"München 72 – Das Attentat": kollektive Hilflosigkeit, die fassungslos macht
1972 überschattete ein Attentat auf israelische Sportler die Olympischen Spiele. Die fiktionale Aufarbeitung des deutsch-israelischen Traumas ist auf umsichtige und aufwühlende Weise gelungen.
2022 wird es 50 Jahre her sein, dass während der Olympischen Spiele 1972 in München der internationale Terrorismus über die in Sicherheitsfragen noch naive Bundesrepublik Deutschland hereinbrach. Am 5. September drangen Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe "Schwarzer September" in die Unterkünfte israelischer Sportler ein und nahmen sie als Geiseln. Knappe 24 Stunden später waren elf Athleten, ein deutscher Polizist und fünf der acht Geiselnehmer tot. In einer dilettantischen Rettungsaktion auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck hatte man versucht, die Geiseln zu befreien. 2012, zum 40-jährigen Gedenken, versuchte ein Spielfilm im ZDF das deutsch-israelische Trauma fiktional zu fassen. Dass "München 72 – Das Attentat" so umsichtig realisiert wurde, lässt einen über kleinere Eventfilm-typische Schwächen locker hinwegsehen. 3sat zeigt das Drama nun als Wiederholung.
Die vielleicht klügste Entscheidung dieser an Originalschauplätzen gedrehten Großproduktion: die Wahl des Regisseurs. Dror Zahavi ("Die Luftbrücke", "Das Geheimnis der Freiheit") ist nicht nur ein besonnener Mensch und großer Könner. Der langjährige Wahlberliner stammt gebürtig aus Tel Aviv. Sein klügster Schachzug: Attentäter und Opfer wurden mit Palästinensern und Israelis besetzt. Das verschafft der sacht fiktionalisierten Darstellung nicht nur ein hohes Maß an Authentizität. Es sorgte nach Zahavis Schilderung auch für eine lebhafte, nicht immer harmonische Atmosphäre am Set.
Über alle Maßen harmonieselig beginnt indes der Film. Ein Hauch von Hippiegefühlen liegt in der Luft, von denen sich auch die aus Essen stammende und als Ordnerin eingeteilte Polizistin Anna Gerbers (Bernadette Heerwagen) und der Münchner Hubschrauberpilot Michael Bruckner (Felix Klare) anstecken lassen. Den zwei Sympathieträgern, die beide recht lose historischen Vorbildern nachempfunden sind, gönnt das Drehbuch von Martin Rauhaus eine beschwingte Sommerromanze. Das ist für den Fortgang der Dinge irgendwann nicht mehr wichtig. Aber die Turtelei hilft zu verstehen, über welch sorgloses Lebensgefühl das Desaster nahezu ungehindert einbrechen konnte.
München will sich vor dem unrühmlichen Hintergrund der Berliner Sommerspiele von 1936 der Welt heiter und unbeschwert präsentieren. Dazu gehört ein Sicherheitskonzept, das aus heutiger Sicht den Namen nicht verdient hat. Terrorszenarien werden vom Münchner Polizeipräsidenten Dieter Waldner (Heino Ferch), der aus juristischen Gründen nicht wie das historische Vorbild Manfred Schreiber heißt, als realitätsfern abgetan. Eher schon rechnet man mit Studententumulten à la '68. Geplante Gegenmaßnamen: Fangnetze, Bonbon-Kanonen und ein aufziehbarer Wackeldackel. Das Credo: Wer fröhlich ist, stellt keine schlimmen Sachen an.
Niemand war auf so etwas vorbereitet
Es steckt viel unfreiwillige Komik in den ersten Filmminuten, alleine schon wegen der knuffigen Kostümierung der Sicherheitskräfte. Doch das Lachen vergeht einem schnell, als das palästinensische Terrorkommando "Schwarzer Sonntag" mit Kalaschnikows bewaffnet ins Olympische Dorf eindringt. Die Schlüssel gibt's vom Reinigungspersonal, über den Zaun hilft ihnen eine arglose Gruppe amerikanischer Olympioniken. Die Geiselnahme von elf israelischen Sportlern in der Connollystraße 31 ist fast ein Kinderspiel. Was folgt, ist die konzise und intensive Nachzeichnung kollektiver Hilflosigkeit, die fassungslos macht und ins fürchterliche Blutbad von Fürstenfeldbruck münden sollte.
Im provisorisch einberufenen Krisenzentrum kommen die tragischen Figuren dieser schicksalsschweren Stunden zusammen: Polizeipräsident Waldner, sein Stellvertreter Hans Struck (Arnd Klawitter), Bürgermeister Walter Tröger (Christoph Zrenner), der Bayerische Innenminister Bruno Merk (Rainer Bock) sowie Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (Stephan Grossmann liefert eine famose Leistung ab) und sein Adjutant Ulrich K. Wegener (Benjamin Sadler), der das Inferno kommen sieht, aber tatenlos zusehen muss. Auf ein solches Szenario war niemand vorbereitet. Die Gegenmaßnahmen: hilflos. Die Pannen: haarsträubend. Das menschliche Versagen: mitunter begreiflich, dank der erhellend geschilderten Zeitumstände.
Diese Differenziertheit lässt der Film auch bei der Zeichnung der Attentäter walten. Der Anführer der Palästinenser, genannt "Issa" (Shredy Jabarin), will nicht als Monster dastehen, verteidigt den Wahnsinn der Geiselnahme mit der Verzweiflung seines Volks. Während die Welt gebannt nach München blickt, ist Zeit für eine (historisch überlieferte) Zigarettenpause mit der spontan zur Unterhändlerin bestimmten Anna Gerbers. Es ist "die Stunde Null des internationalen Terrorismus", wie General a.D. Ulrich K. Wegener es ausdrückte. Und sie ist erschreckend menschlich. In der vielleicht stärksten Szene des ganzen Films blicken sich Issa und der israelische Fechttrainer André Spitzer (Pasquale Aleardi) im Hubschrauber sitzend sekundenlang in die Augen. Das Schicksal hat sie hierher gebracht. Sie hassen sich nicht wirklich, und beide wissen, dass sie sterben werden.
Es ist ein legitimer Dreh, eine solch aufwühlende Zeitgeschichtserzählung mit einem versöhnlichen Ausblick zu beschließen. Am Ende des Films steht die Gründung der Spezialeinheit GSG 9 durch Ulrich K. Wegener, der den Filmemachern beratend zur Seite stand. So etwas Furchtbares sollte, so etwas durfte in Deutschland nicht noch einmal passieren. Bereits 1977 retteten GSG-9-Beamte das Leben sämtlicher Geiseln der entführten Lufthansamaschine "Landshut" in Mogadischu.
München 72 – Das Attentat – Fr. 16.07. – 3sat: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH