Es gibt Rollen, die einen unsterblich machen: Bösewichter wie Darth Vader, Norman Bates oder Hannibal Lecter bleiben einfach länger im Gedächtnis der Zuschauer haften und gruseln auch dann noch, wenn das Filmerlebnis längst vorbei ist. Professor Moriarty ist so eine Figur, von Grund auf böse, ein kriminelles Genie, der perfekte Gegenspieler von Sherlock Holmes. Es ist eine Rolle, in die viele Darsteller schlüpfen möchten - vor allem, wenn sie bereits vor dem Start der Dreharbeiten so groß angekündigt und erwartet wurden, wie in Guy Ritchies Sherlock Holmes: Spiel im Schatten seiner 2009 begonnenen Reihe rund um Sherlock Holmes. Im Vorfeld gab es eine Vielzahl an Gerüchten, auch Brad Pitt war im Gespräch dem bösartigen Professor sein Gesicht zu leihen. Als erste Berichte über den Start der Produktion in die Medien kamen, wurde ein Name immer öfter in einem Atemzug mit Moriarty genannt: Jared Harris.
Ihn auf das Offensichtliche zu reduzieren, würde seiner Darstellungskraft und seinem Talent nicht gerecht werden. Jared Harris ist der Sohn der irischen Hollywood-Legende Richard Harris. Dass damit definitiv nicht genug gesagt ist, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf Jareds umfangreiche Rollenliste, auf seine vielen Auftritte als Schurke oder Exzentriker. Das Talent wurde ihm nicht nur von Seiten seines Vaters in die Wiege gelegt. Seine Mutter ist die walisische Schauspielerin Elizabeth Rees-Williams, die nach der Scheidung vom großen irischen Darsteller einige Jahre mit Rex Harrison ("My Fair Lady") verheiratet war. Und auch seine Brüder beweisen, dass die Schauspielerei durchaus in der Familie liegt: Jamie Harris ist ebenfalls Darsteller geworden und Damian Harris hat als Regisseur und Drehbuchautor Karriere gemacht.
Natürlich hat Jared Harris nicht das Charisma, das sein Vater hatte - wer hat das schon? Schließlich war Richard Harris einer dieser grandiosen Darsteller, die alleine durch ihren Namen einen Film aus der absoluten Bedeutungslosigkeit reißen konnten. Trotz der genialen genetischen Vorgaben hat Jared Harris das Schauspielhandwerk von der Pike auf gelernt und kann somit auf eine klassische Schauspielausbildung verweisen. Er besuchte die Central School of Speech and Drama in London und studierte anschließend Drama und Literatur an der US-amerikanischen Duke University. Im Anschluss an seine Ausbildung hatte er ein Engagement bei der Royal Shakespeare Company. In Stücken wie "Hamlet", "Romeo und Julia", "Silent Woman" und "A Clockwork Orange" stand er bald schon auf der Bühne. Sein Kinodebüt gab er 1989 in der Komödie "Er? Will! Sie Nicht?", die sein älterer Bruder Damian Harris in Szene setzte und für die der - neben Jared - auch so grandiose Darsteller wie Jonathan Pryce und Michael Gambon gewinnen konnte. Anfang der Neunzigerjahre zog es Jared Harris nach New York, wo er in Off-Broadway-Stücken brillierte. Für seinen Auftritt in dem Stück "Ecstasy" erhielt er 1992 den Obie Award, darüber hinaus gründete er "The Sinachie Theater Company". Außerdem schlüpfte er 1992 in eine kleine Rolle in Ron Howards Drama "In einem fernen Land". Im gleichen Jahr stand er auch für Michael Manns Abenteuerfilm "Der letzte Mohikaner" neben Daniel Day-Lewis und Madeleine Stowe und für Howard Franklins Thriller "Der Reporter" vor der Kamera.
Einen kleinen Part übernahm er in Oliver Stones Actiondrama "Natural Born Killers" (1994). Hier sah man ihn erstmals neben Robert Downey jr.. Jared Harris blieb aber weit hinter dem späteren Guy-Ritchie-Sherlock-Holmes zurück und agierte mehr im Hintergrund der Geschichte rund um Mickey und Mallory, das berüchtigtste Killer-Pärchen Amerikas. In Wayne Wangs Episodenfilm"Smoke - Raucher unter sich" (1995) und in dessen Nachfolger "Blue in the Face - Alles blauer Dunst" (1994) gehörte er ebenso zur Cast wie auch in Jim Jarmuschs hochgelobten Western "Dead Man" (1995). Als titelgebenden Pop Art-Künstler sah man ihn 1996 in dem von der ehemaligen Musikkritikerin Mary Harron in Szene gesetzten Drama "I shot Andy Warhol". Dass Jared Harris nicht nur das große Arthaus-Kino liegt, bewies er durch seinen Auftritt in Ken Seldens Komödie "White Lies - Das Leben ist zu kurz, um ehrlich zu sein" (1997) und auch mit "Ein Vater zu viel" und "Lost in Space" lieferte er Popcorn-Kino-Auftritte ab. Anschließend spielte er in Todd Solondz sehenswerter Satire "Happiness" (1998) den Russen Vladimir. Im gleichen Jahr wurde Harris für seine Darstellung in dem Horrorthriller "Trance" beim Sitges Festival Internacional de Cinema de Catalunya als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Ein Jahr später erhielt er für "The Weekend" beim Seattle International Film Festival gemeinsam mit dem gesamten Schauspielensemble den New American Cinema Award.
Die Zahl seiner Film- und Fernsehengagements ließ auch zum Ende des alten und zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht nach. In der TV-Produktion "Two of Us" mimte er John Lennon, danach übernahm er die Rolle des "falschen Peter" neben Kenneth Branagh in der Komödie "How to Kill Your Neighbor's Dog". Darüber hinaus spielte er gemeinsam mit Olivier Martinez, Willem Dafoe, Robert Rodriguez und Guillermo del Toro in Rune Bendixens "Bullfighter" (alle 2000). In Burr Steers grandioser Gesellschaftssatire "Igby" gehörte er ebenso zur Darsteller-Crew wie auch in der vollkommen belanglosen und dämlichen Komödie "Mr. Deeds" (beide 2002). Mit dem britischen Drama "Sylvia" (2003) - unter der Regie von Christine Jeffs - lieferte er einmal mehr einen Kinofilm ab, der vom Feuilleton gelobt wurde. Doch nicht nur die Kritiker lieben das vielseitige Spiel des Charakterdarstellers. Ganz gleich welches Genre er bedienen soll, Jared Harris gelingt es. So folgt auf künstlerisch wertvolle Produktionen schon mal ein Gastauftritt in einer erfolgreichen TV-Serie wie "Without a Trace - Spurlos verschwunden", in einem Blockbuster-Streifen à la "Resident Evil: Apocalypse" oder in einem Publikumserfolg wie "Ocean's Twelve".
In Sean Ellis' "Cashback" war Jared Harris' Ehefrau Emilia Fox - die beiden heirateten im Juli 2005 - in einer Hauptrolle zu sehen, während er sich mit einer besseren Statistenrolle zufrieden geben musste und im Abspann nicht erwähnt wurde. Die recht differenzierenden Karrieren der beiden und auch ihre doch sehr unterschiedlichen Charaktere waren am Scheitern der Ehe schuld. 2009 war es mit der Partnerschaft zu Ende. Was auf den ersten Blick wie die Scheidung eines Paares ausschaut, kann aus einem anderen Blickwinkel auch als das Ende der Verbindung zweier bedeutender Schauspielerdynastien gesehen werden. Die Verwandschaft von Emilia Fox ist ähnlich stark von darstellenden Künstler geprägt, wie auch der Harris-Clan. Bevor das Paar getrennte Wege ging, konnte man Jared in der überragenden David Fincher Verfilmung "Der seltsame Fall des Benjamin Button" als Captain Mike Clark sehen. Nicht nur sein Gesicht blieb hierbei in Erinnerung, sondern auch sein wild tätowierter Körper, den er äußerst selbstbewusst dem Zuschauer und Benjamin Button alias Brad Pitt präsentierte. Einem breiten Publikum fiel er auch durch die wiederkehrende Rolle als David Robert Jones in der sehr erfolgreichen und beliebten Mysteryserie "Fringe - Grenzfälle des FBI" (2008/2009) auf.
2009 sah man Jared Harris erstmals in dem US-amerikanischen Serienerfolg "Mad Men". Wenn er in die Rolle des Lane Pryce schlüpft, dann erinnert der britische Darsteller an seinen Stiefvater. Nicht ohne Grund: In einem Interview erwähnte Jared Harris, dass er beim Rollenstudium an Rex Harrison und dessen kultiviert-vornehmes Auftreten denken musste und es sich zum Vorbild nahm. Lane Pryce ist in der Reihe rund um die Werbeleute aus der Madison Avenue eine Art Außenseiter - als Darsteller, der erst in der dritten Staffel zu dem Erfolgsprodukt stieß, ein Zustand, den Jared Harris auch neben der Kamera erfahren durfte. Das Engagement für die mehrfach preisgekrönte Reihe lässt dem großartigen Schauspieler trotzdem Zeit für weitere Angebote. Im März 2010 kam mit "Ausnahmesituation" eine überaus schmalzige Abrechnung mit der Pharmaindustrie in die deutschen Kinos. Das Drama rund die Erbkrankheit "Pompe Morbus" konnte jedoch weder Publikum noch Kritiker überzeugen und einmal mehr blieb Jared Harris hinter den Hauptdarstellern - Harrison Ford und Brendan Fraser - im Hintergrund.
Weitere Filme und Serien mit Jared Harris: "Women & Men 2: In Love There Are No Rules" (1991), "South of Sunset" (TV-Serie, 1993), "Nadja" (1994), "Pecos Bill - Ein unglaubliches Abenteuer im Wilden Westen", "New York Undercover" (TV-Serie, beide 1995), "Quentin Carr" (Kurzfilm), "The Side of the Road" (Kurzfilm, beide 1996), "Sunday", "Chinese Box", "B. Monkey" (alle 1997), "Gold in the Streets", "Fuzzy Logic" (Kurzfilm), "Lulu On The Bridge" (1998), "Lush" (1999), "Shadow Magic" (2000), "Untitled Charles Randolph Project", "Perfume" (beide 2001), "Dummy, "Four Reasons" (beide 2002), "The Other Boleyn Girl", "I Love Your Work" (beide 2003), "To the Ends of the Earth" (TV-Serie), "The Notorious Bettie Page" (beide 2005), "Coup!", "Das Mädchen aus dem Wasser", "Sally Lockhart - Der Schatten im Norden" (alle 2006), "32A", "Cracked Eggs" (Kurzfilm), "Law & Order: Special Victims Unit" (TV-Serie, alle 2007), "From Within", "The Riches" (TV-Serie, 2008), "Tales of the Black Freighter" (Sprecher, 2009), "The Ward", "Sherlock Holmes: Spiel im Schatten" (beide 2011), "Lincoln" (2012), "Pompeii" (2014).