Geheimdiplomat Bundeskanzler
02.05.2024 • 20:15 - 21:00 Uhr
Info, Zeitgeschichte
Lesermeinung
Bundeskanzler Helmut Kohl und seine Ehefrau Hannelore während ihres geheimen DDR-Besuches vom 27. bis 29. Mai 1988, hier in Weimar. Hinten, von links: Peter Kohl, Pressesprecher Friedhelm Ost und Kohl-Berater Wolfgang Bergsdorf.
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Bundeskanzler Kohl im Gespräch auf dem Weimarer Marktplatz, mit Pressesprecher Friedhelm Ost im Mai 1988.
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Ziemlich incognito: Bundeskanzler Kohl macht sich für einen Stadtspaziergang durch Weimar bereit.
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Der DDR-Spion Günter Guillaume wirkte bis 1974 im Schatten von Kanzler Willy Brandt.
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Das Agentenpaar Günter Guillaume und Christel Boom ging 1981 zurück in die DDR.
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Originaltitel
Geheimdiplomat Bundeskanzler - Wie Helmut Kohl die Staatssicherheit narrte
Produktionsland
D
Produktionsdatum
2023
Info, Zeitgeschichte

Die drei Tage im Frühjahr 1988: Familienausflug und Wendetest

Von Wilfried Geldner

Die drei Tage des Helmut Kohl in der DDR im Frühjahr 1988: Zum ersten Mal reiste ein Bundeskanzler privat in den anderen deutschen Staat, ohne mediale Begleitung. Was führte er im Schilde? Klopfte er die Möglichkeit zur Wende ab, testete er seine Popularität? Oder wollte er sich bloß ein wahres Bild vom Zustand "drüben" machen?

Helmut Kohls Reise vom 26. bis zum 28. Mai 1988 hat Münchhausen-Potenzial. Beim Besuch Erich Honeckers im Jahr zuvor hatte Kohl dem gebauchpinselten Staatschef das Versprechen zum touristischen Privatbesuch der DDR abgerungen und damit die Staatssicherheit in die größte Alarmstufe versetzt. Zwar wurde jede Berichterstattung über den Undercover-Besuch ausgeschlossen, doch die Stasi begleitete Kohl und seine familiäre Begleitung auf Schritt und Tritt. Der Film "Geheimdiplomat Bundeskanzler – Wie Helmut Kohl die Stasi narrte" von Claus Räfle (WDR / NDR / ARTE) lebt 35 Jahre nach Kohls Coup von der nostalgischen Sicht auf das Leben der anderen.

Ein Gespräch über Fußball soll der Auslöser des unpolitischen Abenteuers gewesen sein. Das jedenfalls berichtet der damalige Pressechef des Ex-Kanzlers, Friedhelm Ost. Nach der Trauerfeier für Olof Palme in Schweden war er mit Honecker ins Gespräch gekommen, bei dem sich dieser als Kenner der früheren westdeutschen Fußballgeschichte erwies. Honeckers Hinweis, dass der ehrwürdige SC Dresden inzwischen "Dynamo" hieß, brachte Kohl später beim Bonner Besuch Honeckers derart geschickt ins Spiel, dass er sich damit publikumswirksamen Zugang zu einem Oberligaspiel in Dresden verschaffte.

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Die Nase im Wind

Nicht nur dort entgingen Kohl und seine Begleitung, bestehend aus Frau Hannelore und Sohn Peter nebst Pressesprecher und persönlichem Berater, bewusst der hautnahen Stasi-Begleitung. Der VIP-Raum im Stadion wurde ebenso gemieden wie das Abseits eines Chambre séparées in der Dresdner Oper, in das sie der eigens aus Bulgarien herbeizitierte Intendant des Hauses in den Pausen einer Tannhäuser-Aufführung geleiten wollte. Und selbst die Weimarer Kulturstätten, das Goethehaus und der Ilmpark, blieben unberührt. Die als Jogger verkleideten Stasibeamten mussten ebenso vergeblich warten wie jene Agenten, die sich als emsige Studenten eines regionalen Kulturkurses verkleidet hatten.

Begnadete Erzähler wie Friedhelm Ost, aber auch ein damaliger Solist der Semperoper, färben die skurrile, aber absolut sehenswerte Doku humorvoll ein. Doch Bauchgrimmen weckt nicht erst der von einer Ausreisewilligen der Kohl-Gattin Hannelore in der Semper-Oper zugesteckte Bittbrief. Man spürt Jahrzehnte danach noch einmal die Angst und die Paranoia der Stasi, die keineswegs so putzig war, wie mancher sie heute vielleicht sehen könnte.

Den Kohl-Besuch spielte sie ordnungsgemäß herunter bis zum Gehtnichtmehr. Kohls "Versuch durch Kontaktfreudigkeit in das Blickfeld der Öffentlichkeit zu gelangen", sei gescheitert, so hieß es in den überlieferten Tagesberichten. Die erhaltenen Schwarzweiß-Fotos (teils Stasi, teils Amateure) sprechen da eine andere Sprache. Von den Angst-auslösenden Erfurter "Willy, Willy!"-Rufen von 1970 sind sie jedoch ganz weit entfernt. Der Oggersheimer aber hatte mit seiner lichten Größe von 1,93 Metern längst die Nase im Wind.

Willy Brandt und der Spion Günter Guillaume

Im Anschluss, um 20.55 Uhr, sendet ARTE eine Durchleuchtung des Skandals um den Spion Günter Guillaume, der Auslöser war für den Rücktritt des Kanzlers Willy Brandt am 07. Mai 1974. Für Pierre Boom, den Sohn Guillaumes, der sich später nach dem früheren Namen seiner Mutter benannte, war die Enttarnung des Brandt-Mitarbeiters ein großer Schock. 2024 erhielt der 1957 in Frankfurt geborene Boom, ein Fan Willy Brandts, erstmals Einsichten in die Akten der Staatssicherheit. Auf deren Verlangen war er 1975 in die DDR übergesiedelt, die er erst 1988 nach seiner Namensänderung wieder verlassen durfte.

Die Dokumentation von Kai Christiansen (ZDF) begibt sich unter anderem nach Norwegen, an die Côte d'Azur und ins Berliner Umland, um die Rolle der Stasi im Fall Guillaume zu klären. Warum wurde Sohn Pierre 1975 nach Ostberlin gelockt? Und warum sollte er die DDR nicht wieder verlassen?

Geheimdiplomat Bundeskanzler – Wie Helmut Kohl die Stasi narrte – Do. 02.05. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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