen Kunstgriffes, um das neue Bond-Universum zu einem großen, furiosen Finale zu bringen.
"Keine Zeit zu sterben" beginnt für einen Bond-Film gleich in mehrerlei Hinsicht ungewöhnlich. Am Anfang steht eine Rückblende in die Kindheit von Dr. Madeleine Swann. Jener Frau, die Bond zuletzt mächtig den Kopf verdrehte und mit der er am Ende von "Spectre" in eine unbestimmte Zukunft fuhr. Teil zwei des Intros schließt eben dort an.
In einer bemerkenswert melancholischen Szene steht Bond am Grab von Vesper Lynd. In "Casino Royale" bedeutete sie ihm viel, doch sie kam ums Leben. Dann die Explosion. Eine Falle also, an die sich eine wilde, aber ganz sicher keine epochale Verfolgungsjagd durch das alte, ungemein fotogene italienische Städtchen Matera anschließt. Die Totenparade in Mexiko-Stadt, bei der – von der Menge weitgehend unbemerkt – in "Spectre" ganze Häuserzeilen einstürzten, war ein um eine Vielfaches gewaltigeres Intro. Ein Trend, der sich fortsetzt. "Keine Zeit zu sterben" ist natürlich reich an Actionsequenzen. Doch die meisten sind eher unspektakulärer als das, was man bisher geboten bekam.
Dann der Zeitsprung, fünf Jahre sind vergangen. – Da sitzt Bond nun also, in seinem Haus auf Jamaika. Alleine. Er ist sich nicht sicher, ob Madeleine ihn damals nicht doch verraten und ihren gemeinsamen Zielort preisgegeben hat. Vertrauen fassen zu einem Menschen, das scheint für den schwer geprüften Agenten nun nicht mehr möglich zu sein. Jamaika ist ohne Frage der perfekte Ort. Zum einen begann dort alles, als Honey Ryder (Ursula Andress) vor 59 Jahren dem Wasser äußerst anmutig entstieg. Zum anderen erschuf Bond-Schöpfer Ian Fleming hier in seinem Haus eben jenen populärsten Spion der Kinogeschichte. Jamaika, so will es der Film zeigen, ist eine Art spirituelle Heimat von James Bond. Ein Alterssitz für desillusionierte, einsame Geheimagenten.
Nach dem Ende von "Spectre", in dem Blofeld gefasst und 007 sich zusammen mit seiner neuen Liebe Madeleine Swann (Léa Seydoux) aus dem Staub in eine neue Zukunft fern des MI6 gemacht hatte, ist er nun alleine dort angekommen. Und er angelt. Glücklich macht ihn das natürlich nicht. Wie schon im Vorgängerfilm, als Madeleine Swann versuchte, den wahren Antrieb, das innere Wesen Bonds zu ergründen, schwingt das Thema der charakterlichen Bestandsaufnahme Bonds auch diesmal immer wieder mit. Bond, im Grunde ein Killer, weiß, dass er nicht lieben darf. Weiß, dass er keine Freunde haben darf. Weil eben das ihn erpressbar macht, ihn einschränkt bei der Jagd nach den größten Schurken der Erde. Streng genommen zweimal schon hat er eine große Liebe verloren. Aber womöglich ist es ja gar nicht sein Beruf, der ihn daran hindert, sich noch einmal einer Frau hinzugeben. Vielleicht ist er einfach nicht für die Liebe gemacht.
Den alten 007 gibt es also nicht mehr. Vorzeitige Pensionierung. Sogar eine offizielle Nachfolgerin ist schon da: Nomi (Lashana Lynch) ist die neue 007. Und alles könnte gut sein, tauchte da nicht der CIA-Mann Felix Leiter auf, um Bond um Hilfe zu bitten. Jeffrey Wright verkörpert die Rolle zum dritten Mal. Insgesamt ist es der elfte Auftritt dieses Mannes, der mehr als ein Verbündeter, aber weniger als ein Freund Bonds ist. Ein bedeutender Wissenschaftler sei entführt worden und muss so schnell wie möglich gefunden werden, meint Leiter, und Bond nimmt den Auftrag an. Was nach einer einfachen Mission klingt, führt den Ex-Agenten mitten hinein in ein temporeiches, durchaus etwas verzwickt erzähltes Abenteuer.
Nicht ohne Charme ist vor allem die Konfrontation Bonds mit seinem alten Umfeld. In den Jahren seiner Abwesenheit hat sich einiges verändert beim MI6. Immerhin: M (Ralph Fiennes) ist weiterhin in der Verantwortung, hat dabei aber ganz offensichtlich verheerende Fehler gemacht. Auch Moneypenny (Naomie Harris) und Q (Ben Whishaw) sind noch in Amt und Würden als Ms rechte Hand und Quartiermeister. Im Zweifel, so wird wieder einmal deutlich, sind sie Bond jedoch näher als ihren Vorgesetzten.
Und schließlich führt ihn der Weg eben auch wieder zu jener Madeleine Swann, der als erster Frau die Ehre zuteilwird, zweimal hintereinander den begehrtesten Junggesellen der Kinowelt zu betören. In "Spectre" stand Bonds Privatleben im Mittelpunkt. Der Schachzug, ihn in eine Art verwandtschaftliches Verhältnis zu seinem Erzfeind Blofeld (Christoph Waltz) zu stellen, traf nicht auf jedermanns Zustimmung. Nun ist es zunächst die Geschichte Madeleine Swanns, die hier den Fortgang der Entwicklungen entscheidend prägt.
Denn: Es existiert eine Verbindung zu dem Schurken des neuen Films, Safin (Rami Malek), die in der Eröffnungssequenz erklärt wird. Jener Safin hat eine der gefährlichsten Waffen der Welt in seine Hände bekommen. Der MI6 und die CIA setzen alles daran, ihn zu stoppen. Ohne Bond, da sind sich schnell alle einig, wird das nicht gehen. Hilfe könnte gar vom ewigen Widersacher Blofeld kommen, der seit fünf Jahren in London einsitzt. Die Begegnung der alten Kontrahenten Bond und Blofeld gehört sicher zu den dramaturgischen Höhepunkten des Films, wenngleich dem größten Bösewicht des Bond-Universums diesmal in Gänze gesehen nur eine Nebenrolle zukommt. Überhaupt bleibt den Schurken im Film überraschend wenig Raum. Safin sieht gruselig aus, sinnt auf Rache, spielt aus irgendeinem Grund wie wild mit einem neuartigen Kampfstoff und bleibt ansonsten weit hinter dem Charisma seiner Vorgänger zurück.
Seine Akzente setzt der 25. Bond nicht im Duell Gut gegen Böse. Das Drehbuch, an dem diesmal gleich eine ganze Reihe von Autorinnen und Autoren (Neal Purvis, Robert Wade,Scott Z. Burns, Phoebe Waller-Bridge) mitarbeiteten, betont stattdessen vor allem den privaten Bond. Hier wurden schon in den letzten vier Filmen eine ganze Reihe von Tabus gebrochen. Bond bekam eine Kindheit, eine neue Liebe, gar eine Art Stiefbruder und immer wieder Gefühle. Diesmal jedoch treiben es die Macher noch um eine Vielfaches weiter. Mit Kind und Kegel rast der Eremit von einst schließlich durch die Landschaft, gejagt von mehrheitlich gesichtslosen Häschern bis hin zum finalen Showdown auf Safins Insel, wo Bond irgendwann wimmernd vor seinem Gegenspieler hockt.
Dieser Bond-Film wird polarisieren wie kein Film vor ihm. Wird schockieren wie kein Film vor ihm. Wird manche Fans faszinieren ob seiner Charakterzeichnung, die mal mitreißend, mal aber auch schwülstig gerät. Die Dialoge erinnern stellenweise eher an die royale Serie "The Crown" denn an Actionkino. Emotionaler war 007 nie. Nie war mehr Angst in seinem Gesicht. Nie mehr Liebe in seinen Worten. Nie mehr Ausweglosigkeit in seinen Taten. Flüchtige Affären hat er, wir schreiben das Jahr 2021, sowieso nicht mehr. Letzten Endes, darauf werden sich die Anhänger einigen, ist diese Verwandlung der Hauptfigur, dieses Brechen von Tabus eine Frage des persönlichen Geschmacks. Es wird Traditionalisten geben, die das hier verteufeln. Und sie haben jedes Recht dazu. Mit Connery und Moore hat das alles hier rein gar nichts mehr zu tun.
Es wird also eine neue Ära anbrechen. Die Nachfolge ist nicht geregelt. Aber: "James Bond will return." Die Idee, wieder einfach bei Null zu beginnen, ist verbraucht. Charaktere, die über Jahrzehnte hinweg die Reihe mit prägten, wurden diesmal in großer Beiläufigkeit geopfert. Die Wiedergeburt von James Bond dürfte die größte Herausforderung sein, vor der die Verantwortlichen in sechs Jahrzehnten standen. Bleiben wird womöglich nur der Martini. Der hat es auch in diesen Film geschafft. Immerhin ...
Keine Zeit zu sterben, im Kino ab: 30.09.2021
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH