Zwischen Actionbombast, visueller Perfektion und schlichter Poesie: Mit "Avatar: The Way of Water" gelingt James Cameron das erhoffte Kino-Spektakel. Außerdem beweist der Visionär mit der Fortsetzung, dass er aus den erzählerischen Schwächen des Auftaktfilms gelernt hat.
13 Jahre lang ließ James Cameron das Publikum warten. Entsprechend groß waren die Erwartungen an den Visionär, der 2009 mit "Avatar – Aufbruch nach Pandora" die Kinolandschaft revolutioniert hatte. Nie wieder entwickelte 3D eine derartige Sogwirkung wie seit dem ersten Aufeinandertreffen mit dem Volk der Na'vi und dem paradiesischen Pandora. Nie wieder kam ein Film der visuellen Perfektion derart nah wie Camerons Sci-Fi-Meisterwerk – bis jetzt. Die Fortsetzung "Avatar: The Way of Water" entschädigt für mehr als ein Jahrzehnt Wartezeit, für unzählige Verschiebungen des Kinostarts. In mehr als drei Stunden Kinogenuss zieht Cameron Cineasten vollkommen in den Bann und trumpft visuell, ästhetisch und erzählerisch auf.
Zunächst schwelgen Jake (Jake Worthington) und Neytiri (Zoe Saldana) im Familienglück, seit dem Sieg gegen die Menschen sind Jahre vergangen. Doch die Ruhe mit ihren Söhnen Neteyam (Jamie Flatter) und Lo'ak (Britain Dalton), mit ihrer jüngsten Tochter Tuk (Trinity Jo-Li Bliss), Adoptivtochter Kiri (künstlich verjüngt: Sigourney Weaver) und dem Menschenjungen Spider (Jack Champion) ist nur von kurzer Dauer. Unter der Ägide von General Ardmore (Edie Falco) kehrt die Ausbeutungs-Kampagne der RDA (Resources Development Administration) zurück nach Pandora – und mit ihr der Schrecken und die Zerstörung.
Die Kolonialisten haben weiter nur eines im Sinn: für die Menschen neuen Lebensraum schaffen und den fremden Planeten zu ihrem finanziellen Profit ausbeuten. Das stolze Volk der Na'vi hat keinen Platz im raffgierigen Plan der RDA. Deswegen schicken sie eine Truppe von Na'vi-Klonkriegern in die Wildnis Pandoras. Angeführt werden die kompromisslosen Schergen von der Inkarnation von Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang), dem Antagonisten des ersten "Avatar"-Films. Der Na'vi-Klon ist angereichert mit den Erinnerungen des menschlichen Colonels und verfolgt ein ganz persönliches Ziel: Er will Jake tot sehen.
Einem ersten Angriff des Colonels entgeht Jake mit seiner Familie denkbar knapp – und zieht deshalb eine besonders für Neytiri schmerzhafte Konsequenz: Die Familie verlässt den Stamm der Omaticaya und die unergründlichen Weiten der Wälder. Weit entfernt von ihrer Heimat findet die Familie bei den Metkayina und ihren Anführern Tonowari (Cliff Curtis) und Ronal (Kate Winslet) Unterschlupf. Doch auch in der beeindruckenden Küstenwelt der Meeres-Na'vi holt Jake und seine Liebsten die grausame Vergangenheit schneller ein, als ihnen lieb ist.
Während im ersten "Avatar"-Film noch die exotische Vegetation der Wälder von Pandora verzauberte, entwickelt nun in der heiß ersehnten Fortsetzung die Unterwasserwelt des Planeten eine neue, besondere Magie. Wie James Cameron und sein Team den Ozean zum Leben erwecken und seine Bewohner zu Vehikeln einer durch und durch zauberhaften Geschichte machen, ist phänomenal.
Anders als in klassischen 3D-Blockbustern verkommt die 3D-Technik in "Avatar: The Way of Water" nicht zur Triebfeder von Effekthascherei. Statt Kinofans in den ausgedehnten, aber gleichwohl episch inszenierten Kampfszenen Trümmerteile aus der Leinwand entgegenzuschleudern, entfaltet die "Avatar"-Fortsetzung eine immersive Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann. Dann schwimmt man in atemberaubendem Tempo mit durch die Tiefen des Meeres, erkundet Riffe und flieht vor gefährlichen Meeresbewohnern.
Bei allem visuellen Bombast, mit dem auch der Film von 2009 schon auffuhr, wurde an der Erzählung selbst durchaus berechtigte Kritik laut, etwa an den recht flach erzählten Charakteren und der vorhersehbaren Gut-gegen-Böse-Handlung. In "Avatar: The Way of Water" konzentriert sich das Drehbuchtrio James Cameron, Rick Jaffa und Amanda Silver deutlich stärker auf die Charakterentwicklung – besonders hinsichtlich der Familienbande sowie bei der Figurenzeichnung der Kinder von Jake und Neytiri.
Ihr zweitgeborener Sohn Lo'ak etwa kämpft sichtbar mit seiner Rolle im Schatten seines scheinbar perfekten Bruders Neteyam, dazu fühlt er sich bei den Metkayina als Außenseiter. Davon kann auch Adoptivtochter Kiri ein Lied singen. Sie scheint einerseits ein besonderes Band mit der Lebensenergie von Pandora, Eywa, zu verbinden, andererseits sucht sie mitunter verzweifelt nach ihrer Identität und ihrem Platz in der Familie.
So differenziert die "Avatar"-Macher um Mastermind Cameron die Charaktere der Na'vi ausstaffieren, so seelenlos fallen im Vergleich die menschlichen Invasoren aus. Die eindimensional als Bösen und ohne Ecken und Kanten dargestellten Truppen der RDA sind der einzige Wermutstropfen eines sonst virtuos erzählten und inszenierten Kinovergnügens, dem man die XXL-Laufzeit nicht anmerkt.
Atemlos erzählte Actionsequenzen treffen in "Avatar: The Way of Water" auf Momente bahnbrechender Schönheit. Voller Poesie öffnet der Dreistünder die Tür in eine Welt, in der die Bewohner in vollem Einklang mit der Natur stehen, sich deren Vollkommenheit bewusst sind. Ganz im Gegensatz zu den Menschen, die die Natur einzig zu ihren Zwecken ausbeuten – durchaus eine intendierte Parabel Camerons auf das problematische Verhältnis des Homo sapiens und seiner Umwelt in der sich zuspitzenden Klimakrise. Sogar für eine filmische Paralelle zu Camerons Filmklassiker "Titanic" (1997) nimmt sich der Regisseur Zeit.
Apropos Zeit: In den dreizehn Jahren, die seit dem Kinostart von "Avatar: Aufbruch nach Pandora" vergingen, drehte James Cameron bereits den dritten und einige Segmente des vierten Teils der Filmreihe. Auch das Drehbuch für den fünften Ableger, dessen Kinostart für 2028 anberaumt ist, hat Cameron bereits fertiggestellt. Zunächst einmal gilt es jedoch, die enormen Produktionskosten – geschätzt etwa 350 bis 400 Millionen US-Dollar – auszugleichen. Experten rechnen damit, das "Avatar: The Way Of Water" mehr als zwei Milliarden Dollar einspielen muss, um sich zu amortisieren. Aber wem ist das zuzutrauen, wenn nicht James Cameron.
Avatar: The Way of Water, im Kino ab: 14.12.2022
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH