Antje Pieper über ihre Arbeit als Auslandkorrespondentin: "Es wurde schon gefragt: 'Schafft die das überhaupt?"
"auslandsjournal"-Moderatorin Antje Pieper spricht im Interview über die Einschränkungen durch Corona und den Krieg in der Ukraine. Und sie verrät, wie sie trotz allem nicht die Zuversicht verliert.
Es ist eine Konstante im deutschen Fernsehen: Seit seiner Premiere am 5. Oktober 1973 berichtet das "auslandsjournal" im ZDF über die Hintergründe zu all jenen Themen, die die Welt bewegen. Die Jubiläumssendung am Mittwoch, 4. Oktober, auf dem gewohnten Sendeplatz um 22.15 Uhr wirft einen Blick in die Vergangenheit und die Zukunft der Sendung. Es ist der Auftakt einer langen Programmnacht, zu der auch die beiden Dokumentionen "Weltenbummler, Welterklärer – 60 Jahre ZDF-Auslandskorrespondenten" (um 1 Uhr) sowie "Deutschland und die Welt" (um 2.30 Uhr) zählen. Für die Dokumentationen zeichnet der Journalist Gert Anhalt verantwortlich. Das "auslandsjournal" wird wie gewohnt von Antje Pieper moderiert. 2014 übernahm die heute 54-Jährige die Moderation der Sendung von Theo Koll. Welche Leidenschaft sie damals für den Beruf begeisterte, erklärt Pieper im Interview. Auch spricht die Mutter eines 2004 geborenen Sohnes über Vorbehalte, gegen die sie einst zu kämpfen hatte. Und sie verrät, wie sie ein junges Publikum an die Sendung binden möchte.
prisma: Als das "auslandsjournal" erstmals ausgestrahlt wurde, waren Sie vier Jahre alt. Was ist Ihre erste Erinnerung an das Format?
Antje Pieper: Ältere Männer, die mir die Welt erklären, wenn ich das so sagen darf (lacht). Aber ich war trotzdem fasziniert von diesen Weltenbummlern, die draußen waren. Zum Glück sind es heutzutage nicht mehr nur noch Männer. Nicht nur meinetwegen bin ich froh, dass sich das geändert hat.
prisma: War das "auslandsjournal" auch ein ausschlaggebendes Kriterium, weswegen Sie beschlossen, selbst zum Fernsehen zu gehen?
Pieper: Nein! Ich war immer an globalen Zusammenhängen interessiert. Deswegen habe ich Politikwissenschaft studiert. Internationale Politik fand ich spannend. Über den Tellerrand in andere Länder schauen und sich fragen: Wie hängt alles zusammen? Was ist der Hintergrund? Warum ist diese Krise in dieser Region so? Das war immer mein Steckenpferd und dass sich diese Leidenschaft dann auch noch in meinem Beruf gespiegelt hat, ist natürlich super. Als ich anfing, Politikwissenschaft zu studieren, wurde ich immer gefragt: Was willst du denn mit Politik? Da sagte ich dann immer: Ach, ich will UN-Generalsekretärin oder Auslandskorrespondentin werden, weil ich beides für genauso utopisch hielt. Aber Auslandskorrespondentin bin ich letztlich doch geworden (lacht).
"Der Grundgedanke vom 'auslandsjournal' ist gleich geblieben"
prisma: Sie sind seit 2014 für das "auslandsjournal" im Einsatz. Wie haben sich Ihr Berufsfeld und die Sendung seither verändert?
Pieper: Der Grundgedanke vom "auslandsjournal" ist gleich geblieben: Wir wollen die Geschichten hinter den Geschichten erzählen, wir wollen den Menschen nahekommen, wir wollen mit unseren Reportagen den Blick in den Hintergrund bieten. Wir haben mehr Zeit, wir können länger da sein. Natürlich hatten wir in den vergangenen zwei Jahren zwei wahnsinnig prägende Ereignisse ...
prisma: Sie meinen die Pandemie und den Krieg in der Ukraine?
Pieper: Genau! In der Pandemie konnten auch unsere Reporter vor Ort teilweise nicht mehr reisen. Deswegen haben wir solche Formate wie "#MyCorona" kreiert, in denen die Menschen ihre jeweilige Situation in selbstgedrehten Handyvideos erzählten. Die Ergebnisse haben wir dann zusammengeführt, sodass man auch in einer Zeit, in der jeder in seinem Zimmer eingeschlossen war, trotzdem nicht den Weltblick verlor. Ähnlich schwierig war es zu Beginn des Ukraine-Kriegs: Auch da redeten wir viel über Handyvideos mit den Menschen vor Ort. Daraus haben sich dann auch neue Erzählformen entwickelt.
prisma: Sie sprachen von der anfangs doch recht schwierigen Situation als Frau in der Branche. Was waren die größten Hindernisse, auf die Sie während Ihrer journalistischen Arbeit stießen?
Pieper: Mein erster Posten als Auslandskorrespondentin führte mich nach Rom. Damals war ich 35 Jahre alt und eine der wenigen Frauen unter den Auslandskorrespondenten. Zudem war mein Sohn gerade geboren. Da wurde anfangs schon mal gefragt: "Schafft die das überhaupt?" Später war das überhaupt kein Thema mehr. Heute ist das Verhältnis von Auslandskorrespondenten und Auslandskorrespondentinnen nahezu ausgeglichen.
"Mich beeindruckt der Versuch, den Alltag zu leben"
prisma: Welche Erlebnisse sind Ihnen darüber hinaus am meisten in Erinnerung geblieben?
Pieper: An jedem Ort, an dem man dreht, bleiben einem bestimmte Situationen im Gedächtnis hängen: Ich kann mich zum Beispiel noch gut daran erinnern, wie ich in der Griechenland-Krise mitten im Tränengas stand und einen Aufsager hatte, bei dem ich dann irgendwann nach einem Tuch greifen musste, weil es nicht mehr anders ging. Anfang dieses Jahres war ich in der Ukraine – und konnte nach einer Woche einfach wieder zurück über die Grenze fahren. Da musste ich dann nicht mehr ständig Angst vor Luftalarm und auch keine Alarm-App mehr auf dem Handy haben. Und in den Luftschutzbunker musste ich ebenfalls nicht mehr. Aus dieser Perspektive noch einmal neu zu bewerten, was es heißt, wenn man nicht im Frieden lebt, war für mich das eindrücklichste Erlebnis in diesem Jahr.
prisma: Wie haben Sie die Ukraine und die Menschen dort während der Dreharbeiten erlebt?
Pieper: Die Menschen dort zeigen eine wahnsinnige Stärke. In Butscha haben mir die Menschen von den Grausamkeiten erzählt und zugleich gezeigt, wie sie mit einer wahnsinnigen Willenskraft dagegenhalten und sagen: Das darf nicht sein! Mich beeindruckt aber auch der Versuch, den Alltag zu leben: Es gibt dort total coole Bars und Restaurants – trotz der Ausgangssperre, die um 23 Uhr beginnt.
"Zum Glück haben wir ein tolles Sicherheitsteam"
prisma: Wie muss man sich die journalistische Arbeit in der Ukraine derzeit vorstellen?
Pieper: Man versucht schon, möglichst normal zu arbeiten. Doch der Sicherheitsaspekt kommt hinzu: Wo kann man hinfahren? Wo ist der nächste Luftschutzkeller, für den Fall, dass ein Luftangriff kommt? Diese Überlegungen nehmen einen enorm mit, wenn man vor Ort ist. Aber zum Glück haben wir auch ein tolles Sicherheitsteam vor Ort, dass die Gefahren immer wieder neu einschätzt.
prisma: Der Angriff in der Ukraine ist nicht die einzige Katastrophe, die derzeit die weltweite Nachrichtenlage bestimmt: In verschiedenen Ländern brennen die Wälder, während anderswo Wassermangel oder Überflutungen drohen. Wie gelingt es einem, dabei die Zuversicht nicht zu verlieren?
Pieper: Kleine Geschichten, die am Ende gut ausgehen, können da manchmal Trost spenden: Als wir zum Beispiel über die Waldbrände in Kanada berichteten, zeigten wir einen Mann, der sein Haus verlassen musste. Als er später wieder zurückkam, stand sein Haus noch. Es ist wichtig hinzusehen, und die Katastrophen und menschlichen Schicksale, die dahinterstehen, zu benennen – mit all den Auswirkungen für die Menschen, aber auch mit möglichen Lösungsansätzen.
"Schnelligkeit beim 'auslandsjournal' gar nicht so ausgeprägt"
prisma: Doch braucht es diesen individuellen Zugang in einer Zeit, in der jeder die Welt mit dem Handy in der eigenen Hosentasche trägt, überhaupt noch?
Pieper: Natürlich kann ich unseren Zuschauerinnen und Zuschauern heute nicht mehr sagen: "Ich nehme Sie mit in ein exotisches Land, das Sie noch nie gesehen haben." Das Schöne am "auslandsjournal" ist jedoch, dass nicht nur Politiker zu Wort kommen, sondern auch die ganz normalen Menschen, die uns erzählen, was Gesetze oder Naturereignisse für sie bedeuten. Diese Wahrnehmung brauchen wir gerade dann, wenn es viele Bilder gibt und wir die Bilderflut in globalen Zusammenhang bringen müssen.
prisma: War es früher leichter oder schwieriger, spannende Geschichten zu finden?
Pieper: (überlegt) Früher war vieles aufwendiger. Da konnte es gut sein, dass ein Korrespondent für eine Geschichte mal zwei Wochen lang unterwegs war und dann erst mit den Bändern zurück ins Studio kam. Inzwischen geht das natürlich deutlich schneller, nicht zuletzt, weil man den Schnittplatz mitnehmen und noch vor Ort einlesen kann. Dennoch ist diese Schnelligkeit beim "auslandsjournal" gar nicht so sehr ausgeprägt, weil es oftmals eben um die Hintergründe zu einer tagesaktuellen Meldung geht. Die Möglichkeit, das Erlebte noch einmal sacken zu lassen, sollte man sich als Journalistin oder Journalist aber immer nehmen.
"Die Transparenz unserer Arbeitsweise ist besonders wichtig"
prisma: Die Kritik an den öffentlich-rechtlichen Medien wird dieser Tage immer lauter: Es heißt, man berichte zu einseitig, mit zu wenig Sorgfalt. Gleichzeitig fordern viele Einsparungen. Wie hält man da die Balance und Standhaftigkeit?
Pieper: Wir konzentrieren uns auf die Inhalte und die präsentierten Themen und setzen diese mit bestem Wissen und Gewissen um. Wenn dabei Fehler passieren, gehen wir offen damit um. Denn die Transparenz unserer Arbeitsweise ist besonders wichtig. Darum haben wir zum Beispiel vor einiger Zeit online länger mit unserer Korrespondentin in Moskau gesprochen: Wie kann sie überhaupt aus Moskau in Zeiten des Krieges berichten, in denen man das Wort "Krieg" in Russland nicht einmal in den Mund nehmen kann? Das transparent zu machen, gehört zur Glaubwürdigkeit unserer Berichterstattung.
prisma: Wurden Sie selbst schon zur Zielscheibe von Kritik?
Pieper: Es gibt schon Themen, die polarisieren, wie derzeit alles rund um LGBTQ: Wenn man das in seinen Beiträgen erwähnt, wird man gleich als "woke" beschimpft. Dabei ist die Frage wichtig, inwieweit Minderheiten geschützt werden. Wenn wir als Redaktion zu der Einschätzung kommen, dass bestimmte Themen wichtig sind, dann ist es auch unsere Aufgabe, sie genauer zu beleuchten.
"Zum Glück ist unser Anteil an jüngeren Zuschauern hoch"
prisma: Seit Jahren heißt es, junge Menschen könnten sich immer weniger mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk identifizieren. Wie will das "auslandsjournal" dem entgegenwirken?
Pieper: Zum Glück ist unser Anteil an jüngeren Zuschauern hoch. Und wir versuchen, noch mehr von ihnen zu erreichen. Denn wir merken, dass junge Menschen an Auslandsberichterstattung sehr interessiert sind. Doch viele von ihnen sitzen nicht mehr um 22.15 Uhr vor dem Fernsehgerät und warten darauf, dass man ihnen die Welt erklärt. Stattdessen wollen sie die Hintergrundberichterstattung jederzeit abrufbar haben. Deshalb haben wir die Mediathek und sind auf YouTube vertreten.
prisma: Einen eigenen Social Media Auftritt hat das "auslandsjournal" aber nicht ...
Pieper: Nein, da laufen wir unter der Marke "ZDFheute".
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH