Andrea Petkovic: "Schreiben ist das Einsamste, was es gibt"
Andrea Petkovic führt durch die ZDFzeit-Doku "Allein unter Millionen". Als Tennisprofi UND als Autorin weiß sie, was es heißt, einsam zu sein.
Die Coronapandemie rückte ein Thema in den Fokus, das im heimischen Lockdown dringlicher denn je wurde: Zehntausende Menschen leiden hierzulande an Einsamkeit. Darüber zu sprechen, ist oft noch immer tabuisiert. Nicht so in der ZDFzeit-Doku "Allein unter Millionen" (Dienstag, 22. Februar, 20.15 Uhr), die auf die verschiedenen Aspekte der "Epidemie der Einsamkeit" blickt und dabei Betroffene ausführlich zu Wort kommen lässt. Durch den Film führt eine Frau, die ebenfalls ihre Erfahrungen mit der Emotion gemacht hat: Tennisprofi Andrea Petković weiß, was es heißt, sich einsam zu fühlen. Die vielseitige 34-Jährige, die zudem nicht nur als Autorin, sondern seit 2019 auch als Fernsehmoderatorin für die "Sportstudio-Reportage" im Zweiten tätig ist, geht offen mit dem Thema Einsamkeit im Profisport um.
prisma: Was verbinden Sie persönlich mit dem Gefühl Einsamkeit?
Andrea Petković: Als Tennisspielerin hatte ich oft dieses Gefühl des Alleinseins. Ob sich das dann in Einsamkeit umwandelt, kommt auch bisschen auf einen selbst an. Ich bin sehr früh, sehr lange allein um die Welt gereist. Bevor ich mir einen Trainer oder ein Team leisten konnte, bin ich immer allein zu Turnieren gefahren. Die Nächte nach Niederlagen sind oft einsam. Man ist allein im Hotelzimmer, muss mit sich selbst klarkommen. Und natürlich auch konkret auf dem Platz. Vor allem, wenn es mal nicht läuft, hat man oft dieses Gefühl des Alleinseins oder Alleingelassenwerdens. Dass einem keiner zu Hilfe kommt – was aber natürlich auch sehr erhebend sein kann, wenn man sich durch die Situationen dann durchkämpft.
prisma: Würden Sie sagen, Tennis ist ein einsamer Sport?
Petković: Ich denke schon, vor allem am Anfang, wenn es losgeht in einer Tenniskarriere. Tennisprofi zu werden ist, bis man endlich mal Geld verdient, sehr teuer. Ich hatte keine Sponsoren, dem Deutschen Tennis-Bund ging es damals nicht so gut. Ich musste alles selbst finanzieren, das heißt, ich war mit etwa 16, 17 in ganz Europa im Zug unterwegs – ohne Trainer, ohne Physio also wirklich ohne Team. Ganz allein bin ich von Turnier zu Turnier gereist. Wenn man dann später den Durchbruch geschafft hat, kann man sich ein bisschen mehr erlauben. Man kann mal mit dem Trainer reisen, mit dem Team oder mal seine Geschwister oder Freunde mitnehmen. Das macht es ein bisschen einfacher. Aber dieses Gefühl des Alleinseins auf dem Platz, selbst den Weg finden zu müssen, manchmal diesen Weg aber auch nicht zu finden, das kenne ich gut. Es kommt dann nur auf einen selbst an. Wenn man einen schlechten Tag hat, vor allem wenn man älter wird, da kommen schlechte Tage ein bisschen öfter, weil die Regenerationsfähigkeit einfach verlangsamt, dann fühlt man sich oft alleingelassen. Es ist niemand da, der einem hilft, sondern man muss wirklich selbst da durch.
prisma: Was tun Sie, wenn Sie sich einsam fühlen? Haben Sie Mittel, die dagegen verlässlich helfen?
Petković: Inzwischen ja. Als ich noch so jung war, hatte ich keine. Damals habe ich mich immer drei Tage in mein Hotelzimmer eingeschlossen und habe französische Filme geguckt. Aber inzwischen habe ich auch viele Freunde in der Welt verteilt, weil ich eben sehr viel gereist bin. Wenn ich mich schlecht fühle, dann ist der erste Instinkt, mich zu verkriechen und nicht rauszugehen. Aber dann versuche ich, gegen meine Natur zu arbeiten und trotzdem den Weg nach draußen zu suchen, um Freunde zu treffen. Und dann ist inzwischen die Kommunikation viel einfacher geworden: Als ich anfing für Tennisturniere zu reisen, hatte ich weder ein Handy noch einen Computer. Ich habe manchmal tagelang, wochenlang nicht mit meinen Eltern oder meinen Freunden sprechen können. Das ist heute dann doch einfacher geworden. Und was ich inzwischen immer mache, wenn ich auch mal keine Menschen habe, mit denen ich was unternehmen kann: Ich zwinge mich trotzdem rauszugehen, zum Beispiel mit einem Buch in ein Café oder in ein Museum. Es hilft mir, andere Leute zu sehen, und deshalb versuche ich, mich einfach zu zwingen, auch wenn es mir zunächst gar nicht danach ist.
prisma: Können Medien und moderne Kommunikationstechnik Ihrer Erfahrung nach Einsamkeit lindern?
Petković: Ich glaube schon. Ich glaube allerdings nicht, dass es ein Ersatz dafür ist, ein menschliches Gesicht vor sich zu sehen oder beim Kaffee zusammen zu lachen. Aber als ich anfing zu reisen – damals gab es noch keine Handys oder die waren sehr teuer -, bin ich wochenlang durch Italien und Frankreich gereist und wusste nicht, was zu Hause los ist. Meine Eltern konnten mich nicht erreichen. Ich konnte nur ab und zu mal an ein Münztelefon gehen oder vom Hotel für zehn Euro die Minute kurz nach Hause anrufen, um durchzugeben, das alles okay ist. In der Hinsicht ist es schon viel leichter geworden. Wenn ich jetzt unterwegs bin, und das bin ich noch immer fast 30 Wochen im Jahr, dann kann ich jeden Tag FaceTime mit meinen Eltern, meinen Freunden, meiner Familie machen. Das macht einen großen Unterschied.
"Nach Tennis habe ich mir Nummer 2 der Einsamkeit ausgesucht"
prisma: Da sie auch als Autorin tätig sind: Hilft das Schreiben gegen Einsamkeit?
Petković: Nein, Schreiben ist das Einsamste, was es gibt. Nach Tennis, was wahrscheinlich die Nummer 1 der einsamen Sportarten ist, habe ich mir Nummer 2 der Einsamkeit, das Schreiben, ausgesucht. Natürlich kann man in Fantasiewelten eintauchen und sich Freunde ausdenken, aber da hilft mir Lesen mehr. Ich habe oft Buchhelden und Charaktere als meine Familie und Freunde empfunden, wenn ich lange unterwegs war. Schreiben ist das komplette Gegenteil, es lindert gar nichts, das betont nur noch das Gefühl, in dem man gerade schwebt.
prisma: Was glauben Sie: weshalb ist Einsamkeit heute so ein Tabuthema?
Petković: Ich glaube, dass sich die Gesellschaft verändert hat. Ich glaube, dass vor allem in den westlichen Industrieländern Individualisierung als etwas Erstrebenswertes angesehen wurde. Es wurde gefeiert, sich von der Familie zu emanzipieren und sein eigenes Ding zu machen, seinen eigenen Lebensentwurf zu formen. Das sind alles gute Sachen, aber ich denke, vor 30, 40 Jahren, vielleicht sogar 50, 60 Jahren stand Familie an erster Stelle, und dann die Selbstentfaltung erst an nächster, vielleicht sogar übernächster Stelle. Ich komme aus dem ehemaligen Jugoslawien mit einer sehr Balkan-geprägten Familie. Dort steht die Familie immer noch an erster Stelle. Das kann helfen, die Verbindung aufrechtzuerhalten. Ich glaube, dass diese Selbstverwirklichung, die vor allem in den 90er-Jahren, Anfang 2000, gefeiert wurde, ihre Schattenseite zeigt. Und diese Schattenseite ist die Vereinsamung der Menschen. Dadurch, dass Selbstverwirklichung als was Erstrebenswertes dargestellt wurde, ist es dann auf der anderen Seite ein Tabu, zu sagen: Das macht mich vielleicht unglücklich oder einsam. Das ist meine Theorie.
prisma: Welche Rolle spielt unser moderner Lebensstil bei der Einsamkeit – von der Arbeitswelt bis zu den sozialen Medien?
Petković: Unsere Arbeitswelt hat in Zeiten der Globalisierung dazu geführt, dass vor allem jüngere Menschen sehr viel flexibler geworden sind und oft umziehen für ihren Job. Sie gehen in andere Städte oder sogar in andere Länder. Das kann total einsam machen, wenn man aus seiner verwurzelten Heimat rausgerissen wird. In einem neuen Land Fuß fassen zu müssen, ist nicht einfach. Ich habe auch bestimmt fünf, sechs Jahre gebraucht, bis ich mich in New York eingelebt habe, wo ich die Hälfte meiner Zeit verbringe. Das dauert einfach, bis man sich einen Freundeskreis aufbaut hat. Das Problem ist: Oft hat man eben nicht diese fünf, sechs Jahre, um sich den Freundeskreis überhaupt aufzubauen, weil man gleich wieder ins nächste Land versetzt wird oder wieder umzieht.
Einsamkeit kann krank machen
prisma: Sie führen als Moderatorin durch die ZDF-Doku "Allein unter Millionen". Welcher Aspekt der Doku überraschte Sie? Und gab es Protagonisten, Geschichten, die Sie besonders eindrücklich fanden?
Petković: Es gibt konkrete wissenschaftliche Fakten dazu, dass Einsamkeit krank machen kann. Menschen, die sich alleingelassen fühlen leiden darunter – mental und psychisch. Ich war selbst in dieser Situation und ich kenne Leute, die in diesen Situationen waren, aber dass es wirklich gesundheitliche Auswirkungen auf den Menschen hat, das hat mich dann doch sehr überrascht. Am eindrücklichsten war für mich das Erlebnis mit den Jugendlichen im Klassenzimmer, als wir zusammen mit einer Psychologin mit den jungen Schülern gesprochen haben. Jede und jeder von ihnen hat Freunde, und trotzdem kennen sie dieses Gefühl der Einsamkeit. Nach einer halben Stunde haben sich die Schüler komplett geöffnet und eine Verletzlichkeit gezeigt, die mich total berührt hat.
prisma: Seit zwei Jahren arbeiten sie als Fernsehmoderatorin für das ZDF. Neben Sportlichem widmen Sie sich dabei auch gesellschaftlichen Fragen. Welche Ambitionen hegen Sie für Ihre weitere TV-Karriere?
Petković: Keine, ich bin immer noch zuallererst Tennisspielerin, und alles, was danach kommt, werde ich dann irgendwann sehen.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH