Dokuserie "The World's Most Dangerous Show"

Joko Winterscheidt geht dem Greenwashing nach und wird mit "riesengroßer Lüge" konfrontiert

06.07.2024, 12.00 Uhr
von Franziska Wenzlick

In "The World's Most Dangerous Show" auf ProSieben bringt Joko Winterscheidt das Thema Greenwashing auf den Tisch. Experten wie Kathrin Hartmann und Christian Stöcker beleuchten die Propaganda der fossilen Industrie und die psychische Belastung des Moderators im Kampf gegen den Klimawandel.

Joko am Limit

Joko Winterscheidt gerät an seine psychischen Grenzen. Der Mann, der sich im TV bereits den Mund zunähen und lebendig begraben ließ, kann nicht mehr. Grund dafür ist diesmal keine Mutprobe, die ihm Klaas Heufer-Umlauf auferlegt hat. Nein, es ist der Klimawandel, der Winterscheidt zu schaffen macht – und das völlig zu Recht.

Nachdem ProSieben in der Vorwoche bereits die ersten beiden Episoden der sechsteiligen Dokuserie gezeigt hat, war am Donnerstag eine weitere Doppelfolge der Prime-Video-Produktion "The World's Most Dangerous Show" (2023) im Free-TV zu sehen. Erster Themenschwerpunkt des Abends: Greenwashing.

Er habe einen Film über "grüne Versprechen, die uns von Firmen gemacht werden und eigentlich Quatsch sind" drehen wollen, erklärt der Moderator zu Beginn der Sendung. Zu diesem Zweck trifft er sich mit Autorin und Greenwashing-Expertin Kathrin Hartmann dort, wo "das Leben in der Apokalypse normalisiert" wird: am Tagebau Hambach.

Während Winterscheidt ob des schieren Ausmaßes der größten Braunkohlegrube Europas sprachlos scheint, wird die Dimension des Loches in einem Einspieler skizziert: Bis zu 400 Meter tief und "locker 6.000 Fußballfelder groß" sei der Tagebau – dreimal so groß wie die Sophienhöhe, eine von RWE "rekultivierte" und als besonders nachhaltig beworbene Abraumhalde. Die Sophienhöhe sei "ein ideales Symbol für das, was Greenwashing ist", erklärt Hartmann. "Der Kohleabbau geht ja weiter."

Joko Winterscheidt kämpft mit seinem Gewissen: "Betreiben wir hier auch sowas wie Greenwashing?"

Doch auch mit Winterscheidt und seinem Auftraggeber geht die Journalistin hart ins Gericht. "Gerade Amazon – die gehören ja schon zu den Unternehmen, die ganz schön viel Klimaschaden anrichten und CO₂ in die Luft blasen", stellt Hartmann klar. "Weltretter sind sie wirklich nicht. Sie sind schon auch Teil des Problems." Eine überaus unschöne Erkenntnis für Winterscheidt, der schlussfolgert: "Heißt das, wir betreiben hier eigentlich auch sowas wie Greenwashing?"

Um herauszufinden, ob er selbst Teil des Problems ist, tut Winterscheidt das einzig Richtige – und begibt sich zum Psychologen. "Wie soll ich hier ruhigen Gewissens weitermachen?", fragt der 45-Jährige einen Mann, der es wissen muss: "Jeder, der sich mit dem Thema längere Zeit beschäftigt, kommt irgendwann an den Punkt", erklärt Kognitionspsychologe Christian Stöcker. "Wenn man erkannt hat, wie groß das Problem ist, ist Nichtstun keine Alternative."

Dass die durchaus berechtigte Kritik an Amazon hier bereits keine Rolle mehr spielt, ist schade. Stattdessen fokussiert sich die Hochglanz-Klimadoku auf Winterscheidts persönlichen Beitrag zur Klimakrise. Der ist – so stellt der Psychologe klar – gar nicht mal so immens. "Indem wir unser individuelles Verhalten ändern, tun wir uns vielleicht selbst einen Gefallen", gibt Stöcker zu bedenken. "Aber es wird niemals reichen, um das Problem zu lösen."

Ist der CO2-Fußabdruck nur "ein Propagandainstrument der Ölindustrie"?

Die "fundamentalen systemischen Veränderungen" zum Aufhalten des Klimawandels seien demnach nicht durch individuelle Verhaltensänderungen herbeizuführen. Stöcker verweist auf ein prominentes Beispiel – und sorgt bei seinem Gegenüber damit für Entsetzen: "Der CO2-Fußabdruck ist ein Propagandainstrument der Ölindustrie. Wer hat den erfunden? BP!"

Allen Zweifeln des Moderators ("Das klingt wie eine Verschwörungstheorie!") zum Trotz: Stöcker hat nicht ganz Unrecht. Wie ein Einspieler zeigt, machte der britische Öl-Riese BP vor rund 20 Jahren mithilfe einer großangelegten Kampagne die Idee eines "CO2-Fußabdrucks" populär. Die Message: Jeder einzelne Mensch trägt gleich viel Schuld an der Klimakrise. Auch Christine Arena, die einst als PR-Beraterin in der fossilen Industrie tätig war und in den USA auf Winterscheidt trifft, bestätigt: "Das stimmt. Es ist eine riesengroße Lüge, mit der sie versuchen, die Schuld von sich abzuwälzen und die Welt davon zu überzeugen, dass die Verbraucher das Problem lösen müssen."

In Deutschland fasst derweil Christian Stöcker die wohl wichtigste Erkenntnis des Films zusammen: "Wir haben es eben mit einem sehr mächtigen und seit vielen, vielen Jahren laufenden Propaganda-Apparat zu tun." Zusammengefasst wird die Geschichte dieses "Propaganda-Apparats" von keinem Geringeren als Uwe Ochsenknecht. Der Schauspieler präsentiert im Film "die vier Phasen wirksamer Klimaschutzverhinderung" – und weist unter anderem darauf hin, dass der fossilen Industrie die globalen Auswirkungen ihres Schaffens bereits vor 60 Jahren bekannt waren.

"Die Leute fühlen sich selbst besser, wenn sie schlecht über Greta Thunberg reden"

"Je mehr ich bohre, desto mehr weiß ich, und desto besch...ener wirds", muss der zunehmend frustrierte Joko Winterscheidt zugeben. Erneut stellt er den Sinn seines Projekts infrage: "Ich sehe irgendwie kein Licht am Ende des Tunnels. Ich habe das Gefühl, dass es total vergebens ist, was ich mache, weil die Industrie und die Wirtschaft seit Jahrzehnten einfach alles verhindert, was eine positive Veränderung bringen würde."

Christian Stöcker kann die Zweifel seines Gegenübers nachvollziehen – und bringt den Begriff "kognitive Dissonanz" ins Spiel. "Es ist für die Leute sehr unangenehm, gesagt zu bekommen: Was du die letzten 30 Jahre für gut gehalten hast, ist jetzt schlecht. Das gefällt den Leuten nicht, das macht sie aggressiv", erklärt der Wissenschaftler. Aus diesem Grund würden "Überbringer dissonanter Informationen" häufig abgewertet. "Die Leute fühlen sich selbst besser, wenn sie schlecht über Greta Thunberg reden. Weil es ihnen unangenehm ist, was Greta Thunberg über sie sagt", weiß Stöcker.

Das TV-Publikum von seinem Anliegen überzeugen will Winterscheidt trotzdem weiterhin. Am Donnerstag, 11. Juli, abermals um 20.15 Uhr bei ProSieben, widmet sich der Moderator in der finalen Doppelfolge der Serie unter anderem der Frage, ob ein Systemwandel derzeit überhaupt möglich ist.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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