"Tatort" Dresden: Mordwerkzeug Goldene Henne

Was hat einen Schauspieler wie Martin Brambach bloß bewogen, bei einem Film mitzumachen, in dem jeder Gag in Großbuchstaben angezeigt wird?
In der stärksten Szene von Auf einen Schlag, dem ersten Tatort aus Dresden, bleibt Martin Brambach das Gesicht stehen. Landläufig ist man in einem solchen Moment geneigt zu sagen, dass jemandem "die Züge entgleisen" oder "entgleiten". Aber sie entgleiten eben nicht, sie versteinern. Was eben noch vor Leben sprühte, sieht plötzlich wie gemeißelt aus.
Martin Brambach spielt in Dresden, seiner Geburtsstadt, den verschusselten Kommissariatsleiter Schnabel. Als solcher nimmt er während einer Vernehmung einen Anruf entgegen, bei dem ihm mitgeteilt wird, dass eine seiner Mitarbeiterinnen soeben erschlagen aufgefunden wurde.
Das ist der Moment, in dem Brambach erstarrt. Mehr noch, in der Erstarrung lässt er, ohne dass man ein Wort hören würde und ohne dass Brambach einen Mucks machte, einen Abgrund von Betroffenheit, Trauer und ohnmächtiger Wut spüren. Das ist große Kunst.
Das ist der Moment, in dem der Fernsehzuschauer daran erinnert wird, dass es sich bei Martin Brambach um einen der fünf, sechs besten Schauspieler Deutschlands handelt. Aus dem Film heraus hatte sich das bis dahin nicht ergeben.
Martin Brambach wird zum Kasper gemacht
In diesem Film ist er schlimmer dran als auf verlorenem Posten, er wird zum Kasper gemacht. Da hat sich Brambach möglicherweise von verschiedenen Faktoren zu etwas verleiten lassen, was ihn im Nachhinein ärgern dürfte.
Aber bevor wir das erörtern, sollten in diesem als Frauenfilm gemeinten Tatort die beiden Kommissarinnen und die Kriminalanwärterin betrachtet werden. Karin Hanczewski (als Karin Gorniak) und Alwara Höfels (als Henni Sieland) sind die Chefinnen des Spiels. Sie sind sich nicht wirklich grün, aber auch nicht spinnefeind; sie sind sympathisch und diensteifrig, aber, und das ist einer von vielen Fehlern der Produktion (Wiedemann & Berg Television), falschherum besetzt.
Karin Gorniak spielt eine alleinerziehende Mutter, die den Dienst mit ihrem pubertierenden Sohn Aaron arrangieren muss. Was eine glaubhafte Rolle für Alwara Höfels (33) wäre.
Henni Sieland wiederum pendelt zwischen großem, vielleicht übergroßem Ehrgeiz und der Melancholie der Beziehungslosigkeit. Eine Rolle, auf die Karin Hanczewski (34) passte.
Jella Haase ist die Attraktion im Ensemble
Die Dritte im Bunde ist, das muss man nach zweimal "Fack ju Göhte" sagen, die Attraktion im Ensemble: Jella Haase gibt ein großäugiges Nesthäkchen von einer Polizeianwärterin, hört auf den Namen Maria Magdalena Mohr (was haben wir gelacht!) – und glaubt, Polizei könne eigentlich jeder, wenn er sich nur genug reinhängt.
Der Film (Drehbuch Ralf Husmann) konzentriert sich, abgesehen von etlichen touristischen Bildern, auf zwei Lebensbereiche: Dem polizeinternen, wo die Mädels taff und lustig sind, ihr Obermufti Schnabel aber zu doof, sich eine Tasse Kaffee zu ziehen oder ins Internet zu gelangen. Soll lustig sein.
Die zweite Welt ist a priori lustig, die Volksmusik, in welcher ein Komödienstadl-reifes Hauen und Stechen um sich greift, ja sogar ein handfestes Zuschlagen mit der "Goldenen Henne".
Hier zertrümmert sie den Schädel eines beliebten und (streng geheim!) schwulen Schlagerlieblings, während sie normalerweise dazu dient, die volkstümlichsten der Volksmusikanten im Namen einer Boulevard-Illustrierten auszuzeichnen.
Im Namen der Goldenen Henne benehmen sich die "Manager" der Demenzmusik entweder wie Trottel vom Dorfe (Hilmar Eichhorn als Rollo Marquardt) oder wie ein Vorstadt-Schlaumeier (Andreas Guenther, der ewige Fiesling aus dem Rostocker Polizeiruf 110). Dass sie je ein Konzert auf die Bühne stellen könnten, nimmt man ihnen nicht ab.
Alexandra Finder (als Volksmusiksängerin Tina Derlinger) ist die Einzige aus dieser Szene, die ihrer Rolle - Naivität gepaart mit Erfolgsgeilheit - einen Funken Glaubwürdigkeit abgewinnt.
Ein Fall für die Vorabend-Serien und als Komödie zu einfallslos
"Auf einen Schlag" ist als Krimi ein Fall für die Vorabend-Serien und als Komödie zu einfallslos, um es mit dem Münster-Tatort aufzunehmen, der Martin Brambachs Stiefbruder Jan Josef Liefers zum Star machte.
Was also hat ihn bewogen, hier mitzumachen und den Clown zu mimen? Liefers nachzuahmen kann es nicht gewesen sein. Brambach ist bombig im Geschäft und als Schauspieler profilierter. Unter anderem hat er in zwei Filmen mitgewirkt, die mit dem Oscar ausgezeichnet wurden ("Die Fälscher", "Das Leben der Anderen"). Seine Fernsehauftritte (auch in anderen Tatort-Folgen) sind so häufig, dass von vorsichtiger Rollenauswahl keine Rede sein kann. Das ist auch hier sein Problem.
War es das Drehbuch von Ralf Husmann, das ihn ins Tatortkommissariat lockte? War es Dresden? Letzteres eher nicht. Brambach bezeichnet Dresden, auch wenn er dort geboren wurde, nicht als seine Heimat. Eher schon Berlin, wo er im Haushalt von Liefers' Vater aufwuchs.
Husmann bringt als Empfehlung die "Stromberg"-Serie mit. Doch "Stromberg" war eine Hardcore-Persiflage für Leute, die einen Witz in Großbuchstaben brauchen, um darüber lachen zu können. Und genau das praktiziert Husmann auch hier.
Schade. Um die guten Schauspieler, um Dresden, um die verlorene Zeit des Fernsehzuschauers.
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