Nadja Uhl: "Wir haben das Singen vorher nicht geprobt"
In der neuen Serie "ZERV" spielt Nadja Uhlmann eine Kommissarin, die Verbrechen im Zuge der DDR-Abwicklung aufklärt. Im Interview spricht sie über ihre Erinnerungen an die Zeit und darüber, wie es zu der "Über sieben Brücken musst du gehn"-Szene kam.
Krimis gibt es ja eigentlich zur Genüge im deutschen Fernsehen, doch dieser hier ist anders. 1992 begann die Zentralstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität, kurz ZERV, ihre Arbeit. Ihr Ziel: Sie soll Verbrechen im Zuge der DDR-Abwicklung und Wiedervereinigung aufdecken. Die bis heute weitgehend unbekannte SOKO sorgt für die Grundidee hinter der Serie "ZERV – Zeit der Abrechnung" (Dienstag, 22., bis Donnerstag, 24. Februar, jeweils um 20.15 Uhr in Doppelfolgen im Ersten). Eine Kritik zur Serie lesen Sie hier.
Darin muss Nadja Uhl als ehemalige Ost-Kommissarin Karo Schubert mit dem West-Beamten Peter Simon (Fabian Hinrichs) zusammenarbeiten. Im Interview spricht Nadja Uhl, die 1972 in der DDR geboren wurde und in Hennigsdorf bei Berlin groß wurde, über persönliche Erinnerungen an jene Zeit. Und sie erzählt von jener außergewöhnlichen Szene, in der sie mit Fabian Hinrichs in einer Karaoke-Bar "Über sieben Brücken musst du gehn" sang ...
prisma: In einer "ZERV"-Folge singen Sie mit Fabian Hinrichs das Lied "Über sieben Brücken musst du gehn" in einer Karaoke-Bar. Ihr beider Gesang wirkt komplett improvisiert. War er das auch?
Nadja Uhl: Ja, eine meiner liebsten Szenen. Wir haben das Singen vorher nicht geprobt. Es sollte eine wahrhaftige Szene werden und nicht kitschig sein, wie Dustin Loose – unser Regisseur – sagte. Es ist eine zentrale Szene der Serie, weil der Song wie ein Sinnbild ist. Für Menschen aus dem Osten ist es der Karat-Klassiker. Leute aus dem Westen denken, das Lied sei von Peter Maffay.
prisma: Karat nahmen das Lied 1978 auf. Die Version von Peter Maffay folgte 1980. Ein Beweis dafür, dass Ostdeutsche ihre Leistungen bis heute oft nicht gewürdigt sehen?
Nadja Uhl: Es gibt Menschen, die das so sehen. Als ich mich gerade auf "ZERV" vorbereitete, ging ich mit meinem Hund Gassi und traf unten am Wasser ein älteres Ost-Ehepaar. Wir kamen ins Gespräch. Ich erzählte, was ich gerade mache und die beiden sagten so etwas wie: "Na ja, da wird der Osten sicher wieder total blöd dargestellt."
prisma: Und das hat Sie auf eine Idee gebracht?
Nadja Uhl: Eigentlich sollten wir in der Karaoke-Szene "Bochum" von Herbert Grönemeyer singen. Ich dachte: Das passt irgendwie nicht. Und dass Karat doch ein wunderschönes Bild für das wäre, worum es in der Serie geht. Außerdem kleidet der Song die Gefühle der beiden Charaktere Karo und Peter nahezu perfekt in Worte. Ich erzählte die Idee dem Ehepaar am Wasser und deren Augen leuchteten. Sie waren etwa im Alter meiner Eltern. Ich bin sehr froh, dass Gabriela Sperl, unsere Produzentin, und Dustin Loose, der Regisseur, die Idee im Film dann tatsächlich so eingebaut haben.
prisma: Sie spielten schon oft in historischen Fernsehstoffen, einige davon hatten mit Ost- und Westdeutschland zu tun. Haben Sie von Ostdeutschen öfter gehört, dass sie sich in solchen Filmen falsch dargestellt fühlen?
Nadja Uhl: Nein, das kann ich nicht sagen. Die meisten Ost-West-Stoffe, an denen ich beteiligt war, waren sehr erfolgreich – auch im Osten. Natürlich weiß ich, dass es Ostdeutsche gibt, die das Gefühl haben, dass man ihnen die Deutungshoheit über ihre eigene Geschichte weggenommen hat. Ich glaube aber nicht, dass eine Mehrheit so denkt. Wenn ich das Ehepaar noch einmal treffe, werde ich sie fragen, was genau sie damit meinten.
Sind die Dialoge improvisiert?
prisma: Was in "ZERV" auffällt, ist die Leichtigkeit und Authentizität der Dialoge. Wenn Sie sich mit Fritzi Haberlandt im Ostberliner Dialekt die Bälle zuspielen, klingt das ziemlich echt. Sind diese Freundinnen-Szenen ebenfalls improvisiert?
Nadja Uhl: Unser Regisseur Dustin Loose hat uns dazu ermutigt. Er führt Schauspieler präzise und behutsam, aber mit großer Leichtigkeit. Und wir haben uns gern darauf eingelassen. Die Bereitschaft des Schauspielers, dem Affen Zucker zu geben, ist ja grundsätzlich da. Es ist gut, wenn man nicht immer Leute hat, die von der Angst getrieben werden, was der Redakteur sagen könnte. Das fühlt sich nämlich sonst an, als würde man eingeschnürt in ein Korsett Fernsehen machen. So eine Berliner Schnauze wie Fritzi und ich sie in den Szenen miteinander pflegen, hätte es in vielen anderen Produktionen nicht gegeben. Ich glaube, Dustin hat für "ZERV" nur Leute gecastet, die spielerisch sehr offen sind. Dafür bin ich sehr dankbar. Man sieht diese Qualität in der fertigen Serie. Auch an den tollen jungen Leuten.
prisma: Aber war denn letztendlich viel Dialog improvisiert?
Nadja Uhl: Nicht so viel, wie es scheint. Die Figuren sprechen im Drehbuch schon sehr frei, das war eine wirklich gute Vorlage. Und wir konnten, wenn improvisiert wurde, gut auf den Drehbuchzeilen aufbauen.
prisma: "ZERV" erzählt aus dem frisch wiedervereinten Deutschland der frühen 90-er. Was finden Sie interessanter: die großen politischen Geschichten oder die kleinen Porträts der Menschen damals? Die Serie bietet ja beides ...
Nadja Uhl: Berührender ist eigentlich immer "menschliche Geschichte". Was die großen Skandale betrifft, merke ich bei mir Ermüdungserscheinungen. Damals bereicherten sich viele am Zusammenbruch der DDR. Heute haben wir Wirecard und viele andere unglaubliche Skandale. Man kann das als Künstler gar nicht mehr alles darstellen. Aber man kann Zeitgeschichte in kleinen, aber genauen Charakter-Porträts oft berührender einfangen. Und sehr humorvoll, wie "ZERV" zeigt.
prisma: Wie fühlte es sich für Sie an, die Zeit vor 30 Jahren zu spielen. Eine Zeit, an die Sie sich noch erinnern können?
Nadja Uhl: Ich fand es sehr emotional. Wir haben in Leipzig gedreht, wo ich 1990 mit 18 zur Schauspielschule ging. Ich bin in der Serie etwa so alt wie meine Eltern damals waren, laufe nach dem Drehtag durch die Stadt meiner Jugend, spiele während des Drehs in einem perfekten DDR-Ambiente und fahre rasant einen Wartburg, den ich eigentlich nur von der Rückbank als Kind kenne. Das ist irgendwie surreal. Wir Schauspieler erleben eine intensive Zeit. Dann trennt man sich und irgendwann sehen wir uns – vielleicht – für ein neues Projekt Jahre später wieder. Man wird zusammen alt. Letztendlich spielt und lebt man die Vergänglichkeit.
prisma: Wie meinen Sie das genau?
Nadja Uhl: Indem man als gereifter Mensch eine Zeit spielt, in der man selbst jung war, setzt man sich automatisch mit der Vergänglichkeit auseinander. Auch indem man Menschen spielt, die heute vielleicht gar nicht mehr leben. Das ist ein starkes Gefühl, zumindest bei mir. Wer viel Historisches spielt, merkt auch, wie vergänglich alles ist. Und dass vieles im Hier und Jetzt gar nicht so wichtig ist, wie es uns scheint.
"Es lohnt sich doppelt, sich einen schönen Tag zu machen"
prisma: Das Abtauchen in eine andere Zeit ist für Sie als Schauspielerin also nicht ganz ohne ...?
Nadja Uhl: Es ist bewegend. Für Darstellende und sicher auch für den Zuschauer. Mir führt es vor allem meine Endlichkeit vor Augen. Es zeigt mir, wie schnell die Zeit vergeht und dass ich sie nutzen möchte ...
prisma: Ziehen Sie bewusst Konsequenzen aus solchen Erfahrungen?
Nadja Uhl: Ja, ich sage mir: Genieße jeden Tag, genieße dein Leben. Und überlege dir, ob du Hass oder Liebe verbreitest. Was ich heute tue, ist meine Erinnerung und Vergangenheit von morgen. Also lohnt es sich doppelt, sich einen schönen Tag zu machen. Ich schwelge auch gern in Erinnerungen und zehre von ihnen. Ich habe zum Beispiel wirklich sehr gern in den 80ern gelebt.
prisma: Welche Gefühle verbinden Sie damit?
Nadja Uhl: Es ist die Zeit, in der ich jung war. Ich denke, die war für jeden sehr prägend. Ich bin in der DDR aufgewachsen, im Rahmen eines stark reglementierenden Systems. Das hatte Vor- und Nachteile. Man konnte nicht machen, was man wollte, fühlte sich aber auch sehr behütet. Ich finde, dass in der DDR gut mit Kindern umgegangen wurde, also auch pädagogisch. Ich weiß, es ist eine unpopuläre Meinung, denn man denkt sofort an die FDJ, an Fahnenappelle und so weiter. Aber das war nur der Rahmen, der aber niemanden gekratzt hat. Es ist ja auch nicht verkehrt, wenn am Tag des Atombombenabwurfes der Song "Hiroshima" gespielt wird. Da hat man mal kurz nachgedacht als Kind ...
prisma: Die Pädagogik des Ostens wird für Sie heute falsch bewertet?
Nadja Uhl: Zum Teil schon, ja. Wir hatten zum Beispiel tolle Lehrer. Es ging sehr viel um Gewissensentscheidungen, um ethisch wertvolle Gedanken, die mich als jungen Menschen geprägt haben. Es gab einen stillen, menschlichen Zusammenhalt hinter der staatlichen Geräuschkulisse der Ideologien. Andererseits weiß ich natürlich auch, welche politischen Repressalien es gab, denn meine Familie hat sich politisch durchaus kritisch engagiert.
Geht "ZERV" weiter?
prisma: Das Urteil über Ihr Leben in der 80er-Jahre-DDR fällt am Ende gespalten aus?
Nadja Uhl: Das Problem in der DDR war, dass die Fürsorge des Staates im Erwachsenenalter weiterging und zum Zwang wurde. Man wurde nie in die Freiheit entlassen, sondern der Staat hat einem weiterhin vorgegeben, was zu tun war und wo die eigenen Grenzen lagen. Auch die Grenzen der eigenen Freiheit. Dies zu erfahren, war in meiner Jugend ein bitterer Moment. Damals fing ich an, Alternative Music zu hören. Post Punk und solche Sachen. The Cure, Smiths, Clash, Morrissey, Anne Clark. Anne Clark war meine Heldin, als ich 13 oder 14 Jahre alt war. Wir haben uns die Tapes immer weitergereicht und sind in dunkle Clubs gegangen. Meine Mama fuhr mich mit ihrem knallblauen Trabi zu Punk-Konzerten. Ich war wie viele der Meinung, auf diese Weise der Mittelmäßigkeit der DDR entgehen zu können (lacht). Damals fing es an, dass sich die Gängelung und staatlich verordnete Spießigkeit klaustrophobisch anfühlte. Ich war 17, als dann die Wende kam. Es war ein unglaublicher Moment.
prisma: Kommen wir zum Abschluss noch mal zu "ZERV" zurück. Ist es eine abgeschlossene Miniserie oder würden Sie gerne weitermachen?
Nadja Uhl: Ich hoffe sehr, dass es weitergeht. Aber bisher haben wir noch kein Signal bekommen.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH