David Wark Griffith kam in Kentucky als Sohn eines Bürgerkriegshelden und Obristen der Südstaaten-Armee zur Welt. Dieses Milieu hat den jungen David für sein Leben geprägt - und nicht zu seinem Vorteil.
Als Kind wollte Griffith unbedingt Schriftsteller werden; ihm schwebte eine Karriere als Bühnenautor vor. Zunächst schloss er sich als Schauspieler einer Wandertruppe an und schrieb das Stück "A Fool and a Girl" (1907), das ein finanzielles Desaster wurde. Zum Glück, muss man im Nachhinein sagen, denn die daraus entstandene Geldnot zwang Griffith, beim Film anzufangen.
Den Film verachtete Griffith eigentlich als absolut minderwertig, aber hier waren seine Darstellerkünste gefragt. Außerdem konnte er hier und da ein Script loswerden, und das alles rentierte sich mehr als die brotlose Kunst des Theaterspielens.
So landete Griffith 1908 bei der Filmgesellschaft Biograph, die zu diesem Zeitpunkt rein zufällig einen Regisseur suchte. Der Haus-Kameramann der Firma, Billy Bitzer, lernte Griffith an, und schon bald inszenierte der begabte Lehrling seinen ersten Film. "The Adventures of Dollie" (1908) ließ zwar noch keine individuelle Handschrift erkennen, kam aber bei den Biograph-Mächtigen gut an und brachte Griffith weitere Jobs ein.
In den nächsten Jahren drehten Griffith und Bitzer einen Kurzfilm nach dem anderen, und am Ende kamen über 400 Filme in fünf Jahren zusammen, das sind fast zwei pro Woche. Diese Arbeitswut führte dazu, dass Griffith sich eine immense Routine aneignete und dabei nach und nach einen persönlichen Stil herausbildete.
Sehr aufnahmefähig erwies er sich, was künstlerische Neuerungen angeht. So wird er zwar bisweilen immer noch als "Vater des Kinos", "Erfinder der Großaufnahme" oder "Schöpfer der Kamerafahrt" bezeichnet, aber all das ist falsch. So enthält bereits der Film "Der große Eisenbahnraub" (1903) von Edwin S. Porter eine Großaufnahme eines in die Kamera schießenden Cowboys. Griffiths wahre Bedeutung liegt darin, dass er formale Ideen auf intelligente Weise aufgriff und in seinen Filmen sinnvoll weiterentwickelte. Bei Porter war die Großaufnahme nur ein Gag - je nach Bedarf am Anfang oder Ende des Films zu zeigen. Griffith dagegen wechselte Großaufnahmen mit Totalen ab und löste somit erstmals überzeugend Einzelpersonen mit filmischen Mitteln aus einem Gesamtgeschehen heraus.
Spätestens mit "Judith of Bethulia" (1913) und "The battle of Elderbush Gulch" (1913) wurden Griffiths Filme aufwendiger, was Zeit und Geld anging. Die alten Ein- und Zweiakter taugten längst nicht mehr, um Griffiths Vorstellungen zu transportieren. "The Mother and the Law" (1914) erzählte bereits ein komplexe Geschichte von einer jungen Mutter, der Weltverbesserer ihr Kind wegnehmen, während der Vater auf die schiefe Bahn gerät. Am Ende wird er unschuldig zum Tode verurteilt, aber in letzter Sekunde gerettet.
In diesem Film hatte Griffith die Kunst der Parallelmontage bereits zur Perfektion entwickelt. Einen Schritt weiter ging er mit "Die Geburt einer Nation" (1915). In diesem mehr als dreistündigen Film schildert Griffith eine Episode aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, und es verwundert nicht, wenn er dabei ganz die Position seines Vaters einnahm - die eines überzeugten, zudem durch Niederlage gedemütigten Südstaatlers also. Griffith zeigte in seinem Film überdies den Ku-Klux-Klan, seit jeher Inbegriff rassistischer Verbrecher, als aufrechte Streiter und Retter der weißen Rasse. Am Ende des Films hat sich Stummfilmstar Lillian Gish mit ihrer Familie in eine Hütte gerettet, die von bösen schwarzen Männern gestürmt werden soll. Der Ku-Klux-Klan erscheint in letzter Sekunde und macht dem Treiben ein Ende.
Bis heute ist die filmhistorische Bedeutung von "Die Geburt einer Nation" unbestritten. Und auch wenn es mit "Cabiria" (1914) von Giovanni Pastrone bereits ähnlich aufwendige Projekte in Europa gegeben hatte, so war doch erst Griffiths Werk die Geburt der Filmkunst im heutigen Sinne. Sein Film ist unendlich viel lebendiger als alles, was seine Zeitgenossen zu bieten hatten; man vergleiche die rasanten Montagesequenzen, den Wechsel von nah und fern einfach mit den stetigen Totalen in "Cabiria" oder den statischen Bildfolgen beim Meister des französischen Serials, Louis Feuillade ("Die Vampire"). Griffiths Sequenzen von der Schlacht bei Gettysburgh zählen bis heute zu den besten Kriegsszenen, die je gedreht wurden.
Ebenso unbestritten wie der filmhistorische Rang von "Die Geburt einer Nation" ist allerdings seine politisch indiskutable Perspektive, die schon seinerzeit als überholt gelten musste. Griffith konnte gar nicht verstehen, was die Leute daran auszusetzen hatten, und wehrte sich mit einem noch gigantischeren Filmprojekt: "Intoleranz" (1916). Dieser Titel war nämlich keinesfalls auf Selbsterkenntnis zurückzuführen. Intolerant waren nach Griffiths Meinung vor allem seine Zeitgenossen, die ihn als Rassisten beschimpften.
In "Intolerance", der wieder deutlich über drei Stunden lang war, verknüpfte Griffith gleich vier Geschichten. Er recyclete seinen Film "The Mother and the Law" und verknüpfte das Material dieses älteren Films mit drei historischen Episoden: die Niedermetzelung der Hugenotten in der Bartholomäusnacht, die Passionsgeschichte von Jesus Christus und - gigantisch wie nie zuvor in der Filmgeschichte - die Schlacht um Babylon.
Für diese Episode ließ Griffith 70 Meter hohe Mauern bauen, die so massiv waren, dass Streitwagen auf ihr fahren konnte. Die Halle, in der Belsazar seinen Sieg feiert, war mehrere hundert Meter lang und bot einer fünfstelligen Anzahl von Statisten Platz. Um die Menschenmassen zu kontrollieren, führte Griffith teilweise von einem Ballon aus Regie.
In diesem Film steigerte Griffith die Kunst der Parallelmontage zu einem fast schon grotesken Extrem. Denn nicht nacheinander wurden die Geschichten abgehakt, sondern gleichzeitig. So läuft alles auf eine gut einstündige Schlusssequenz hinaus, in der sich alle Ereignisse überschlagen. Ein Epilog erzählt von zukünftigen, apokalyptischen Kriegen.
Griffith flammendes, aber naives Plädoyer für Toleranz zählt bis heute zu den Meisterwerken der Filmkunst; dem zeitgenössischen Zuschauer war das bei weitem zu hoch. Noch wenige Jahre zuvor wurden Geschichten in braven Totalen erzählt, nun zerhackte da ein Wahnsinniger gleich vier Stories in kleine Stückchen und servierte sie alle gleichzeitig. "Intoleranz" wurde ein finanzielles Debakel. Einige Kinobesitzer behalfen sich damit, dass sie allein die Babylon-Episode zeigten, eine Notlösung, mit der auch Griffith später noch zu retten versuchte, was noch zu retten war.
Er hatte sich die Finger verbrannt und backte nun kleinere Brötchen. "Gebrochene Blüten" (1919), wieder mit Lillian Gish, war ein bescheiden dimensioniertes Melodram, das Griffith mit wenig Geld und in kurzer Zeit abdrehte. Erst mit der Zeit wurde der Wert auch dieses Films, wie überhaupt der späteren Griffith-Werke, erkannt.
Auch in den 20er Jahren drehte Griffith noch sehenswerte Filme wie "Weit unten im Osten" (1920), "Zwei Waisen im Sturm" (1922), "The White Rose" (1923) und vor allem "Ist das Leben nicht wunderschön?" (1924), der heute zu seinen besten Werken gezählt wird. Mit "America" (1924) versuchte er sich noch einmal an einem großen Epos.
Danach wurden Griffiths Filme immer schwächer, und nach partiellen oder kompletten Fehlschlägen wie "Sally vom Jahrmarkt" (1925), "That Royle Girl" (1926) oder "Sorrows of Satan" (1926), die zusätzlich von den Studios verhunzt wurden, machte sich zunehmend Resignation in Griffith breit. "Drums of Love" (1928), "The Battle of Sexes" (1928) und "Lady of the Pavements" (1929) waren sauber abgefilmt, aber ohne inneres Feuer und eine persönliche Note.
Sein erster Tonfilm "Abraham Lincoln" (1930) knüpfte noch einmal an die Thematik von "Die Geburt einer Nation" an, das Trinkerdrama "Der Kampf" (1931) wurde von der Kritik dermaßen verrissen, dass Griffith endgültig die Lust verlor und das Handtuch schmiß. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er mit Gelegenheitsjob, Berater anderer Regisseure oder als ungenannter Ko-Autor. So inszenierte er ungenannt einige Sequenzen von des Katastrophenfilms "San Francisco" (1936, Regie: W. S. van Dyke). Hier war noch eine andere erniedrigte Stummfilmgröße ungenannt am Werk: Erich von Stroheim arbeitete am Drehbuch mit.
Bei "Tumak, Herr des Urwalds" (1940) von Hal Roach hatte D. W. Griffith ebenfalls ungenannt seine Finger im Spiel. Immer wieder kündigte er auch neue eigene Projekte an, doch es wurde nie wieder etwas daraus.