Der neue Film von Woody Allen, dessen Kinostart sich lange verzögerte, ist sein schönster seit langem und eine liebevolle Hommage an seine Geburtsstadt.
Es sagt viel aus über eine Gesellschaft, wenn Dinge, die bislang als selbstverständlich galten, ausgesprochen werden müssen. "Wenn wir Menschen nur unserem Instinkt nach verurteilen, dann steht es schlecht um die Demokratie", sagte die Schauspielerin Cherry Jones kürzlich in einem Interview mit dem "Guardian". In dem Gespräch ging es, unter anderem, um "A Rainy Day in New York", den neuen Film von Woody Allen, in dem auch Jones eine kleine Rolle spielt. Woody Allen wird seit vielen Jahren von seiner Ex-Frau Mia Farrow vorgeworfen, er habe 1992 ihre damals siebenjährige Adoptivtochter Dylan unsittlich berührt. Allen stritt die Vorwürfe stets ab und wurde vor Gericht freigesprochen; auch eine medizinische Untersuchung an Dylan ergab keine Hinweise auf einen Missbrauch.
Als aber dann die bisweilen in Hysterie umschlagende MeToo-Debatte über die USA hinwegfegte, waren diese beinahe vergessenen Vorwürfe wieder da und die Wahrheit ein sehr subjektives Konstrukt. Für weite Teile von Hollywood, das Allen über Jahrzehnte hofiert hatte, war plötzlich klar: Der New Yorker Filmemacher hat sich schuldig gemacht. Timothée Chalamet und Selena Gomez, Allens Hauptdarsteller in "A Rainy Day in New York", hielten es für nötig, sich von ihrer Zusammenarbeit mit dem 83-Jährigen zu distanzieren; öffentlichkeitswirksam spendeten sie ihre Gage. Und die Amazon Studios, die den Film produziert hatten, kündigten ihren Vertrag mit Allen und weigerten sich, "A Rainy Day in New York" in die Kinos zu bringen. Es folgte ein Rechtsstreit, der mittlerweile beigelegt wurde.
Dass Allens neuer Film nun in Deutschland (und einigen anderen Ländern) zu sehen ist, ist ein Glücksfall. Denn es ist sein schönster Film seit Jahren. "A Rainy Day in New York" spielt, nach "Café Society" und "Wonder Wheel", erneut in der Heimatstadt des Regisseurs. Ashleigh Enright (Elle Fanning), die immer Schluckauf bekommt, wenn sie nervös ist, und ihr Freund, der auf den tollen Namen Gatsby Welles hört und von Timothée Chalamet gespielt wird, fahren für einen Tag von ihrer kleinen Provinzuni nach New York. Ashleigh, die aus Arizona stammt und Manhattan kaum kennt, hat hier ein Interview für die Uni-Zeitung; Gatsby, der in Manhattan aufgewachsen ist, will ihr die Stadt zeigen, Kutschfahrt durch den Central Park inklusive. Wenn Gatsby über das Wesen der Stadt philosophiert oder von den Wandmalereien im Carlyle Hotel schwärmt, dann ist "A Rainy Day in New York" immer auch liebevolle Hommage an Allens Geburtsstadt (auch wenn der Regisseur in Brooklyn aufwuchs, nicht in Manhattan).
Ashleigh trifft sich also mit einem gefeierten Arthouse-Regisseur (Liev Schreiber) zum Interview in einem schicken Hotel. Der verrät ihr gleich einen Knüller: Er will aufhören, weil er seinen aktuellen Film furchtbar findet. Ashleigh folgt ihm zu einem Filmstudio, um sich mit ihm das Werk anzuschauen, lernt währenddessen einen Drehbuchschreiber (Jude Law) kennen, der von seiner Frau betrogen wird, und einen Schauspieler (Diego Luna), der seine Frau betrügen will. Gatsby streift derweil durch die Straßen, versucht, seinen Eltern aus dem Weg zu gehen, die ihn zu einer Wohltätigkeitsgala geladen haben, und trifft bei einem Filmdreh auf Shannon (Selena Gomez), die Schwester seiner Ex-Freundin. Und weil das hier ein Woody-Allen-Film ist, verstricken sich alle Beteiligten in ein Liebesknäuel voller loser Enden, die am Ende mit viel Geschick zusammengeführt werden.
"A Rainy Day in New York" ist Altherrenfantasie und Kleinemädchentraum zugleich. "Was zum Teufel finden Frauen an älteren Männern so attraktiv", fragt Gatsby seine Freundin einmal, um fast sieht man die Dauerempörten da draußen mit den Augen rollen. Ja, der Film ist altmodisch. Aber im besten Sinne. Er ist romantisch und kitschig und lustig zugleich, wie das nur Woody Allen schafft. Und ja, Allen erzählt auch hier im Prinzip dieselbe Geschichte wie seit Jahren – aber das mit so viel Liebe und Hingabe und Feingefühl, dass man ihm gerne zuhört. "A Rainy Day in New York" ist ein Großstadtmärchen – "Realität ist etwas für Leute, denen nichts Besseres einfällt", lässt Allen eine seiner Figuren einmal sagen -, und genauso fühlt sich der Film an. Leicht und magisch.
Timothée Chalamet ("Call Me By Your Name"), der seine Rolle als Alter Ego des jungen Woody Allen anlegt, ist eine Wucht. Aber Elle Fanning ("Maleficent") als dauerhicksende Nachwuchsreporterin ist der wahre Star dieses Films. Sie macht aus ihrer Ashleigh einen liebenswerten, lustigen Charakter, eine selbstbewusste junge Frau, die zum Schluss ihren ganz eigenen Weg gehen muss. Woody Allen schenkt ihr und Timothée Chalamet ein paar wunderbare Szenen. Etwa, wenn Ashleigh, nur in Unterwäsche und mit einem langen Herrenmantel bekleidet, regennass in die Hotellobby stolpert und dort Gatsby melancholisch auf dem Klavier klimpert. Das ist, allen Diskussionen über den Regisseur zum Trotz, einfach nur bezaubernd.
Quelle: teleschau – der Mediendienst