"The Crown"-Star Emerald Fennell pfeift in ihrem Regiedebüt auf Genrekonventionen – und das ist gut so. "Promising Young Woman", eine Mischung aus Thriller, Drama und Groteske, ist eines der Kino-Highlights des Jahres. Auch dank der starken Hauptdarstellerin Carey Mulligan.
Cassie (Carey Mulligan) ist bemitleidenswert: Sturzbetrunken hängt die einst hoffnungsvolle Medizinstudentin in einer Diskothek herum, aufrecht sitzen ist ihr kaum noch möglich. Wie gut, dass ein netter Partygast ihr Hilfe anbietet, sie nach Hause fährt – nur, um ihren desolaten Zustand für sexuelle Annäherungen auszunutzen. Wer jetzt ein klassisches Vergewaltigungsdrama erwartet, irrt bei "Promising Young Woman" aber gewaltig. Stattdessen hat der Film seine erste – und weitaus nicht letzte – Wendung parat. Denn Cassie ist plötzlich wieder topfit, lässt ihre Inszenierung einer Betrunkenen auffliegen und weist den übergriffigen Mann in die Schranken. Wie sich zeigt, gehört es zu Cassies ungewöhnlichem Hobby, Männern ihr aufdringliches Verhalten widerzuspiegeln. Erst später im Film enthüllt Filmemacherin Emerald Fennell, bekannt als Camilla aus dem Netflix-Hit "The Crown", die Beweggründe von Cassies Rachefeldzug.
Fennell erzählt diese ungewöhnliche Geschichte so pointiert und konterkariert die Erwartungen des Publikums so spielerisch, dass man kaum glauben kann, dass die Britin mit "Promising Young Woman" ihr Regiedebüt abliefert. Auch das kluge Drehbuch, ebenfalls aus der Feder Fennells, steht dem in nichts nach. Mal witzig, mal nachdenklich und mal tieftraurig lässt das Skript Hauptdarstellerin Carey Mulligan zu Höchstform auflaufen. Im dramatischen Finale samt überraschendem, aber konsequent erzählten Höhepunkt mutiert sie gar zu einer abgedrehten Variation von Margot Robbies Superschurkin Harley Quinn.
Davor changiert "Promising Young Woman" permanent zwischen den Genres, ohne jedoch an einer einzigen Stelle überladen zu wirken. Wenn Cassie mit ihren Eltern (Jennifer Coolidge und Clancy Brown) am Frühstückstisch sitzt und einmal mehr mit deren unterschwelligen Enttäuschung konfrontiert wird, überträgt sich auf das Publikum unwillkürlich Unbehagen. Was hätte nicht alles aus Cassie werden können, der cleveren und strebsamen Medizinstudentin von einst? Sicher mehr als eine vom Leben enttäuschte Café-Mitarbeiterin.
Neben dieser misslichen Situation mischt Fennell durch einen Schicksalsschlag aus der Vergangenheit Cassies – dem Grund für ihr Misstrauen und ihre Wut auf Männer – eine weitere ordentliche Portion Drama hinzu. Doch in den seltenen Momenten, in denen der Zweistünder zu melancholisch zu werden droht, kriegt die Regisseurin und Drehbuchautorin rechtzeitig die Kurve und lässt wahlweise schwarzen Humor oder bissige Gesellschaftskritik walten. Selbst eine sich anbahnende Liebesgeschichte von Cassie mit dem charmanten Ryan (Bo Burnham) fügt sich homogen in den ausgewogenen Genremix ein, ohne Kitschanflüge und mit einem effektvoll platzierten Twist.
"Promising Young Woman" bietet so vieles: persönliches Drama, einen neuen Blickwinkel auf die MeToo-Debatte, eine gesellschaftskritische Groteske, eine schallende Ohrfeige für die Übergriffigkeit einer noch immer vorhandenen Machismo-Kultur – allen voran ist Fennells Erstling aber ein großartiges Stück Kino mit Carey Mulligan in Bestform. An diesem Film werden sich die Neustarts des restlichen Kinojahres messen lassen müssen.
Auch bei der diesjährigen Oscar-Verleihung ging der Film mit hohen Ambitionen ins Rennen. Zwar musste Mulligan als beste Hauptdarstellerin Frances McDormand ("Nomadland") den Vortritt lassen, Emerald Fennell jedoch gewann in der Kategorie "Bestes Originaldrehbuch". Dazu kamen Nominierungen in den Königsdisziplinen "Bester Film" und "Beste Regie" sowie für den besten Schnitt.
Promising Young Woman, im Kino ab: 19.08.2021
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH