SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nach Europawahl: "Wir haben wirklich etwas aufzuarbeiten"
Die Europawahlen bringen herbe Verluste für die Ampelkoalition. In der ARD-Talkshow "Caren Miosga" diskutieren Politiker über die Gründe und Konsequenzen. Kevin Kühnert und Jens Spahn im Schlagabtausch, während Robert Habeck und Jürgen Trittin das Wahldebakel analysieren.
Es ist klar, wer die Verlierer der Europawahl sind: Alle drei Ampelparteien haben Verluste eingefahren. Die SPD verzeichnet ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl seit dem Zweiten Weltkrieg, auch die FDP verliert, aber nur leicht. Während Union, AfD und BSW die klaren Wahlsieger sind, verlieren die Grünen nach ihrem Spitzenergebnis bei den Europawahlen 2019 deutlich. SPD und Grüne nutzen die ARD-Talkshow "Caren Miosga" am Sonntagabend, um ihre Wunden zu lecken.
Zumindest am Anfang der durch die Sportshow zweigeteilten Sendung wirkt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert so verzweifelt, dass er einem fast leidtun konnte. Grünen-Urgestein Jürgen Trittin lächelt das Wahldebakel seiner Partei einfach weg. Es habe ja kleine Parteien gegeben, die auch ökologische Ziele gehabt hätten: die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die Bewegung VOLT oder die Tierschutzpartei. Und die Grünen? Die Diskussion über die Wahlniederlage werde sicher nicht einfach werden, sagt Trittin. Aber die Politik der Partei? Alles easy. Und Wirtschaftsminister Robert Habeck? "Ein guter Mann." Und die Ampelkoalition? Die werde durch die schlechten Ergebnisse eher gestärkt.
Kühnert ratlos
Kevin Kühnert ist geknickt. Er diskutiert im ersten Teil der Sendung eine Dreiviertelstunde lang mit dem CDU-Wirtschaftspolitiker Jens Spahn, der mit Recht den Kopf sehr weit oben trägt. Spahn tut das, was er immer macht: Er beklagt den ständigen Streit der Ampelparteien, der zu einem Vertrauensverlust bei der Bevölkerung geführt habe. Dem kann Kühnert nicht widersprechen. "Das Ergebnis ist deutlich entfernt von dem, was unser Anspruch ist", sagt er, und: "Wir haben wirklich etwas aufzuarbeiten." Nur was, das weiß Kühnert nicht so richtig. Darüber werde man in der SPD in den nächsten Tagen diskutieren. Klar sei aber: "In dem Erscheinungsbild in der von uns geführten Koalition liegt ein Teil der Wahrheit dieses Ergebnisses mit drin." Später wird er andeuten, dass sich daran nun auch nichts mehr ändern werde.
Die Rolle des Kanzlers
Eine Mitschuld an dem schlechten Wahlergebnis der SPD trage Bundeskanzler Scholz, analysiert Jens Spahn. Scholz habe sich in ganz Deutschland plakatieren lassen und die Themen gesetzt: äußere, innere und soziale Sicherheit. "Diese Themen wären auch welche, die die Menschen sehr interessieren. Aber wir sehen ja: Er ist gar nicht mehr in der Lage, diese Themen mit sich zu verbinden." Scholz habe die Verbindung mit den Menschen irreparabel verloren. "Die entscheidende Frage ist doch: Kann es mit diesem Kanzler weitergehen? Ich glaube nicht, dass Scholz dieses Ding noch einmal drehen kann."
Spiegel-Journalistin Melanie Amann bringt es dann auf den Punkt: Die SPD sei stark beschädigt, sagt sie, das Ergebnis der Ampel der Ausdruck einer verheerenden Bilanz. "Die Leute verstehen nicht, warum diese Ampel so weitermacht. Warum schafft sie es nicht, sich zu einigen? Und man muss sich schon die Frage stellen: ist es nicht besser, den Stecker zu ziehen?" Das sieht auch Spahn so. Seit zwei Jahren gebe es in der Ampelkoalition keine Einigkeit – außer bei der Legalisierung von Marihuana. "Das ist natürlich etwas, was das Vertrauen verlieren lässt, und die Extremen stärkt."
Neuwahlen ausgeschlossen
Ob es denn eine Option wäre, dass Bundeskanzler Scholz im Parlament die Vertrauensfrage stellt, will Moderatorin Miosga wissen. So weit will Kühnert nicht gehen. "Das würde ja voraussetzen, der Kanzler hat das Vertrauen im Parlament nicht mehr. Dafür sehe ich tatsächlich keinen Anlass, denn wir beschließen ja in jeder Sitzungswoche am laufenden Band Gesetze." Aber die Bevölkerung habe das Vertrauen verloren, wirft Spahn ein. Das jedoch lässt Kühnert nicht gelten. Immerhin sei man ja gewählt worden, 2021. Und nur wegen ein paar schlechter Umfragen oder weil die Union grade vorne liegt, werde man nicht die Regierung in Frage stellen. "Wenn wir immer Neuwahlen oder Vertrauensfragen ausrufen, wenn in einem bestimmten Moment die Regierung bei einer Landtagswahl oder bei einer Sonntagsfrage nicht die notwendige Mehrheit bekommen hat, dann haben wir irgendwann Verhältnisse wie in Israel oder in anderen Ländern, wo jährlich gewählt wird."
Kühnert hätte sicher recht, wenn es sich nur um eine Sonntagsfrage und eine Landtagswahl handeln würde. Aber es sind seit zwei Jahren alle Sonntagsfragen und die meisten Landtagswahlen, bei der die SPD schlecht aussieht. Nun könnte ja auch die Union einen Misstrauensantrag gegen Scholz stellen. Aber das scheint sie sich auch nicht recht zu trauen. Das hat auch Kühnert begriffen. Er erklärt, wenn ein Kanzler weg wäre, dann wären für die Lösung der Probleme nicht automatisch die nötigen Mehrheiten da.
Wozu die SPD noch nicht bereit zu sein scheint, hat Frankreichs Präsident Macron inzwischen getan. Die Meldung platzte mitten in die Talkshow hinein: Macron hat seine Niederlage eingestanden und den Nationalrat in Paris aufgelöst. In Frankreich wird es bald zu Neuwahlen kommen.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH