Gérard Philipe

Gérard Albert Philipe
Lesermeinung
Geboren
04.12.1922 in Cannes, Frankreich
Gestorben
22.11.1959 in Paris, Frankreich
Sternzeichen
Biografie
Immer wenn er in der Öffentlichkeit erscheint, wird er umringt, gefeiert, vergöttert. Er ist der romantische Held in Jean Vilars "Theatre National Populaire", das er selbst mitgegründet hat. Dort steht er als Prinz von Homburg, als Cid oder als Ruy Blas auf der Bühne. Ob bei den großen Kinopremieren oder beim Moskauer Filmfestival - das Publikum liegt ihm zu Füßen, er ist das Idol seiner Zeit wie James Dean oder Elvis Presley. Warum gerade jener zarte junge Mann, der doch das Gegenteil der viel bewunderten, Kraft strotzenden Männlichkeit ausdrückt?

Das lässt sich sicher nicht nur aus seinem zwischen Heiterkeit und Melancholie pendelndem Charme, auch nicht allein mit seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit erklären. Die ihn umschwärmen, nennen ihn den "Liebling der Götter", und jene, die seine Kunst bewundern, einen begnadeten Schauspieler. Selbst sein politisches Engagement, seine Vorliebe zum russischen Film, sein Versuch, eine französisch-chinesische Produktion zu realisieren, seine Zusammenarbeit mit der DEFA bei seinem einzigen, selbst inszenierten Film "Till Eulenspiegel" (1956) verübelt man dem Star nicht. Er ist vielmehr lange Jahre bis zu seinem frühen Tod im Alter von 36 Jahren Präsident der französischen Schauspielergewerkschaft.

Als Sohn eines wohlsituierten Hoteliers in Cannes geht Gérard Philipe in jungen Jahren nach Paris, um an der Sarbonne Medizin zu studieren. Er will Arzt in den Kolonien werden, doch der Vater ist nicht begeistert und so studiert er Jura, wo er es immerhin zum Bachelor bringt. Als Student entdeckt ihn bei einem Wohltätigkeitsfest Marc Allegret und gibt ihm eine kleine Filmrolle in "Les petites du quai aux fleurs" (1943). Claude Dauphin von der Comédie Francais wird sein Lehrer, mit einer Wanderbühne geht Gérard Philipe auf Tournee, wo ihn in Paris Jacques Hébertot entdeckt und ihn als Engel in Jean Giraudaux' "Sodom und Gomorra" besetzt. Da spielt er an der Seite der wunderbaren Edwige Feuillère. Und jetzt ist sein Erfolg nicht mehr aufzuhalten: Auf der Bühne und im Kino wird er zum Star.

Er ist der Fürst Myschkin in Georges Lacombes Dostojewski-Verfilmung "Der Idiot" (1945), der hübsche junge Gymnasiast in Claude Autant-Laras "Teufel im Leib" (1946), in dem er ein Verhältnis mit der attraktiven Frau eines Frontsoldaten beginnt. Unter der Regie von Christian-Jaque, bei dem er später einige seiner schönsten Rollen spielt, ist er in der Stendhal-Verfilmung "Die Kartause von Parma" (1947) der unglückliche Fabrice, der zu 20 Jahren Kerkerhaft verurteilt wird und sich dort in die schöne Tochter des Festungskommandanten verliebt.

In "Der Pakt mit dem Teufel" (1950), die Tragödie von Dr. Faust, dem Grübler mit menschlichem Ansinnen und seiner Beziehung zum bösen Teufel und dem zarten Gretchen, hat René Clair ganz einfach umgekehrt: Die Liebenden, Gérard Philipe und Nicole Besnard, kommen am Ende mit einem Happyend davon, das Volk hetzt den Teufel, Michel Simon, zu Tode. Goethes intellektuelles Schauspiel als Kasperltheater? So sahen es damals die kulturbeflissenen Deutschen: Der Faust als Heiligtum der Nation. Doch Clairs Trivialisierung vollzieht sich auf hohem Niveau. Natürlich ist das manchmal rührselig, melodramatisch, doch Gérard Philipe als Faust und Michel Simons Mephisto machen alles wett.

Filme wie Max Ophüls Arthur-Schnitzler-Verfilmung "Der Reigen" (1950), wo er den jungen Grafen spielt, und Christian-Jaques Episodenfilm "Souvenirs Perdus" machen Philipe noch populärer. "Die Hochmütigen", Sartres glühende Liebesgeschichte vor dem Hintergrund einer tödlichen Seuche, wird 1953 von Yves Allégret verfilmt und macht Gérard Philipe und Michèle Morgan zum Traumpaar des Kinos. Im selben Jahr ist Philipe bei René Clement der egoistische Monsieur Ripois, "Liebling der Frauen", der in London die schönen Frauen ins Unglück führt.

Wieder bei Clair dreht Philipe "Die Schönen der Nacht" mit Martine Carol und Gina Lollobrigida. Als Clair 1952 diesen Film inszeniert, steht Gérard Philipe auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Als sensibler Musiklehrer Claude leidet er unter dem Presslufthammer auf der Straße, der ihn fast zur Verzweiflung bringt. In seiner Not flüchtet er sich in eine Traumwelt: Er sieht sich als Sieger von Algier 1830, als Freiheitsheld der französischen Revolution und als gefeierter Komponist der belle epoque. Und natürlich liegen ihm stets die schönsten Frauen zu Füßen, wie die Haremsdame Gina Lollobrigida und die Schlossherrin Martine Carol. Voller Liebreiz und Phantasie.

Und später, 1955, sieht man Gérard Philipe noch einmal bei Clair. Er spielt einen rücksichtslosen Herzensbrecher in Husarenuniform: Armand de la Verne in "Das große Manöver" (1955). "Immer wenn das Licht ausgeht" (1957) heißt Julien Duviviers Film nach einem Roman von Emile Zola. Da geht es ebenso illusionslos wie provokativ um zwei Gesellschaftsklassen in einer Mikrowelt: Ein vornehmes Pariser Mietshaus mit Vorderhaus und Hintertreppe ist Modell der bürgerlichen Gesellschaft Mitte des vorigen Jahrhunderts. Obwohl strenge Moral oberste Pflicht ist, werden - wenn das Licht ausgeht - gelegentlich Vorder- und Hintertreppe verwechselt. Nicht um soziale Schranken aufzuheben, sondern um Sex- und Machtgier zu ihrem Recht zu verhelfen. Wirkliches Vergnügen bleibt dabei im Halse stecken, zu monströs und verklemmt sind die besitzenden und besitzlosen Spießernaturen.

Obwohl gleich drei renommierte Autoren (neben Duvivier noch Leo Joannon und Henri Jeanson) Zolas zynisch episches Pamphlet zum Filmdrehbuch verarbeitet haben, geriet zuviel an sozialem und kritischem Zündstoff ins Abseits, was schon die Straußsche Wiener Gemütlichkeit akustisch deutlich macht. Aus Monstern werden Trottel, die Spießbürger sind letztlich doch alle ganz nett, und bei allem Stress ist alles doch ganz schön und harmlos. Gérard Philipe macht aus dem kleinen Aufsteiger Octave, der für die Karriere bereit ist, über Leichen zu gehen, einen liebenswerten Bel ami, der vom kleinen Verkäufer über das Bett einer ansehnlichen und betuchten Witwe an ein (beinahe) eigenes Warenhaus gerät. Die Besetzung freilich ist das Ansehen wert: neben Gérard Philipe glänzen die Damen Danielle Darrieux, Anouk Aimée, Claude Nollier, Jane Marken und die kesse Dany Carrel. Michael Kelber hat das Ganze in brillanten Schwarzweiß-Bildern abgelichtet.

"Montparnasse 19" (1957) war eines der großen Projekte des deutsch-französischen Regisseurs Max Ophüls, ein Film über den Maler Amedeo Modigliani. Ophüls konnte noch - gemeinsam mit Henri Jeanson - ein Drehbuch schreiben, starb aber vor Beginn der Dreharbeiten. Sein Freund und Bewunderer Jacques Becker übernahm das Projekt, schrieb das Buch um und inszenierte den Film zum Gedächtnis von Max Ophüls.

Die Filmgeschichte bezeichnet "Montparnasse 19" weithin als misslungene Arbeit, und vielleicht kann man dem Film auch stilistisch Brüche anmerken, die sich zwischen das urspüngliche Projekt und Beckers andersartige Inszenierung geschoben haben. Doch man wird die ungewöhnliche Sensibilität der Gestaltung, der Darstellung erkennen, wird die nüchterne Zurückhaltung spüren, mit der hier nachempfunden wurde. Nicht Unsicherheit, sondern Scheu bestimmt Gérard Philipes Darstellung des Malers. Marguerite Renoir, die Cutterin, vermeidet knappe Schnitte. Jacques Becker war nie Trommler, nie Sensation-Regisseur, er hat es immer verstanden, seine Geschichten sehr ruhig und nachdenklich zu erzählen. So ist das vor allem für Philipe eine wunderschöne Arbeit.

Zu den aufsehenerregendsten Filmen des beliebten Stars gehört Roger Vadims "Gefährliche Liebschaften" (1960). Pierre-Ambroise François Choderlos de Laclos (1741-1803), Offizier und Privatsekretär des Herzogs von Orleans in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, erlangte durch seinen Briefroman Popularität - sowohl als süffisanter Erzähler als auch scharfer Kritiker seiner Zeit und seines Standes. Der Roman spielt in den Salons des französischen Adels in einer Phase der gesellschaftlichen Verwahrlosung, wo der politische Umbruch nur noch eine Frage der Zeit war: Bald wird die Revolution die Klasse hinwegfegen, Köpfe werden rollen, der moralische und sittliche Verfall in den Salons wird den Prozess noch beschleunigen. Um den Roman durch die Zensur zu bekommen, hatte de Laclos ein Happyend angepappt, das deutlich als aufgesetzt erkennbar ist. Der Geist oder Ungeist des vorrevolutionären Frankreichs, wie ihn Choderlos de Laclos dingfest macht, reizt 1960 bereits Roger Vadim, die Geschichte in unsere Zeit zu versetzen. Der Film, glänzend besetzt, war im Endeffekt jedoch nur genüsslich erotisches Emotionskino, aber für Schauspieler wie Jeanne Moreau und Gérard Philipe ein ganz großer Erfolg.

Unter allen Filmen aber hat einer Gérard Philipe zum Mythos gemacht: Christian-Jaques "Fanfan, der Husar" (1952). Die Geschichte vom fröhlichen Jungen, der sich von der verführerischen Adeline (Gina Lollobrigida) anwerben lässt, die ihm weissagt, dass er die Tochter Ludwig XV. Henriette heiraten werde. Das Ganze ist eine wunderschöne, abenteuerliche, tänzerisch beschwingte Parodie auf den Unsinn des Krieges. 1951 heiratet Philipe Nicole Fourcade, die sich später Anne Philipe nennt. Sie haben eine Tochter Ann-Marie (Jg. 1954) und einen Sohn Olivier (Jg. 1957). Überraschend stirbt der beliebte Star kurz vor seinem 37. Geburtstag an Leberkrebs. Er hat gerade in Mexiko unter der Regie von Luis Buñuel seinen letzten Film abgedreht "Für ihn verkauf' ich mich" ist der deutsche Titel. 1963 veröffentlicht seine Frau die Erinnerungen and den Schauspieler: "Le temps d'un soupir". Weitere Filme mit Gérard Philipe: "Aufenthalt vor Vera Cruz", "Römischer Reigen", "Villa Borghese" (alle 1953) und "Das Spiel war sein Fluch" (1958).

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