Die Mauer ist gefallen, die Mauer in den Köpfen bleibt bestehen. Doch im Frühsommer 1990 verlieben sich Katja aus Westberlin und Thorben aus dem Osten an den Mauerresten, in ihrem "Niemandsland" – trotz des Zwists ihrer Eltern, die um die Rückgabe eines beschlagnahmten Häuschens streiten.
Eben haben sie noch den Mauerfall gefeiert, die Mauerspechte und die Trabbifahrer in langen Schlangen, wie die Eingangsszenen des Debütspielfilms "Im Niemandsland" von Florian Aigner zeigen. Aber jetzt, im Frühsommer 1990, kommt erst mal das dicke Ende nach: Der Westberliner Familienvater Alexander Behrendt (Andreas Döhler) will das Häuschen seines Großvaters in Kleinmachnow zurück, der Juristen-Slogan "Rückgabe vor Entschädigung" bestärkt ihn in seinem Rechtsverständnis. Da sitzt er nun in seinem wild plakatierten Camper vor dem Haus, der Mann aus Westberlin, und schreit den neuen Bewohnern mit "Stasi raus!"-Rufen ihr Unrecht entgegen.
Noch während die neuen Bewohner ihr Häuschen verteidigen und Alexanders Frau längst in die angebotene Entschädigung einwilligen will, verlieben sich die Teenager Katja aus Westberlin und Thorben aus dem Osten (Emilie Neumeister und Ludwig Simon) frisch und fromm unsterblich ineinander – und reißen damit unweigerlich die Mauer in den Köpfen ihrer Eltern ein.
"Im Niemandsland" (2019) wurde – unschwer zu erkennen – anlässlich des 30. Jubiläums des Mauerfalls gedreht. Der Regisseur und Autor griff auf eigenes Erleben und ausführliche Recherchen zurück. Fast ist es ein Wunder, dass ihm bei aller Aufarbeitung deutscher Befindlichkeiten noch eine recht tolle Liebesgeschichte gelang. Emilie Neumeister und Ludwig Simon spielen als Königskinder, die fast nicht zueinander kommen konnten, mit Erfolg gegen die zeitgeschichtlichen Fußfesseln an. Dabei hätte der Film das eingeschnittene Archivmaterial – von den Mauerspechten bis zur Währungsreform – eigentlich gar nicht gebraucht. Akustische Off-Zitate hätten da sicher auch gereicht.
Andererseits wird im Film recht geschickt der familiäre Häuserkampf mit einer sehr frischen Romeo-und-Julia-Story verknüpft. Zwar hauen sich die Eltern die Klischees reichlich ungeschönt um die Ohren. Die Ost-Mutter hat ja auch ihren Job verloren. Ausgerechnet von der Bank, in der Alexander, der West-Vater, beschäftigt ist, kam der Kredit für die neuen Investoren. Und Thorbens Vater war auch nicht bei der Stasi, wie von Alexander unterstellt, sondern ein offensichtlich seriöser Bauamtsleiter. Sehr allmählich und nicht ohne fortdauernden Kampf werden die Vorurteile der Eltern dann weggeblasen.
Katja und Thorben treffen sich immer wieder an ihrem Treffpunkt, ihrem "Niemandsland" zwischen den Mauerresten. Das mag arg symbolisch wirken. Aber ihr Glück, ihr Aufruhr gegenüber den befangenen Eltern und Weißgott-noch-was wirkt eben doch authentisch. In solchen Momenten vergisst man das beengende zeitgeschichtliche Korsett und sieht zuletzt auch über die allzu plakativ dargestellte Wut des Westberliner Rechthabers hinweg.
Im Niemandsland – Mi. 02.06. – ARTE: 20.15 Uhr