Die bekannte Geschichte über Jugendliche, die langsam ihre wahren Kräfte entdecken, erzählt Regisseur Josh Boone als actionlastigen Horrorfilm im Superhelden-Look: Das lange Warten auf den "X-Men"-Ableger "The New Mutants" hat doch gelohnt.
Die ersten Minuten geben richtig Vollgas, das ist schon einmal erfrischend, wo doch so viele Filme ewig lange für die Exposition brauchen. Doch nicht so "The New Mutants": Es donnert und kracht aus allen Boxen, Explosionen allerorten, Menschen schreien sich hektisch an, laufen um ihr Leben, Körper fallen mit großem Lärm auf den Boden, und dann versteckt ein Vater seine Tochter in einem Baumloch, sagt ihr, sie solle sich nicht rühren, und verschwindet an den Ort der Katastrophe. Denn um eine solche handelt sich ganz offensichtlich, mehr aber erfährt der Zuschauer sehr lange nicht. Was aber klar wird: Ein Kinderfilm wird das hier nicht. Die Action-Szenen sind schnell geschnitten, die Bilder der Katastrophe üben einen immensen Druck auf den Zuschauer aus, und die Tonspur erst recht.
Nur schade, dass damit erst einmal die Luft raus ist aus dem Film. Regisseur Josh Boone, zuvor mit zwei romantischen Komödien nicht gerade übermäßig aufgefallen, vertraut seinem hohen Anfangstempo nicht – entweder, weil er seinen jungen Zuschauern nicht zu viel auf einmal zumuten will ("The New Mutants" ist ab 16 freigegeben und wendet sich aufgrund des Genres und der jungen Hauptdarsteller eindeutig an Teenager) oder, was viel schlimmer wäre: Er hat Angst, dass die Geschichte nicht reicht für 90 Minuten.
Tatsächlich scheint es letzteres gewesen zu sein, denn nach dem rasanten Beginn fällt der Film erzählerisch in ein Loch. Fünf Jugendliche finden sich an einem unbekannten Ort wieder, ohne zu wissen, wie sie dahin gekommen sind oder was sie dort zu suchen haben. Darunter auch Danni (Blu Hunt) vom Beginn des Films. Besonders einladend sieht ihr neues Zuhause auch nicht aus. Alles Grau in Grau, und ihre Zimmer ähneln eher Zellen. Präsentiert wird jetzt die vorgebliche Ärztin Dr. Reyes (Alice Braga), und in umständlichen Vorstellungsrunden wird dem Zuschauer in den folgenden 40 Minuten immer mehr über den Hintergrund der Fünf mitgeteilt. Und das ist wörtlich zu nehmen, denn obwohl "The New Mutants" sehr deutlich ein actionlastiger Horrorfilm sein will, wird jetzt viel zu viel in kargen Zimmer geredet.
Was sich dabei herausstellt: Die Jugendlichen haben Superkräfte, die sie (noch) nicht genau kennen und erst recht nicht kontrollieren können. Alle sind in dem trüben Gemäuer bei Dr. Reyes gelandet, weil sie Menschen, willentlich oder unwillentlich, getötet haben. Die Psychiaterin gibt vor, ihnen helfen zu wollen, besser mit ihren übermenschlichen Kräften zurecht zu kommen. Doch die Wahrheit ist eine andere.
So weit, so vertraut. Sinistre Schurken sind in Superheldenfilmen schließlich immer am Werk. Da entfernt sich auch "The New Mutants" nicht weit von der Tradition. Was Boones Teenage-Angst-Kracher allerdings deutlich von den "Avengers" oder auch den "X-Men" abhebt (das Drehbuch basiert auf den "New Mutants"-Comics, die wiederum ein Spin-off der "X-Men"-Serie sind), das sind die deutlich gewalttätigeren Action-Szenen, die sich bis zum orgiastischen Finale immer mehr in reinsten Horror steigern. Die schnellen Schnitte und zahlreichen Kameraperspektiven vom Anfang des Films nimmt Boone gegen Ende dankenswerterweise wieder auf, und auch technisch bewegt sich "The New Mutants" auf höchstem Niveau. Die Computereffekte sind erstklassig, da gibt es keine Blicke ins Leere mehr, kein Hauen ins Nichts, die Action ist flüssig und glaubhaft gefilmt.
Müsste "The New Mutants" nur nicht so schwer an seiner Vorgeschichte tragen (der Film entstand bereits 2017 und musste zahlreiche Verschiebungen seines Kinostarts hinnehmen) – Fox respektive der neue Eigner Disney könnte sich auf einen großen Hit freuen. Die Qualität dafür hat er jetzt, wann auch immer die entstanden ist, dank Reshoots oder neu gedrehten Szenen, letztlich ist das gleichgültig. "The New Mutants" ist beileibe keine gut abgehangene B-Ware, sondern eine ziemlich coole Angelegenheit mit einigen Schwächen im Mittelteil, aber sympathischen Jungschauspielern (darunter Anya Taylor-Joy und "Game of Thrones"-Star Maisie Williams) und überzeugenden, stellenweise überraschend heftigen Action-Szenen.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH