04.12.2023 Ildikó von Kürthy im Interview

„Ich hätte gerne früher gewusst, wie schön das Leben wird, während es älter wird“

Wir haben mit der deutschen Schriftstellerin Ildikó von Kürthy gespochen.
Wir haben mit der deutschen Schriftstellerin Ildikó von Kürthy gespochen. Fotoquelle: Sonja Tobias

25 Jahre nach Ihrem erfolgreichen Debütroman „Mondscheintarif“ hat Ildikó von Kürthy eine Fortsetzung geschrieben. In „Eine halbe Ewigkeit“ geht es um langweilige Ehen, beste Freundinnen und das Älterwerden.

Ihr Debütroman „Mondscheintarif“ verkaufte sich Anfang der 2000er-Jahre um die zwei Millionen Mal. Haben Sie damals mit so einem Erfolg gerechnet?

Ildikó von Kürthy: Nein, dass er so erfolgreich wird, hätte ich nicht gedacht. Mir war aber klar, dass es kein Nischenbuch wird. Ich habe mich immer als sehr normal empfunden und gedacht: Wenn mir etwas gefällt, gefällt es vielen anderen auch. Und so war es auch bei „Mondscheintarif“.

Wie hat es sich angefühlt, Ihre Romanheldin Cora Hübsch wieder aufleben zu lassen?

Ildikó von Kürthy: Als würde ich in meinem Tagebuch blättern. Auch wenn das, was Cora Hübsch passiert, nicht viel mit meiner Lebensrealität zu tun hat, sind ihre Gedanken, Unsicherheiten, Haltungen und Ängste auch meine. Ich schreibe immer über das, was mich umgibt.

Cora Hübsch ist nicht mehr Anfang 30 und frisch verliebt, sondern Mitte 50 und gelangweilt von ihrer Ehe. Ist sie zynischer geworden?

Ildikó von Kürthy: Nein, das nicht. Aber sie ist nicht mehr so träumerisch und romantisch wir früher. Das ist eine normale Begleiterscheinung von vergehender Zeit im Leben. Romantik ist was für Teenager, irgendwann kommt die rationale Ernüchterung, die uns ein normales Leben ermöglicht.

Das Thema Freundschaft spielt auch in „Eine halbe Ewigkeit“ eine große Rolle. Ist eine gute Freundschaft genauso wichtig wie eine gute Ehe?

Ildikó von Kürthy: Auf jeden Fall, eine Freundschaft ist ja auch eine Form der Liebe. Freundschaften hatten für mich schon immer eine ganz hohe Priorität. Ich bin kein glücklicher Mensch ohne freundschaftliche Beziehungen zu offenen und ehrlichen Frauen, mit denen ich sein kann, wie ich bin. Ich merke auch, dass mir diese Beziehungen mit dem Alter immer wichtiger werden.

Haben Sie noch Freundschaften aus Ihrer Kindheit oder Schulzeit?

Ildikó von Kürthy: Ja, meine älteste Freundin kenne ich, seit ich dreieinhalb bin. Diese uralte Vertrautheit zwischen uns genieße ich unfassbar und empfinde sie als allergrößtes Geschenk.

Tauchen Ihre Freundinnen auch in Ihren Büchern auf?

Ildikó von Kürthy: Ja, sie sind sehr präsent in meinen Figuren, teilweise auch mit Schicksalen, die sie erlitten haben. In „Es wird Zeit“ geht es zum Beispiel um die schwere Krebserkrankung einer guten Freundin, der ich dieses Buch gewidmet habe. Und die beste Freundin von Cora Hübsch heißt Johanna Dagelsi, den Nachnamen habe ich aus Silben der Namen meiner besten Freundinnen zusammengesetzt.

In Büchern, Filmen und Serien sind Frauen über 50 Jahre sehr unterrepräsentiert. Warum ist das so, obwohl die Zielgruppe da ist?

Ildikó von Kürthy: Ich habe schon den Eindruck, dass sich zugunsten von Sichtbarkeit einiges tut, wenn auch sehr langsam. Natürlich gibt es immer noch das Schönheitsdiktat, aber es ist nicht mehr so streng wie früher. Im Fernsehen sehe ich immer häufiger dicke Menschen, Männer mit Nagellack, Frauen, die nicht jung und glatt sind, sondern gefaltet und innerlich entfaltet. Viele Frauen hatten damals auch nicht viel zu erzählen, weil es so wenige Entfaltungsmöglichkeiten gab. Heute sind wir emanzipierter und unabhängiger, unsere Lebensgeschichten viel bunter, das spiegelt sich auch in den Medien wider und ist ein wahnsinniger Gewinn für alle.

In Ihrem Podcast geben Sie Frauen eine Stimme. Welche Botschaft möchten Sie vermitteln?

Ildikó von Kürthy: Du bist nicht allein. Wir alle teilen Erfahrungen und wenn wir darüber sprechen, fühlen wir uns verbunden. Deswegen ist mir bei meinen Gästen Echtheit sehr wichtig, Posen interessieren mich nicht.

Was finden Sie schön am Älterwerden?

Ildikó von Kürthy: Ich tue immer weniger das, worauf ich keine Lust habe. Ich würde keine Nacht mehr auf hohen Schuhen verbringen, wenn es mir wehtut. Und es tut mir weh. Ich würde auch keinen Abend mehr mit Menschen verbringen, die mich entweder nicht interessieren oder mir nicht guttun. Ich gucke keinen Film mehr zu Ende, der mich nicht interessiert. Ich lese kein Buch, das mich nicht anspricht. Das ist sehr befreiend. Ich hätte gerne früher gewusst, wie schön das Leben wird, während es älter wird, das konnte ich mir früher nicht vorstellen. Wenn ich ältere Menschen gesehen habe, dachte ich immer, dass sie nichts Schönes mehr im Leben haben. Es hat mich überrascht, dass das älter werdende Leben andere Formen von Glück bereithält. Das klingt immer so wahnsinnig nach Apothekenkalender, aber das Talent der kleinen Wertschätzung nimmt deutlich zu. Man freut sich über einen Sonnenuntergang am Balkon oder darüber, dass man sich die Schuhe zumachen kann. Das Leben wird viel reicher.

Fühlen Sie sich so alt wie Sie sind?

Ildikó von Kürthy: Ja. Menschen, die sagen, dass sie sich jünger fühlen, verstehe ich auch gar nicht. Das ist doch kein Kompliment an sich selbst, damit negiert man ja ganz viel Reifungsmöglichkeit. Ich fühle mich genauso alt wie ich bin, manchmal sogar älter. Ich verbinde das mit Reife, mit Klugheit und Weisheit im besten Sinne.