Lars Eidinger spielt hier den Letzten zum Tode Verurteilten in der DDR. Der Spielfilm ist angelehnt an das Schicksal des Spions Werner Teske, der 1981 als Letzter mit einem überraschenden Genickschuss hingerichtet wurde.
Sieben Jahre recherchierte und arbeitete die Autorenregisseurin Franziska Stünkel an ihrem Spielfilm "Nahschuss", der tatsächliche und erfundene Begebenheiten aus dem Leben eines Mitarbeiters des Auslandsnachrichtendienstes der DDR miteinander verquickt. Angelehnt ist der Film an das Schicksal des 1981 wegen angeblicher Spionage zum Tode verurteilten Werner Teske, dem letzten mittels unerwartetem Genickschuss Hingerichteten in der DDR.
Zunächst glaubt man, der Film, der im Sommer 2021 in die Kinos kam (Koproduktion ZDF und ARTE, TV-Erstsendung), sei schon vorbei, bevor er überhaupt begonnen hat. Da willigt Franz Walter (Lars Eidinger) der frisch gebackene Doktorand der Humboldt-Universität, auf dem Balkon seines Plattenbaus, überrollt vom Glück, in das Angebot seiner Professorin ein, ihr Nachfolger zu werden. Allerdings gibt es einen Haken: Ein zugleich anwesende Stasi-Führungsoffizier (Devid Striesow) lässt ihn eine Verpflichtung zum Auslandsnachrichtendienst der DDR unterzeichnen. Seine erste Aufgabe sei es, einen in den Westen geflohenen Profifußballer, einen Vorzeigesportler, für die Rückkehr in die DDR zu gewinnen.
Die Unterzeichnung des Vertrags kommt trotz gleichzeitigem Geschenk einer Superwohnung derart schnell, dass jeder denkt, das Drama und damit jeder weiterer Werdegang sei hier gelaufen. Tatsächlich hat sich mit dem Federstrich ein Leben verändert. Doch der Film, der zu Beginn eher hakelig wirkt – es wird vor und zurückgeblendet und von Ost nach West geswitcht -, fängt sich vor allem im zweiten Teil, wenn die Stasi-Machenschaften immer monströser geraten und die Konstellation zwischen Opfer und Tätern immer teuflischer wird.
Da ist jedes Mittel recht, um an den entflohenen Profi heranzukommen und damit den eingefangenen neuen Mitarbeiter unter Druck zu setzen, der aus der Vergangenheit eine indirekte Beziehung zum Geflüchteten vorweisen kann. Rotlicht-Erpressung und Beischlaf sind da noch die simpelsten Mittel, eine Krebserkrankung der in der DDR zurückgebliebenen Ehefrau wird erfunden. Walters Vorhaben, hier auszusteigen, wird durch die Androhung verhindert, die Augenoperation seiner Mutter aufzuschieben.
So setzt sich eine Abwärtsspirale fort, die man nicht für möglich gehalten hatte. Schließlich wird auch noch die angeblich vorbildliche Stasi-Mitarbeit von Walters Frau Corina (Luisa Heyer) behauptet, ihr Geheimhaltungsvertrag wird Walter bei der Aufdeckung seiner "Spionage" unter die Nase geschoben. Er habe sich zur Flucht entschlossen und wolle gesammelte Geheimdokumente mit in den Westen tragen.
Die Gegenüberstellung Walters mit seiner Frau Corinna ist zweifellos die ergreifendste Szene des gesamten Films, dem sonst häufig der Kunstwille eines Erstlings anzumerken ist. Die Stille des Entsetzens, aber auch das darauf folgende wortlose Verzeihen, ergreifen. Die Geschichte mit dem nur aufgemalten "Kuli-Ring", der wertvoller als jeder goldene sei, weil er nach Krisen "immer neu aufgemalt werden muss" wie Corina eingangs in einer Liebesszene sagt, ist schlichtweg genial. Eidinger gibt den Hochzeitsring zurück und malt ihn dann neu.
Aber auch während des skandalösen Prozesses vor dem Militärgericht läuft Eidinger zu erwartbarer Größe auf. Ein Häuflein Elend, das da neben seinem schweigenden Pflichtverteidiger sitzt und vergeblich um Gnade bittet. Hinter solchen Momenten werden Kunstgriffe wie die fortdauernde Sepia-Einfärbung und die drastische Gegenüberstellung von brauner Furnierausstattung-Ost und westlichem weißen Glanz einigermaßen unerheblich. Das Spinnennetz, in dem dieser Franz Walter von Anfang an verfangen ist, wird mit den Händen greifbar – auch für den Zuschauer.
Nahschuss – Fr. 10.03. – ARTE: 20.15 Uhr