In "Der Mann aus dem Eis" versetzt sich Jürgen Vogel zurück ins Südtirol der Jungsteinzeit und jagt eine Bande mordlustiger Plünderer quer über die Ötztaler Alpen. Seine Geschichte bewegt die Menschen auch noch 5300 Jahre später. Wir sprachen mit Jürgen Vogel über die Erfahrungen, die er als "Ötzi" gemacht hat.
Was ist so faszinierend an der "Ötzi"-Geschichte?
Ich glaube, das ist der am besten untersuchte Mordfall der Geschichte, obwohl man über die Zeit so wenig weiß. Aber kaum ein anderer historischer Fall hat so viele Wissenschaftler und Analysten auf den Plan gerufen.
In dem Film ist die Natur der eigentliche Star. Ist Ihnen das schon bei den Dreharbeiten bewusst gewesen?
Auf jeden Fall. Für uns Beteiligte ist der Dreh wunderschön gewesen. Wir waren der Natur praktisch ausgesetzt, mussten täglich eine gewisse Strecke wandern, um zu diesem Motiv am Set zu gelangen. Dahin konnte man nicht mal eben mit dem Auto fahren. Die damaligen Menschen mussten ebenfalls viel laufen und das essen, was sie gefunden haben. Sie waren permanent in Bewegung. Das ist in der Natur des Menschen verankert. Nur so haben wir damals überlebt.
War es eine Herausforderung, sich in die Rolle hineinzufinden?
Wir hatten ja zum Glück eine gute Vorlage. Ich glaube, jeder kann sich vorstellen, wie es ist, in großer Verzweiflung und Wut, Menschen zu verfolgen, die einem großes Unheil angetan haben. Auf der anderen Seite muss man sich im Klaren sein, dass dieser Mensch jeden Tag ums Überleben gekämpft hat. Und das macht natürlich was mit einem. Man fragt sich, ob man den Tag herumbekommt und am Abend noch wohlauf ist. Wie beschafft man sich außerhalb des eigenen Dorfes Nahrung? Wie schafft man es, in diesen Höhlen nicht zu erfrieren? Was hast du dabei, um dich vor einem Schneesturm zu schützen? Es geht um die essenziellen Dinge. Und das ist eben etwas ganz anderes, als morgens aufzuwachen und sich zu fragen, ob man gute Laune hat.
Waren Sie am Ende des Drehtags froh, ein Dach über dem Kopf zu haben oder zog es Sie gleich wieder zurück in die Berge?
Mich zieht es tatsächlich immer wieder in die Berge. Ich war nach dem Dreh noch zweimal in Südtirol, weil man sich da einfach so krass selbst spürt. Ich kann beispielsweise jedem, der sich in einer Krise befindet, nur raten, mal in die Berge zu gehen und das zu erleben. Das ist eine ziemlich gute Therapie. Aber auch für jeden anderen Menschen wirklich ein prägendes Erlebnis.
Die Dialoge im Film wurden in einer Sprache vermittelt, die aus Anteilen des Rätischen zusammengesetzt wurde, aber auch Teile enthält, die man nicht zuordnen kann. Untertitel gibt es ebenfalls nicht. Wie vermittelt man da als Schauspieler Kommunikation?
Wenn man sich Ötzis Reise anschaut, dann sieht man, dass er ja nur dann sprechen muss, wenn er mit anderen Leuten zusammen ist oder eben bei "öffentlichen" Anlässen. Zum Beispiel bei einem Ritual, einem Gebet oder einer Beerdigung. Dazu hatten wir einen Katalog von Möglichkeiten zur Gestaltung der Sprache. Die Geschichte hat nicht viel mit Situationen zu tun, bei denen viel geredet wird. Es geht viel mehr um die Reise und seinen Rachefeldzug. Natürlich fehlt ein Element der Kommunikation, aber ich fand das eigentlich ganz schön, weil es herausfordernd ist, ohne dieses Element Spannung zu erzeugen und zu erreichen, dass der Zuschauer an der Geschichte dranbleibt und den Protagonisten als Identifikationsfigur eines Rachefeldzugs sieht, aber weniger als jemanden, der mit verbaler Kommunikation Probleme löst oder darüber redet wie er sich fühlt. Das ist natürlich ein Risiko, aber ich mag so etwas.
Trotz seiner Rachegelüste verhält sich Ötzi nicht hundertprozentig so, wie man es erwartet.
Weil es auch darum geht, eine Figur zu entwickeln, sie reflektieren zu lassen und sich dabei auch selbst zu fragen, ob am Ende einer Spirale von Gewalt tatsächlich das ersehnte Ziel steht. Gerade das ist ja etwas, das die Geschichte lebendig hält und das mir als Schauspieler die Möglichkeit gibt, mich komplett in die Figur hineinzudenken.
Was haben Sie persönlich aus dem Film mitgenommen?
Sich selbst zu spüren. Eins mit der Umwelt zu werden. Auch alltägliche Dinge nicht als selbstverständlich anzusehen, sondern die Gewissheit zu haben, dass man etwas tun muss, um bestimmte Ergebnisse zu erzielen. Deshalb mache ich auch so gerne Sport und bin generell ein Kämpfer. Das symbolisieren die Berge natürlich perfekt.