Ein Mann sitzt dem Arzt gegenüber, er ist unauffällig gekleidet, Hemd, Pullover, Stoffhose. Er wirkt adrett und gepflegt. Die braunen Augen hat er weit aufgerissen, Angst und Verzweiflung spiegeln sich in ihnen, gerade hat der Arzt ihm eröffnet, daß er an Knochenkrebs leidet und sterben wird. Innerhalb von wenigen Sekunden spiegeln sich in seinem Gesicht eine Unmenge von Gefühlen - Angst, Fassungslosigkeit, Trauer, Unglaube. Eine Szene aus "Knockin' On Heaven's Door". Eine andere Szene, ein anderer Film: Ein Mann steht vor dem Spiegel, er trägt Jeans und Unterhemd, sein Gesichtsausdruck wirkt mitgenommen. Die etwas längeren schwarzen Haare sind zerzaust, der Dreitagebart gibt ihm ein Künstlerflair. Den Blick tief in sein Spiegelbild versunken führt er ein Selbstgespräch. "Qual?" fragt er und überlegt. Sein Spiegelbild hält ihm vor, er mache schlechte Kunst, der junge Mann denkt nach. "Du bist die Qual, die jeder Mann durchlitt", gibt der romantische Poet nach langem Suchen von sich. "Na endlich", er lächelt siegessicher. Diesmal in "Rossini - Oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief".
Zweimal Jan Josef Liefers, zwei Filme, die zeitlich unmittelbar aufeinander folgen: Zwei sehr verschiedenartige Charaktere, deren einzige Gemeinsamkeit vielleicht ein leicht verträumter Blick ist, in dem ein Hauch von Nostalgie aufflackert; nostalgische Sehnsucht nach etwas, das dem Zuschauer verborgen bleibt. Die Spielweisen differieren: In "Knockin'" besticht Liefers mit einem Blick, der Erstaunen ausdrückt und Verwunderung. Mit eingezogenen Schultern, einem scheuen Blick, Schutz suchend verkörpert er einen eher unsicheren Mann. Ganz anders in "Rossini": Romantisch verträumte Blicke, glasige Augen und eine selbstsichere männliche Haltung machen aus ihm einen Charmeur, einen Verführer. Die Vielseitigkeit von Jan Josef Liefers könnte man nicht besser beschreiben. "Rudi Wurlitzer aus 'Knockin' ist die Figur, mit der ich die geringeren Probleme hatte", erzählt der Schauspieler, "Er ist ein introvertierter, eher schüchterner Typ, der im Laufe des Films eine riesige Entwicklung durchmacht. Aber nachdem jetzt beide Filme abgedreht sind, ist das anders. Mir ist es gelungen, aus der Figur des Bodo Kriegnitz in 'Rossini', die mir eher fremd ist, etwas zu machen, was wirklich ist, was existiert und wo ich dahinter stehe. Jetzt freue ich mich über beide Figuren."
Rudi Wurlitzer wirkt tolpatschig und irgendwie ängstlich. Er raucht nicht, schlägt nicht über die Stränge und gibt sich keinen Gefühlsausbrüchen hin. Als er erfährt, dass er stirbt, ist es eine lautlose Verzweiflung, die ihn erfasst, melancholisch und traurig. Kontrastiert werden Rudis Haltung und Charakter durch die Figur des Martin Brest (dargestellt von Til Schweiger). Auch er ist zum Sterben verurteilt: Diagnose Gehirntumor, keine Heilungschancen. Er ist laut, frech, rüpelhaft. Er macht immer das, was er nicht darf: Rauchen im Krankenzimmer, Schwestern verführen und derbe Sprüche klopfen. Er findet es blödsinnig, auf irgendeiner miesen Krankenstation auf den Tod zu warten. Also überredet er Rudi, ans Meer zu fahren, denn das Meer, das hat Rudi noch nie gesehen. Und Martin ist überzeugt, dass im Himmel alle vom Meer sprechen. Wenn man da nicht mitreden kann, bleibt man ein Außenseiter, das ist sicher.
Ganz nuanciert, ohne an irgendeiner Stelle zu dick aufzutragen, macht Jan Josef Liefers die Entwicklung von Rudi Wurlitzer deutlich. Vor Angst erstarrt, die Augen weit geöffnet, drückt er einem Tankwart den Revolver an die Schläfen. Sein Blick verrät, dass er eigentlich nicht versteht, was hier vor sich geht. Erstaunen und Fassungslosigkeit über das eigene Verhalten werden deutlich. Behutsam deutet die Darstellung von Liefers an, wie bei Rudi Wünsche erwachen, die tief in ihm schlummerten und die eigentlich nicht dafür gedacht waren, an die Oberfläche zu gelangen.
In dem Moment, wo sein Leben eigentlich besiegelt wird, beginnt Rudi all die Dinge zu tun, an die er vorher nicht einmal gedacht hat. Eine solche Entwicklung des Charakters und der Emotionen einer Figur zu zeigen, ist spannend für einen Schauspieler, spannend insbesondere in einem eher lauten, schnellen Film, der von einem präzisen Humor und der Mischung ganz verschiedener Genres lebt. Da wo mit vielen Emotionen, Gefühlen und Gedanken jongliert wird, gelingt es Jan Josef Liefers, die innere Entwicklung der Figur zu veräußerlichen und die allmähliche Wandlung von Gefühlen und von Träumen nachvollziehbar zu machen. "Träume sind doppelt wichtig", betont der Schauspieler, "jeder weiß, wie schwer es ist, die Realität und das, was man sich vorgenommen hat, zusammenzubringen. Aber im Film geht das, es ist der Stoff, aus dem Kino gemacht wird. Wir sehen hier zwei Menschen, die im Angesicht des Todes anfangen zu leben. Eigentlich müsste es auch möglich sein, im Angesicht des Lebens zu leben." "Die Entscheidung, die Rolle des Rudi Wurlitzer mit Jan Josef Liefers zu besetzen, war schnell getroffen", erzählt Regisseur Thomas Jahn. "Jan Josef kam von Til, wir haben uns zusammen 'Ich, der Boss' angeguckt, und ich habe sofort gedacht, der Typ ist gut, der ist genau der richtige. Ich sagte zu Til: 'Ruf den an!', worauf er mir antwortet, dass er das schon längst getan hat. Wir waren beide begeistert.
"Ich, der Boss" liegt zwar eine eher oberflächliche Story zugrunde, doch ist Liefers Darstellung sehr einprägsam. Mit viel Humor und Einfühlungsvermögen zugleich verkörpert er den Axel Kaiser. Das Stichwort heißt Wandlungsfähigkeit, wenn Kaiser auf einmal Chefdirektor eines der größten Autokonzerne Deutschlands wird. Eigentlich ist er arbeitslos und lebt mit seiner Tochter Betty in einer heruntergekommenen kleinen Wohnung. Das Wasser steht ihm bis zum Hals, und dann rückt ihm auch noch die Vormundschaft auf die Pelle, weil er angeblich nicht in der Lage ist, seine Tochter zu versorgen. In seiner Verzweiflung klaut er im Park einem bewusstlosen Mann den Aktenkoffer und das Handy. Kurz darauf erhält er einen Anruf; er wird als Dr. Mazza begrüßt, und es ist von einer enormen Summe die Rede. Kaiser, verzweifelt wie er ist, gibt sich einfach als jener Dr. Mazza aus. Der ist Chef einer der größten japanischen Autokonzerne und nach Frankfurt gekommen, um zu einer deutschen Firma zu wechseln. Das löst natürlich jede Menge Verwicklungen und Verwechslungen aus: Tagsüber spielt Kaiser den Firmenchef, abends ist er der liebende Familienvater in ärmlichen Verhältnissen.
Dass die Figur inmitten der ganzen verstaubten Firmenvorsitzenden und karrieresüchtigen Top-Manager als einzige wie ein Mensch wirkt, verdankt sie der einfühlsamen Darstellung von Liefers. Wenn er da in dem großen Firmenbüro sitzt und sich die Angst vor der eigenen Courage in seinen Augen spiegelt, oder wenn er der Karrierefrau erklärt, dass es im Leben etwas viel wichtigeres gäbe als den Job, etwas, das mit Gefühl und Liebe zu tun hätte. Gleichzeitig wirkt es indes auch komisch, wenn er sich mit kleinen Lügen durch die fremde Welt schlägt.
Auch in anderen Fernsehproduktionen wie "Voll daneben" oder "Die Frau des Anwalts" hat Liefers einschlägige Filmerfahrungen gesammelt. In "Busenfreunde" spielt er einen ganz anderen Typ, den charmanten, oberflächlichen Junggesellen, der keine feste Bindung eingehen will, keine intensivere Beziehung und am aller wenigstens eine Ehe. Mit selbstbewusstem Augenzwinkern und Posen, die nur so von männlicher Eitelkeit strotzen, verkörpert Liefers überzeugend den jungen Aufreisser und Frauenliebling. Er wirft mit Komplimenten um sich und ist nie um einen flotten Spruch verlegen. Am besten lerne er eine Frau nun mal im Bett kennen, erklärt er seinen Freunden. Alle vier sind sie auf der Suche nach einer Form von Glück, aber binden wollen sie sich nicht. Die Angst, verletzt zu werden, ist stärker als der Wunsch nach Zuneigung, Verbundenheit, Liebe.
Eine Rolle, die Vielseitigkeit und Facettenreichtum von Liefers Spiel wunderbar auf den Punkt bringt, ist die des Bodo Kriegnitz in der deutschen Erfolgskomödie "Rossini - Oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief". Das reale Vorbild ist der Dichter Wolf Wondratschek. Seinem Werk sind alle Verse entnommen, die Bodo schreibt. Bodo ist Dichter, jeden Abend trifft er sich mit einer ganzen Bande von Regisseuren, Produzenten, Stars und Sternchen in dem italienischen Restaurant Rossini. Hier werden die Stoffe, aus denen die Kino-Träume sind, gesponnen, Intrigen geführt, Beziehungen geknüpft, Herzen erobert und gebrochen. Bodo liebt Valerie (Gudrun Landgrebe), die wird aber noch von dem Produzenten Oskar Reiter (Heiner Lauterbach) verehrt. Die beiden Männer buhlen um die Gunst der schönen Lady. Ganz offen führen sie ihren Männerkampf, kein Versteckspiel, sondern eine eindeutige Dreiecksbeziehung, in der dann doch jeder zu kurz kommt: ein Kampf zu führen, dessen Ziel nicht der Sieg, sondern der Kampf an sich ist. Lässig im Stuhl des Restaurants, in Lederjacke und Jeans, mit dem Blick eines coolen Herzensbrechers, interpretiert Jan Josef Liefers die Rolle als Mischung aus weltfremdem Poeten und eifersüchtigem Don Juan, der sich seiner Liebeskunst gar so sicher ist.
Nach "Charlie und Louise", wo Liefers eine kleine Rolle spielte, sind "Rossini" und "Knockin' On Heaven's Door" die ersten Kinoproduktionen des Schauspielers - gleich zwei durchschlagende Erfolgsfilme. "Als 18-, 20-Jähriger verliert man da leicht den Boden unter den Füßen", erklärt Jan Josef Liefers. "Ich bin 10 Jahre älter, ich stehe ganz anders im Wind: sowohl im Erfolgs- als auch Misserfolgswind, und das habe ich dem Theater zu verdanken."
Vor der Wende spielte er am Deutschen Theater in Berlin, da, wo viele gute Schauspieler ihr Debüt gaben. Er kam direkt von der renommierten Schauspielschule "Ernst Busch" in Berlin, da waren auch Kollegen wie Corinna Harfouch, Katharina Thalbach oder Nina Hoss. Später spielte Liefers am Thalia-Theater in Hamburg. Beides, der Film und das Theater, haben seine Eigenheit, und beides kann man vereinen. Es sind zwei Welten, und jede hat ihren Reiz. Jan Josef Liefers gehört zu den Schauspielern, die beides schätzen gelernt haben und die sich in jeder Welt zu Hause fühlen. Das Kino bietet ihm etwas, was das Theater nicht hat und das Theater gibt etwas, was dem Kino fremd ist, irgendwie baut das eine auf dem anderen auf. Am Theater kann der Schauspieler so lange proben, bis er das beste für eine Rolle gefunden hat, beim Film sind die Proben eher filmtechnischer Art.
"Im Theater hat man mehr Zeit, kann über eine Rolle schlafen, überlegen, ob es noch eine bessere Lösung gibt. Andererseits hat man beim Film etwas Unwiederbringliches, wenn es in dem Moment, wo die Kamera läuft, gelingt, etwas Geniales zu machen, etwas, das man nie wieder so hinkriegt", sagt Liefers. "Ich glaube, das Theater ist für einen Schauspieler einfach wichtig, weil er eine Geschichte vom Anfang bis zum Ende ganz durchspielen kann. Zwischendurch hat man die Reaktion der Leute, hört den Atem, das Husten... Man hat den Abend in der Hand." "Allerdings muss das Theater heute der Attraktivität von Multimediashows etwas entgegensetzen", sagt Liefers weiter, "Die Zeiten, wo man Kneipentische zusammen geschoben hat und sich zwei Leute darauf gestellt haben und alle um sich herum zum Heulen gebracht haben, die sind vorbei. Die große Chance des Theaters ist es, sein eigenes Gesicht wieder zu finden und zu wahren. Im Moment passieren im Theater sehr unstete Entwicklungen: Wir haben die Riege der gestandenen 68er, die sozusagen alles im Griff haben, und das ist noch das Beste, was das deutsche Theater zur Zeit hat. Die anderen versuchen, entweder besonders schrill oder besonders dreckig zu sein, aber sie stellen sich nicht mehr den Geschichten. Die Leute gehen gerne ins Theater, aber in dem Moment, wo ihnen etwas Unsinnliches, Trockenes, vollkommen Verkopftes angeboten wird, da haben sie keine Lust reinzugehen."
Liefers über die neueren deutschen Kinoerfolge: "Das Jahr 1997 wird einigen Leuten die Augen öffnen über das, was in deutschen Filmen möglich ist. Wir fangen an, die jüngste Vergangenheit zu bewältigen. Es gab die Zeit der Kritikererfolge, die keinen Menschen interessiert haben, jetzt geht der deutsche Film neue Wege und wird für die Zuschauer interessant. Film muss die Menschen berühren. Das schönste am Kino war doch, dass wir im Dunkeln heulen oder knutschen oder all diese Sachen machen konnten. Kino ist für mich die Antwort auf das richtige Leben, es ist kein Spiegel oder Abbild, es ist ein Ort, an dem wir bessere Menschen sein können. Im Kino gibt es Leute, die sagen die Wahrheit, auch wenn sie zehnmal dafür erschossen werden, und wir sehen Menschen, die wirklich lieben können oder vielleicht sogar aus Liebe sterben. Wir identifizieren uns mit ihnen und fühlen uns aufgewertet. Das ist mein Ideal von Kino, so ging es mir als Kind, und jetzt will, möchte ich, dass es allen anderen auch so geht."
"Erblich bin ich natürlich vorbelastet", erzählt Jan Josef Liefers, der als Sohn eines Regisseurs und einer Schauspielerin zur Welt kommt. Dennoch ist die Ausbildung zum Schauspieler zunächst gefährdet. Liefers kann kein Abitur machen, weil er nicht zur Volksarmee will. Er entscheidet sich dann, eine Tischlerlehre zu absolvieren, und beginnt 1983 mit der Ausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Ost-Berlin. Nach der Schauspielausbildung spielt er in Berlin Theater, er hat Auftritte am Deutschen Theater und an den Kammerspielen. Sein Filmdebüt hat er 1989 in Rainer Simons "Die Besteigung des Chimborazo" in der Rolle des Alexander von Humboldt. Bevor Jan Josef Liefers 1993 eine Rolle in Vilsmaiers "Charlie und Louise - das doppelte Lottchen" angeboten bekommt, wirkt er bei einigen Fernsehproduktionen der DEFA mit. 1997 wird für Liefers zum großen Erfolgsjahr: mit "Rossini" von Helmut Dietl und "Knockin' On Heaven's Door" von Thomas Jahn. 1997 erhält der Schauspieler den Bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsdarsteller für "Rossini".
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