"Tatort: Im Wahn": Am Ostermontag ermittelt Falke (Wotan Wilke Möhring) mit der Göttinger Kommissarin Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) und Peri Baumeister als Gast-Kommissarin. Ein Messerstecher hat im Bahnhof von Hannover zwei Menschen getötet. Eine KI soll den Fall aufklären.
"Was wird das, eine Neuauflage von Kasparow gegen Deep Blue vor 30 Jahren?", wird Old-School-Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) gefragt. In den ersten Minuten vom "Tatort: Im Wahn" wird klar: Eine Künstliche Intelligenz soll per Sondergenehmigung bei der Aufklärung eines Verbrechens im Hauptbahnhof von Hannover helfen. Ein Unbekannter hat dort aus der Anonymität der Masse heraus zwei Menschen tödlich mit dem Messer verletzt. Er kam unerkannt davon. Das Computersystem soll nun per Big-Data-Analyse herausfinden, welche Personen aus der Menge als Täter am wahrscheinlichsten sind.
Deep Blue war im Jahr 1997 übrigens der erste Computer, der einen amtierenden Schachweltmeister in New York unter Turnierbedingungen besiegte. Im Jahr davor in Philadelphia hatte Garri Kasparow den Wettkampf gegen den IBM-Computer noch mit 4:2 Punkten gewonnen. Nach 1997 hatten menschliche Schach-Champions gegen Maschinen kaum noch eine Chance. Steht nun auch eine Wachablösung in Sachen Verbrechensbekämpfung an? Diese Frage stellt der "Tatort" am Ostermontag, der auf ein wohl einmaliges Ermittler-Trio setzt.
BKA-Direktorin Gabriele Seil (Anna Stieblich) hat sich eine Sondererlaubnis besorgt, um im Fall der Auswertung hunderter Handy-User am Bahnhof auf die britische Verbrechensbekämpfungs-KI "Kroisos" zurückzugreifen. In Deutschland ist sie eigentlich (noch) nicht erlaubt. Chefin Seil steht Finn Jennewein (Thomas Niehaus) zur Seite, der für Deutschland zuständige Mitarbeiter des Londoner KI-Konzerns. Auch Menschen dürfen mitermitteln. Neben Falke sind es Yael Feldman (Peri Baumeister) von der Kripo Hannover und die aus Göttingen bekannte Anaïs Schmitz (Florence Kasumba). Warum die Ex-Partnerin von Maria Furtwängler aus dem längst abgewickelten "Tatort"-Standort hier noch einmal auftaucht, bleibt ein wenig rätselhaft. Zur Handlung trägt die Figur eher wenig bei. Vielleicht galt es, noch einen vertraglich zugesicherten Film abzuarbeiten.
Nichtsdestotrotz geraten die drei fleischlichen Ermittler schnell ins Hintertreffen. Die Software präsentiert zeitnah einen psychisch schwer angeschlagenen Mann als Täter. Alle Daten scheinen zu passen, auch wenn die Schwester des Überführten (Maria Dragus) verzweifelt von dessen Unschuld überzeugt ist. Dann befeuert eine weitere Tat die Skepsis Falkes gegen die Urteilskraft der Maschine. Er beginnt, in andere Richtungen zu ermitteln. Können Informationen des investigativen Journalisten Moritz Staub (Garry Fischmann) dabei helfen. Natürlich erzählt "Tatort: Im Wahn" auch davon, ob Falke und seine Mitstreiter im Kampf gegen das Verbrechen im Wettbewerb mit der KI bestehen werden. Oder geht es den Ermittler-Gehirnen aus Fleisch und Blut wie 1997 Garri Kasparow: Müssen Sie einsehen, dass der Mensch bei der Lösung komplexer Aufgaben das Feld lieber Schaltkreisen überlassen sollte?
"Besser gläsern als tot", lobt eine Radiomoderatorin die KI, als der Täter im Film (Buch: Georg Lippert) schnell überführt zu sein scheint. Allein wegen der bis dahin spärlich verflossenen Spielzeit weiß man natürlich: Da kommt doch noch was! Der Krimi beginnt stark: Die 40-jährige Schweizerin Viviane Andereggen (Regie) erforscht in einer bedrohlichen Anfangssequenz die Menschenmenge am belebten Ort eines großstädtischen Hauptbahnhofs. Sie schaut in anonyme Gesichter und die scheinen – ungewöhnlich für einen Fiction-Film – zurückzublicken. Die meisten eher unfreundlich. Man fragt sich: Sind das alles mögliche Täter – oder Opfer? Wenig später hat ein Unbekannter mit beiläufig verabreichten, aber gezielten Stichen erst einen, dann zwei Menschen getötet. Der Schutz der Masse, man glaubt es schon länger in Deutschland zu wissen, scheint eher einem Gefühl von Bedrohtsein in der Masse zu weichen.
Auch wenn der Krimi im Verlauf nicht das hohe atmosphärische Niveau der Anfangsminuten hält, der Fall ist dennoch spannend – was nicht nur an seinem Thema liegt, sondern auch an der besonderen Ausstrahlung von Peri Baumeister ("Das Signal"), die hier – einmalig oder nicht, man weiß es noch nicht – die Gastermittlerin gibt. Dass die filmischen Argumente rund ums Trendthema "Was darf KI?" ein wenig plakativ geraten sind – sei's drum. Dass die KI-Software "Kroisos" heißt, was ein bisschen nach Krösus und damit Geldmacherei um jeden Preis klingt, ist ein klassisches Drehbuch-Klischee. Ebenso wie jene Szene, in der ein Investigativjournalist 200 Euro verbrennt, die er durch den Erwerb einer Kroisos-Aktie verdient hat.
"Die Wahrheit steht nicht zum Verkauf" heißt es und börsennotierte Wahrheitsfinder haben selbstredend moralische Schwächen gegenüber der unbestechlichen Gerechtigkeitsintelligenz eines Thorsten Falke. Er und das, wofür er steht, sollte im "Tatort" wie im echten Leben – der modernen Zeiten wegen – bitte noch lange nicht entsorgt werden.
Tatort: Im Wahn – Mo. 21.04. – ARD: 20.15 Uhr