Über die Vergangenheit will Nico 1988 nicht mehr reden. Und sie will auch nicht mehr mit ihrem Künstlernamen angesprochen werden. Mehr als 20 Jahre ist es her, dass die Deutsche Christa Päffgen mit The Velvet Underground Musikgeschichte geschrieben hat. Damals war sie Supermodel, Muse in Andy Warhols Factory, kurzzeitig die Geliebte von Lou Reed. Doch die Vergangenheit verfolgt sie: Die Welt will sie nur als Nico kennen. Die italienische Filmemacherin Susanna Nicchiarelli befreit sie im faszinierenden Roadmovie "Nico, 1988" von diesem Zwang.
Das Gesicht verbraucht, die Augen müde, die Venen zerstochen: Die dänische Schauspielerin Trine Dyrholm spielt Christa Päffgen mit einer Intensität, dass man Depressionen kriegen könnte. Ungeschönt und ohne Sentimentalitäten lässt Dyrholm, die auch alle Songs selbst singt, Ecken und Kanten zu. Die einstige Nico wird von ihr nicht glorifiziert.
Dass Nico einst eine der schönsten Frauen der Welt war, ist 1986 nicht einmal mehr zu ahnen. Christa Päffgen lebt in Manchester in einem tristen Jetzt. Eine sperrige Frau, der Welt abgewandt, aber von ihr vergöttert für das Album "The Velvet Underground & Nico", das 1967 von Andy Warhol produziert wurde und bis heute als Meilenstein der Musikgeschichte gilt.
Ein letzter Trip der Hoffnung
Mit Vergötterung aber kann Christa Päffgen nichts anfangen. Sie hat in der Zwischenzeit ein Dutzend Solo-Alben gemacht, für die sich die Presse nicht interessiert. Der Ruhm ist nur eine Erinnerung, aber das stört die Frau nicht. Sie sei ohnehin nicht glücklich gewesen, als sie schön war. Die Vergangenheit aber ist Teil ihres Lebens, auf dessen letzte drei Jahre sich "Nico, 1988" beschränkt. Was einst war, kommt nur noch in Flashbacks vor, die Christa Päffgen manchmal quälen, sodass sie sich genötigt fühlt, ihr verbliebenes Umfeld zurück zu quälen.
Unwirsch und barsch zu sich und anderen, geht sie 1986 mit ihrer düsteren, experimentellen Musik auf Tour durch Europa. Auf dem letzten Trip der Hoffnung wird sie von einem beflissenen Manager und einer mittelmäßigen Band begleitet. Christa holt ihren Sohn Ari (der bis heute von seinem Vater Alain Delon nicht anerkannt wurde) zu sich, den sie einst in die Obhut von Verwandten gab, weil sie nicht bereit war für ein Kind. Sie will ihn aus dem Drogensumpf retten, den sie selbst mit angelegt hat. Heroin ist eine beiläufige Alltäglichkeit in ihrem Leben, an dem sie sich unterwegs abarbeitet.
Von Musik und Traumata
Susanna Nicchiarelli inszenierte karg, aber effizient und auf den Punkt. Sie verweigert sich gängigen Biopic-Mustern und erzählt eine faszinierende Lebensgeschichte, die von Fluchten und Flüchtigkeiten handelt, von Beziehungen, die waren und Beziehungen, die nicht werden, von Musik und Traumata. Sie zeigt eine Frau, die so monoton redet, wie sie ihre Songs ins Mikro blafft, und die zu müde ist, um noch eine Ikone zu sein. Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als in der Gegenwart anzukommen.
Quelle: teleschau – der Mediendienst