Gesellschaft

Lieber allein

Ungebunden und glücklich: Besonders Frauen lieben es, sich in ihrem Nest einzurichten.
Ungebunden und glücklich: Besonders Frauen lieben es, sich in ihrem Nest einzurichten. Fotoquelle: Ruslan Guzov/shutterstock.com

Deutschland ist eine Gesellschaft von Alleinstehenden geworden. Besonders Frauen fühlen sich dabei wohl. Ein Versuch, das Phänomen zu ergründen.

Es war einer dieser diesigen und eher milden Wintertage, als ich Petra besuchte. Wir hatten uns Jahre nicht gesehen. Als Teenager lebte sie mit ihren Eltern in der Nähe des Bottroper Jahnparks. Sie war eine talentierte Läuferin gewesen und gehörte zu den Hoffnungen der deutschen Leichtathletik. Später wurde ich ihr Trauzeuge. Sie war Lehrerin, ihr Mann Rechtsanwalt. Die Ehe ging in die Brüche.

"Plötzlich knickte ich um und die Mülltüte riss"

Sie hatte mich angerufen, weil ihr was passiert war. Ein Sturz, nein, nicht beim Joggen in zu dunkler Abendstunde, sondern beim Müllraustragen. "Plötzlich knickte ich um und die Mülltüte riss", erzählte sie. "Als ich merkte, dass ich nicht aufstehen konnte, habe ich laut gerufen. Aber niemand kam."

Wir unterhielten uns über ihre Prellungen und Stauchungen und wie lange der Knöchel eingegipst bleiben müsse.

"Ja, wenn ich einen Partner hätte", seufzte sie, "wäre ich vielleicht nicht so dagelegen wie ein angeschossenes Reh. Das sind so Momente, da will einem das Schicksal sagen: 'Das haste nun davon, du dumme Kuh!'"

"Ich bitte dich", erwiderte ich, "du bist der eingefleischteste Single, den ich kenne."

"Ach, davon kenn ich viele", sagte Petra. "Wenn ich abends nach Hause komme und durch mein Viertel fahre, weiß ich genau: Da und da und da leben alleinstehende Frauen. Es sind fast immer Frauen. Die Menschen teilen sich in zwei Gruppen, musst du wissen: Männer, die jederzeit bereit sind, unter die Decke einer Beziehung zu schlüpfen, und Frauen, die selbst zurechtkommen und es gern dabei belassen."

"Ist das so?", zweifelte ich.

"Und ob das so ist! Ich liebe es, mich nicht eingeengt zu fühlen und für Entscheidungen in meinem Haushalt kritisiert zu werden. Ich liebe es, das Bett für mich allein zu haben. Ich liebe es, meinen Tag allein planen zu können. Ich bin 58. Da wäre ich doch verrückt, mich noch einmal Hals über Kopf auf eine Beziehung einzulassen, die am Ende auf Altherren-Sitting hinausläuft ..."

"Aber nun sitzt du hier", warf ich ein, "auf Wochen krankgeschrieben und dir kommen Zweifel ..."

"Zweifel vielleicht nicht. Aber ich gebe zu: Es ist eine bittere Ironie, wenn man sich nur noch mithilfe eines Stocks in die eigene Küche quälen kann. Übrigens danke ich dir, dass du daran gedacht hast, meinen Lieblingskuchen mitzubringen."

Single-Haushaltungen dominieren

Natürlich wusste ich: Petra war eher Norm als Ausnahme. Ob in Berlin, Hamburg, Düsseldorf oder Köln, die Single-Haushaltungen dominieren mit über 50, ja über 60 Prozent. Die Zahl der Frauen, die sich mit 60 Jahren und älter scheiden lassen, ist rapide gestiegen. Selbst in China, Indien oder Brasilien leben inzwischen mehr Menschen allein als in einer festen Beziehung.

Was angeblich nichts mit Einsamkeit zu tun hat. Besonders amerikanische Umfragen belegen ein ums andere Mal, dass Alleinstehende viel mehr Zeit mit Freunden und Nachbarn verbringen als Familienmenschen. Weil Familien dazu tendieren, sich zu Hause und in kleinem Kreis einzuklumpen. In einer seiner grandiosen Fehleinschätzungen hatte der 2014 verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher dem Familienverbund größere Überlebenschancen zugebilligt als weitläufig vernetzten Singles (in "Minimum", 2006).

"Ich nenne das Grundgeilheit"

"Eins verstehe ich nicht, Petra: Wenn das Solo-Dasein die beste aller Lebensformen ist, warum sind die Partnervermittlungen so gut im Geschäft?" Petra lachte. "Darf ich was Unanständiges sagen? Ich nenne das Grundgeilheit. Männlein und Weiblein müssen zusammen, wenigstens ab und zu. Und ich gebe zu, mein Lieber: Manchmal ist es schon sehr einsam, wenn du in deine dunkle Wohnung kommst und niemand ist da, mit dem du deine Sehnsucht teilen könntest. Aber das geht vorbei. Wir Frauen sind groß darin, uns ein Nest einzurichten. Männer in ihrem Ungeschick stören da nur."