"Zwei zu Eins": Was wurde aus dem "Milliardengrab" von Halberstadt?
"Den ersten Anblick der meterhohen Geldstapel unter Tage werde ich wohl nie vergessen, es war eine filmreife Szenerie und wirklich kaum zu fassen": KfW-Pressesprecherin Christine Volk spricht anlässlich des Kinostarts über die wahren historischen Hintergründe der Komödie "Zwei zu Eins".
Berge von Ostgeld
Die Sehnsucht nach dem Westgeld war groß, die Botschaft, kundgetan bei zahlreichen Demonstrationen, unmissverständlich: "Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr", hieß es bald nach dem Mauerfall. Der Druck auf den Straßen der DDR war massiv, und mit der Währungsunion zum 1. Juli 1990 nahm der Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus mit der Einführung der D-Mark seinen Lauf. Natja Brunckhorsts furiose Nachwende-Komödie "Zwei zu Eins" (ab 25. Juli im Kino) erzählt nun mit viel Augenzwinkern von einem ganz besonderen Kapitel jener Zeit: Sie setzt an in Halberstadt, heute Sachsen-Anhalt, im Sommer 1990: Maren (Sandra Hüller), Robert (Max Riemelt) und Volker (Ronald Zehrfeld) kennen sich seit ihrer Kindheit. Als sie – rein zufällig – in einem alten Schacht die Millionen der DDR entdecken, die dort eingelagert wurden, um zu verrotten, trauen sie ihren Augen nicht: Da lagen Scheine ohne Ende – Türme, nein, Berge von Geld!
Wie war das damals wirklich mit dem alten Ostgeld? Was wurde aus den Scheinen, die plötzlich wertlos waren? Und welchen Sammlerwert hat die alte Mark heute? Christine Volk, Pressesprecherin der Förderbank KfW, seit 1994 Rechtsnachfolgerin der Staatsbank der DDR und damit auch für das "Milliardengrab" unter Tage verantwortlich, kennt die historischen Hintergründe des Films.
prisma: Frau Volk, der Kinofilm "Zwei zu Eins"" setzt sich mit den Irrungen und Wirrungen der Nachwendezeit und der Währungsunion auseinander. Vor welchen Herausforderungen stand die KfW seinerzeit?
Christine Volk: Mit dem Fall der Mauer stand die Frage im Raum, wie die KfW als Förderbank des Bundes das Zusammenwachsen zweier völlig unterschiedlicher Wirtschaftssysteme unterstützen kann. Nachdem im Frühjahr 1990 die politischen Weichen für die staatliche Einheit des geteilten Deutschlands gestellt waren, nahm die Förderung für den Aufbau Ost schnell konkrete Formen an: Die KfW legte binnen weniger Wochen Förderprogramme für Mittelstand und Gründer auf, hat bei der Modernisierung des ostdeutschen Wohngebäudebestands unterstützt und Kommunen bei Umwelt- und Infrastrukturinvestitionen geholfen. Die Wiedervereinigung wurde am 3. Oktober 1990 vollzogen. Bereits seit 1. Juli 1990 jedoch war die D-Mark Zahlungsmittel auch in Ostdeutschland.
prisma: Die Ost-Mark hatte mit der Währungsunion ihre Gültigkeit verloren und wurde aus dem Umlauf genommen ...
Christine Volk: Damit hatte die KfW erst einmal gar nichts zu tun – hierfür war die damalige Notenbank der DDR, die Staatsbank, zuständig. Sie wurde 1994 auf die KfW verschmolzen. Und damit haben wir auch das Erbe des DDR-Geldes angetreten.
"Das Papiergeld sollte unter Tage verrotten"
prisma: Die Münzen wurden tonnenweise zur Metallgewinnung eingeschmolzen. Was mit den Banknoten geschah, wissen aber vermutlich längst nicht alle ...
Christine Volk: Die Staatsbank der DDR hatte mit der Entsorgung des Papiergeldes binnen kurzer Zeit alles andere als eine einfache Aufgabe, zumal in der DDR kein etabliertes Verfahren dafür existierte, auf das man hätte zurückgreifen können. Die Staatsbanker haben sich für eine Einlagerung der Banknoten in einer Untertageanlage nahe Halberstadt in Sachsen-Anhalt entschieden, weil Möglichkeiten für eine Verbrennung oder Schreddern mangels Kapazitäten ausschieden. Das gesamte Umlaufgeld, aber auch die in den Tresoren der Staatsbank vorgehaltenen Währungsreserven, wurden in einen unterirdischen Stollen der damals in Teilen vom ostdeutschen Militär genutzten Anlage gebracht. Den gut 50 Meter unter der Erdoberfläche liegenden Stollen hat man mit einer zwei Meter dicken Betonwand verschlossen. Das Papiergeld sollte unter Tage verrotten. Das hat ein Gutachten, das die Staatsbank in Auftrag gegeben hatte und heute im Historischen Konzernarchiv der KfW liegt, bestätigt.
prisma: Die KfW, seit 1994 Rechtsnachfolgerin der Staatsbank der DDR und damit auch für das "Milliardengrab" unter den sogenannten Thekenbergen verantwortlich, wähnte die Geldberge unter der Erde also lange Zeit ganz gut aufgehoben?
Christine Volk: Mit der Fusion der Staatsbank auf die KfW ging auch das Eigentum an den eingelagerten Scheinen über. Die Untertageanlage war in den 90-ern privatisiert worden, blieb aber ohne weitere Nutzung. Die KfW hat regelmäßig vor Ort kontrolliert und überprüft, dass die Banknoten sicher eingelagert sind. Viele Jahre gab es daran keine Zweifel. Bis Mitte 2001 auf dem Sammlermarkt DDR-Geldscheine auftauchten, die zwar etwas muffig rochen, aber insgesamt alles andere als verrottet waren. Darunter befanden sich auch 200- und 500-Mark-Scheine, die in der DDR nie im Umlauf befindlich, sondern direkt aus dem Tresor der Staatsbank in den Stollen gewandert waren. Das unter Sammlern aufgetauchte Geld musste also mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Stollen stammen.
prisma: Was geschah dann?
Christine Volk: Wir haben sofort Mitarbeiter des KfW-Sicherheitsmanagements nach Halberstadt entsandt. Die stellten vor Ort fest, dass in der Beton-Abschlusswand des Geldstollens in etwa fünf Metern Höhe ein Loch klaffte.
"Uns war klar: Wir müssen den Mythos eines vergrabenen Schatzes beenden"
prisma: Es gab also tatsächlich Einbrecher und Diebe?
Christine Volk: Ganz offensichtlich. Unser Sicherheitsdienst ist danach auf dem Gelände der Untertageanlage Streife gelaufen und hat direkt in der folgenden Nacht zwei Männer auf frischer Tat ertappt, die mit Rucksäcken voller DDR-Geldscheinen unterwegs waren. Die beiden waren über Lüftungsschächte in das Stollensystem eingedrungen, wurden später vor Gericht gestellt und zu Bewährungsstrafen verurteilt. Wir in der KfW wussten ab dem Sommer 2001, dass das alte DDR-Geld unter Tage weder verrottet noch sicher eingelagert war. Das Risiko war hoch, dass immer wieder Menschen versuchen, unter Tage nach dem Geld zu suchen. Ein lebensgefährliches Unterfangen! Das Stollensystem ist tief unter der Erde, mehrere Quadratkilometer groß, unübersichtlich wie ein Labyrinth, und es gibt keinerlei Beleuchtung. Uns war klar: Wir müssen den Mythos eines vergrabenen Schatzes beenden – und die Scheine rausholen und endgültig entsorgen.
prisma: Wie darf man sich das vorstellen? Wie und wo entsorgt man Berge von Geldscheinen?
Christine Volk: Für das Szenario der Entsorgung von unter Tage eingelagerten großen Mengen an Geldscheinen gab es keine Blaupause. Die KfW hat mehrere Verfahren geprüft und musste dabei neben technischen auch bergbauliche und Sicherheitsaspekte berücksichtigen. Letztendlich haben wir die Scheine verbrannt. Konkret wurde im März 2002 zunächst die aufgebrochene Stollenabschlusswand vollständig abgetragen. Dahinter lagen auf einer Gesamtlänge von 300 Metern etwa fünf Meter hoch gestapelt DDR-Banknoten, insgesamt etwa 3.000 Tonnen. Die Scheine waren mit Sand, Kies und Steinen vermischt. Per Radlader wurde das Gemisch aus dem Stollen in einen ausgebauten Vorraum der Untertageanlage gebracht, wo die Bestandteile in industriellen Trommelsieben voneinander getrennt wurden. Per Lastwagen ging das DDR-Papiergeld dann auf seine letzte Reise zur Müllverbrennungsanlage BKB Buschhaus. Dort wurden die Banknoten mit Hausmüll vermischt und verbrannt.
prisma: Und bereits Ende Juni 2002 wurden die letzten Scheine durch die KfW aus dem Stollensystem herausgeholt und endgültig entsorgt ...
Christine Volk: Das stimmt. Und damit hat das Papiergeld der DDR die D-Mark-Banknoten, wenn man so will, physisch überlebt, denn die Bargeldumstellung zum Euro fand ja am 1. Januar 2002 statt. Ende Juni 2002 ist der letzte von insgesamt 298 Lkw-Containern mit Ostmark aus dem Stollen zur Müllverbrennungsanlage gefahren. Die bei der Verbrennung entstandene Schlacke hat man übrigens im Straßenbau eingesetzt, wo sie andere Baustoffe ersetzen konnte.
"Es lag eine Mischung aus Faszination und Unglauben in der Luft"
prisma: Wie blicken Sie aus heutiger Sicht auf das Thema?
Christine Volk: Für manch einen mag das eine Randnotiz der ostdeutschen Währungsgeschichte sein, für viele andere jedoch ist es ein historisches Ereignis, das damals und auch heute im Rückblick vielfältige Emotionen hervorruft. Ich selbst war 2002 schon für die Kommunikationsabteilung der KfW tätig und mehrere Male mit Journalisten vor Ort in Halberstadt. Den ersten Anblick der meterhohen Geldstapel unter Tage werde ich wohl nie vergessen, es war eine filmreife Szenerie und wirklich kaum zu fassen. Allen, die vor Ort waren, ging es ähnlich: Es lag eine Mischung aus Faszination und Unglauben in der Luft, angesichts der schieren Menge der Geldscheine. Speziell bei Menschen mit DDR-Biografie war aber auch Melancholie und Nachdenklichkeit zu spüren. Bargeld ist eben mehr als nur Papier, es ist ein fester Bestandteil unseres Alltags, den wir täglich in der Hand haben. Und im Fall des DDR-Geldes steht es für einen Staat und ein Wirtschaftsmodell, das unterging, für den Bruch in der eigenen Biografie, den die ostdeutschen Menschen erlebt haben.
prisma: Gibt es noch Sammlungen alter Ost-Mark-Bestände und Schätzungen, wieviel altes Geld aus der DDR heute noch in privatem Besitz ist?
Christine Volk: Es gibt eine Sammlung im Historischen Archiv der KfW, das die Hinterlassenschaft der Emissionsabteilung der Staatsbank der DDR und deren geldgeschichtliche Sammlung verwahrt. Außerdem sind kleinere Bestände in Museen zu sehen, etwa im Geldmuseum der Bundesbank in Frankfurt, im Bodemuseum Berlin und in diversen DDR-Museen. Welcher Umfang sich noch im Privatbesitz befindet, lässt sich nicht ermitteln.
prisma: Hat die Ost-Mark heute einen Sammlerwert?
Christine Volk: Die Banknoten haben heute ideellen und in Teilen einen geringen Sammlerwert, umtauschen lassen sie sich ja seit Juli 1990 nicht. Die Faszination der Sammler konzentriert sich auf besondere Scheine, Musterstücke und die nie in Umlauf gegebenen 200-er und 500-er. Der Preis, für den solche Scheine auch immer wieder mal angeboten werden, liegt bei vielleicht 10 bis 15 Euro. Wir gehen öffentlichen Angeboten – etwa online – übrigens durchaus nach und mahnen das ab. Es handelt sich letztlich um Hehlerei.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH