Der Film "The Room", dessen Geschichte James Francos "The Disaster Artist" erzählt, ist so etwas wie der "Cititzen Kane" des schlechten Geschmacks: Seit Jahren führt das Drama aus dem Jahr 2003 verlässlich die wichtigsten Listen der schlechtesten Filme aller Zeiten an. Und das, wie sich etwa bei YouTube überprüfen lässt, wo der Film ganz oder in Teilen nachzuschauen ist, völlig zu Recht. Alles ist hier mies: jede Szene, jeder Satz, jede Geste. Tommy Wiseau, Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in Personalunion, wollte nach eigener Aussage ein großes, amerikanisches Gesellschaftsdrama erzählen – entstanden ist ein grauenvoll gespieltes "Reich und Schön" für Arme.
Wer wissen will, wie man einen guten Film dreht, sollte sich "The Room" anschauen. Und dann das genaue Gegenteil machen. Es wäre nun einfach, sich über solch ein Machwerk lustig zu machen. Und natürlich ist "The Disaster Artist" auch verdammt komisch. Aber James Franco erzählt mit seinem Film über den Film vor allem eines: eine ziemlich amerikanische Heldengeschichte. In "The Disaster Artist" ist "The Room"-Macher Wiseau keine Witzfigur, sondern ein Träumer, einer, der seinem ganz eigenen American Dream hinterherstolpert.
Der Film beginnt 1998, als Wiseau bei einem Schauspielworkshop auf Greg Sestero trifft, mit dem er später "The Room" drehen wird. James Franco spielt Tommy Wiseau, sein jüngerer Bruder Dave Franco ist Greg Sestero. Greg hat Talent, ein bisschen zumindest, Tommy hingegen hat etwas weitaus wichtigeres: Er glaubt an sich. Mit Greg zieht Tommy nach Los Angeles, nach Hollywood. Als es hier aber doch nicht so klappt mit der großen Karriere, beschließt Tommy, seinen eigenen Film zu drehen.
Er schreibt ein Drehbuch ("das größte Drama seit Tennessee Williams"), engagiert eine Filmcrew, mietet ein Studio und kauft Equipment. Woher er all das Geld für diese wahnwitzige Aktion hat, verrät er nicht. Sechs Millionen Dollar soll der Spaß gekostet haben. Immer wieder muss man sich als Zuschauer kneifen und daran erinnern, dass das hier tatsächlich eine wahre Geschichte ist. Worum es in "The Room" schließlich geht, weiß am Set niemand außer Wiseau selbst. Zu bizarr ist die Dreiecksgeschichte, die er zu Papier gebracht hat. Aber egal: Wer zahlt, schafft an.
Irgendwann, nach mehreren Drehtagen, hat Wiseau seinen ersten Auftritt vor der Kamera. Es ist ausgerechnet jene Szene, die heute in keinem Best-of der schlechtesten Momente aus "The Room" fehlt: Wiseaus Alter Ego, dem seine Freundin fälschlicherweise vorgeworfen hat, sie geschlagen zu haben, tritt zornentbrannt aufs Dach seines Hauses. "I did not hit her. I did not!", plärrt er mit verzerrtem Gesicht in die Kamera, nur um sich dann freundlich lächelnd seinem von Greg Sestero gespielten Freund zuzuwenden: "Oh, hi Mark!"
In "The Disaster Artist" spielt Franco seine beste Rolle bislang. Perfekt imitiert er jede Geste Wiseaus, sein seltsam gequältes Lachen und seinen merkwürdigen Akzent (woher Wiseau wirklich stammt, weiß niemand). Nie lässt Franco ihn dabei zur Karikatur werden, stets behält dieser seltsame Filmemacher seine Würde. Zu "99,9 Prozent" habe Franco ihn getroffen, erzählte Tommy Wiseau kürzlich bei Jimmy Kimmel. Für diese Leistung hätte Filmfanatiker Franco nach seinem Golden Globe eigentlich auch einen Oscar als Bester Schauspieler verdient. Nach Anschuldigungen gegen ihn im Zuge der "MeToo"-Kampagne ist eine Auszeichnung aber fraglich.
Dabei ist "The Disaster Artist" eigentlich der perfekte Film zum Wundenlecken im Post-Weinstein-Post-Spacey-Hollywood. Nach all dem Schmutz wird hier eine Geschichte erzählt, wie sie Hollywood liebt. Tommy Wiseau ist einer, der trotz seines grimmigen Äußeren davon träumt, einen Helden zu spielen und nicht einen Gangster, wie das all die Agenten für ihn vorgesehen haben. Und zum Helden wird er ja schließlich, wenn sein missratener Film plötzlich als Kultstreifen gilt.
Einmal, während des Drehs zu "The Room", sagt eine der Schauspielerinnen in Francos Film, auch noch der schlechteste Tag an einem Filmset sei besser als der beste Tag woanders. Besser ließe sich das Selbstverständnis Hollywoods nicht zusammenfassen.
Quelle: teleschau – der Mediendienst