Nach dem Erfolg mit der Komödie "Faltenlos" machen Regisseur Dirk Kummer, Drehbuchautor Uli Brée und Publikumsliebling Adele Neuhauser erneut gemeinsame Sache. Neuhauser spielt eine transidente Frau, die nach Jahrzehnten in ihr Heimatdorf zurückkehrt, um sich ihrer traumatischen Vergangenheit zu stellen.
Direkt nach ihrem Quotenerfolg mit der Komödie "Faltenfrei" vor drei Jahren begannen Regisseur Dirk Kummer und Drehbuchautor Uli Brée mit der Planung einer losen Reihe von Einzelfilmen mit dem selben Team und der wunderbaren Adele Neuhauser in der Hauptrolle. Der erste Streich ist am Mittwochabend im Ersten zu sehen: die BR/ORF-Dramödie "Ungeschminkt".
Die 60-jährige Josefa wusste eines schon immer: Sie ist eine Frau. Geboren wurde sie jedoch als Josef auf einem bayerischen Bauernhof. Es gibt triftige Gründe dafür, dass Josefa vor 35 Jahren aus ihrem Elternhaus floh und nicht mehr zurückblickte. Bis jetzt. Nach dem Tod ihrer Eltern beschließt sie, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Unterstützt von ihrer Freundin Antonia (Hayal Kaya) und gegen den Rat ihres Mannes Magnus (Matthias Matschke) fährt Josefa zurück "in die Hölle", nach Distelfing.
"Witzig, du schaust gar ned aus wie so ...", setzt die Gastwirtin Bine (Luise Kinseher) an. "Wie was?", unterbricht Josefa sie scharf. "Ja mei, mir ham da ned alle Tag ...", versucht sich Bine zu erklären, und wird erneut unterbrochen: "Einen Transvestiten?" – Ja, Josefa kennt sie alle, die transphoben Sprüche, ob beabsichtigt verletzend oder nicht. Der Film spiegelt hier die Realität, viele Menschen fühlen sich von LGBTQI+-Themen überfordert. Bine und ihr Mann Hubsi (Stefan Merki) sind jedoch nicht einfach nur überfordert oder unsicher. Sie lehnen jeden ab, der anders ist: transidente Menschen ebenso wie Veganer und Asylbewerber. Man möchte es Josefa nach einer Begegnung mit Hubsi nachtun und einfach nur laut schreien.
Die wichtigen Menschen aus ihrer Vergangenheit aber sind ohnehin andere: Blume (Ulrich Noethen) und Petra (Eva Mattes), der beste Freund sowie die Exfrau von Josef(a), die von ihr ebenfalls zurückgelassen wurden, ohne Erklärung. Es gibt viel aufzuarbeiten für das Trio – das man nicht besser hätte besetzen können.
Josefas erste Begegnung mit Blume ist auch schauspielerisch eine der stärksten Szenen des Films, in der sich Neuhauser, wie sie sagt, "total fallen lassen konnte durch die tiefe Emotionalität von Uli Noethen": Blume erblickt Josefa, stutzt kurz und nimmt sie dann fest in die Arme, ohne Worte, glücklich, während Josefa Tränen der Erleichterung über die Wange rinnen.
Doch dann kommen sie, Blumes Fragen. "Wir waren Freunde, ich hab' doch genau g'wusst, wie's dir geht. Hast du ernsthaft geglaubt, dass ich dich dann nicht mehr zum Freund haben wollte?" – "Dableiben war keine Option", will sich Josefa erklären. Sie habe die Vergangenheit vergessen wollen, alle Fotos und Dokumente verbrannt. "Und mich gleich dazu", sagt Blume verletzt. Doch die Freude über Josefas Rückkehr überwiegt.
Schwerer macht es ihr da Petra, die zunächst nicht mit Josefa reden möchte. Zu tief sitzen Wut und Schmerz der verlassenen Ehefrau, die mit dem Verlust und der Schmach im Dorf weiterleben musste. Als Petra schließlich doch zum Gespräch bereit ist und Josefa alles Ungesagte entgegenbrüllt, wird dieser erst klar: Nicht nur sie war damals unglücklich.
"Wie sehr kann man jemandem verzeihen, den oder die man liebt? 'Ungeschminkt' ist ein Film über die Kraft der Liebe geworden", sagt Regisseur Dirk Kummer. "Und darüber, dass es Mut braucht, so zu leben, wie man leben will." Es ist aber eben auch ein Film über das hochsensible Thema Transidentität. Ein kluger Schritt daher, eine Sensitivity-Beraterin ins Boot zu holen. Ihr Ziel sei, "die Darstellung von trans Personen so authentisch und so wenig klischeehaft wie möglich zu gestalten", erklärt Julia Monro. Das bedeute, plakativ gesprochen: "Weg von der ermordeten trans Frau im Rotlichtmilieu, hin zu einer realistischen Figur, wie wir sie heute auch im Alltag vorfinden."
Adele Neuhauser ist eine Wucht und "Ungeschminkt" ein starker, wichtiger Film. Mit kleinen Schwächen: 90 Minuten sind womöglich zu wenig, um die schwierige Aufarbeitung von Konflikten dieses Ausmaßes wirklich glaubwürdig zu erzählen, aber das ist Kritik auf hohem Niveau.
"Ungeschminkt" – Mi. 13.11. – ARD: 20.15 Uhr