Mit sich ins Reine kommen, um sich und andere liebenswert zu finden: "Einsam zweisam" therapiert zwei kontaktüberforderte Pariser und das Publikum gleich mit.
Ein Titel wie "Einsam zweisam" lässt schnell an ein Paar denken, das sich auseinandergelebt hat oder nie richtig zusammengekommen ist. Davon handelt das neue Werk von Cédric Klapisch mitnichten. Der unermüdliche Erforscher dessen, was Menschen zusammenbringt und -hält, hat zuletzt in "Der Wein und der Wind" äußerst unterhaltsam Winzer-Sprösslinge in die Selbstverantwortung geführt. Nun kümmert er sich um die libidinöse Nachreifung von zwei Parisern, um die "zwei Ich", die "Deux mois", wie sein Film im französischen Original heißt.
"Aber warum nicht ich?", fragt sich der Versandhandelsangestellte Rémy (François Civil), ein winziger Punkt in einer riesigen Lagerhalle, als er von der Entlassung seiner Kollegen und seiner eigenen Beförderung erfährt. Andernorts in Paris stutzt Krebsforscherin Mélanie (Ana Girardot), dass ausgerechnet sie die neuen Ergebnisse vortragen soll, bis der Chef sich auf ihre Jugend bezieht. Ach so, sie ist eigentlich gar nicht gemeint. Pfiffig, filmisch versiert und einfallsreich, erzählt Klapisch eine romantische Komödie von den persönlichen Voraussetzungen für Beziehungsfähigkeit: Wie zwei, die sich nicht kennen, zu so viel Selbstbewusstsein gelangen, dass sie einander begegnen können.
Überwölbt von dynamischen Paris-Impressionen, folgt "Einsam zweisam" den Spuren der Singles Rémy und Mélanie. Beide wohnen an der Bahnlinie in angrenzenden Häusern, sie in einer recht gemütlichen Mansardenwohnung, er in einer ziemlichen Bruchbude mit abblätterndem Putz. Sie kaufen bei Mansour (Simon Abkarian), dem Krämer, ein, doch ohne, dass sich in den Warengängen ihr Weg kreuzen würden. Dabei könnten sie wegen ihrer Einsamkeit einander nötig haben.
Schlaflosigkeit führt eines Tages bei Rémy zum Zusammenbruch. Freunde raten ihm zu mehr Kontakten über soziale Medien, ein Arzt zu einem Psychotherapeuten, der ihm prompt eine Depression bescheinigt. Während Rémy übers Netz nur Leute trifft, die er nicht wiedersehen will, hat Mélanie über Dating-Apps eine Reihe sexueller Abenteuer. Weil die unbefriedigend verlaufen, vertraut sie sich einer Psychoanalytikerin mit einer unglücklichen Liebesgeschichte an. Doch erst eine Tragödie in ihrem Viertel bricht die Krusten von Rémy und Mélanie so weit auf, dass verdrängte Schuldgefühle und Verlustängste endlich an die Oberfläche kommen.
Wenn es eine Chance gibt, dass sich Rémy und Mélanie näherkommen, dann nicht wegen einer Laune des Zufalls oder der Gnade des Schicksals, sondern dank ihrer inneren Entwicklung. Langsam lernen sie, sich selbst zu schätzen. "Öffnet Euch!", heißt dazu die Zauberformel, sich selbst gegenüber, anderen gegenüber und der Umgebung. Die Preisgabe im Internet meint Regisseur Klapisch damit nicht. Seine Sicht bringt er mit den Stärken seines Kinos unter die Leute: mit unverbrauchten Darstellern, mit einer Versuchsanordnung, die immer spielerisch bleibt, mit der liebevollen Erschließung fremder Erfahrungswelten und mit einer diskret ironischen Inszenierung, die pathetischen Überschwang dämpft.
Vor allem vertraut er auf die Dauer, die dem Kinofilm eigen ist. Wer sich am Wechsel zwischen den Erlebnissen von Rémy und Mélanie zu stören beginnt und ungeduldig die Romanze ersehnt, merkt dabei, wie mächtig Erwartungsmechanismus und Verlangen nach Gefühlen auf Knopfdruck sind. Dagegen wird zur Lektion in Empfindungsfähigkeit, sich an die sperrigen Nebenfiguren zu gewöhnen und Rémy und Mélanie für den Weg ins Herz zu schließen, den sie zurückgelegt haben. Denn der Weg ist hier das Ziel.
Quelle: teleschau – der Mediendienst