Dirk Steffens: "Katastrophenerzählungen können wir nicht mehr ertragen"
"Bleiben Sie fasziniert" – mit dieser Aufforderung verabschiedet Dirk Steffens regelmäßig die "Terra X"-Zuschauer. Im Interview erklärt der Wissenschaftsjournalist, warum Klimaschutz nicht alles ist.
Seit 30 Jahren ist Dirk Steffens unermüdlich unterwegs, um Schönheit und Fragilität der Natur fürs Fernsehen einzufangen. Nach pandemiebedingter Pause kann der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftsjournalist nun endlich wieder reisen, die Kamera ebenso im Gepäck wie seinen Auftrag. Nach wie vor lautet dieser: Aufklärung im Namen der Forschung. In atemberaubenden Bildern zeigt er, wie faszinierend unsere Welt tatsächlich ist – und wie bedroht durch Handeln und Wirtschaften des Menschen.
Dass global – von der Arktis über die Regenwälder bis in die namibische Wüste – alles wie in einem gigantischen Netzwerk miteinander verknüpft scheint, erläutert Steffens derzeit in neuen Folgen "Terra X: Faszination Erde" (sonntags, jeweils 19.30 Uhr, ZDF; zudem auf Abruf in der ZDF-Mediathek). Immer im Blick behält er sein Lebensthema: die weltumspannende Biodiversität. Im Interview erläutert der 53-Jährige, warum er das Mahnen vor dem Artensterben für wichtiger hält als jenes vor dem Klimawandel – und warum journalistische Objektivität manchmal der falsche Weg ist.
prisma: Sie sind seit 30 Jahren in der Welt unterwegs. Können Sie nach dem Lockdown Ihrer Arbeit inzwischen wieder normal nachgehen?
Dirk Steffens: Normal nicht, aber ich bin wieder unterwegs. Ich war in diesem Jahr in der Arktis, in Namibia, in Irland und demnächst geht es nach Portugal. Also ich kann schon reisen, es ist jedoch alles aufwendiger. Für die Arbeit, die wir machen, sind die Hygiene- und Quarantänebedingungen oft schwierig. Aber immerhin sind wir nicht völlig ausgeschaltet. Damit tröste ich mich.
prisma: Blicken Sie aufgrund der Coronapandemie noch einmal anders auf Ihre Arbeit?
Steffens: Ich glaube, es ging mir da wie vielen anderen: Während der Pandemie haben wir die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation viel intensiver genutzt. Auch bei "Terra X" konnten wir etwa über Facebook, YouTube oder Instagram noch einmal direkter mit den Menschen kommunizieren. Für Leute wie mich, die sonst ein halbes Jahr vorher eine Drehgenehmigung beantragen müssen, wo alles Monate im Voraus geplant werden muss, ist es auch mal toll, so schnell und direkt arbeiten zu können. Ich habe meinen Job zwar nicht neu entdeckt – aber wir haben uns neue Kommunikationswege erschlossen.
prisma: Und dann gab es ja noch die kurze Hoffnung während des Lockdowns, dass man jetzt alles mal anders machen und den Planeten retten könnte ...
Steffens: Das war naiv. Die Veränderung einer Gesellschaft ist ein ganz langsamer Prozess. Dafür braucht es Vordenker, die Utopien formulieren und dann einen öffentlichen Diskurs. Der ist oft quälend langsam, aber in freiheitlichen Gesellschaften unvermeidlich. Natürlich ist eine Pandemie, die zu Einschränkungen bei sozialen Kontakten, beim Reisen, beim Flugverkehr und in vielen anderen Lebensbereichen geführt hat, ein Anlass, über die Gesellschaft von morgen nachzudenken. Aber: Grundsätzlich nachdenken heißt nicht grundsätzlich verändern. Es ist komplizierter. Und trotzdem konnten wir interessante Dinge lernen, die wir vorher nicht auf dem Schirm hatten. Zum Beispiel, dass Verzicht keine Lösung ist.
prisma: Das müssen Sie erläutern.
Steffens: Verzicht bringt keine großen Einsparungen und reicht nicht aus, um die Zukunft nachhaltig zu gestalten. Durch die Einstellung des gesamten Flugverkehrs und eines Teils des Berufsverkehrs, durch reduzierte industrielle Produktion sparten wir während der Pandemie so ungefähr sieben Prozent an CO2-Emissionen. Also viel zu wenig, um die Klimakrise zu stoppen. Selbst wenn wir alle ab morgen gemeinsam auf alles Mögliche verzichten würden: Verzicht löst unsere Umweltprobleme allein nicht. Eine harte, bittere Erkenntnis aus der Krise – aber eine enorm wichtige.
prisma: Inwiefern?
Steffens: Weil wir nun nicht mehr darüber nachdenken müssen, ob wir allein durch Verzicht die Welt retten können. Wir wissen jetzt: Das funktioniert nicht. Verzicht ist gut, aber reicht nicht aus. Wir müssen unseren Fokus stärker als bisher auf andere Formen des Wirtschaftens richten, und auch auf andere Technologien – wobei man da sehr vorsichtig sein muss, weil neue Technologien oft auch neue Probleme bedeuten. Der Autoverkehr wurde auch mal dafür gefeiert, dass er die Städte sauberer macht, weil nun weniger Pferdemist anfällt. Zu kurz gedacht. Wie meistens. Insgesamt müssen wir viel breiter denken, dürfen nicht nur über den Verzicht gehen.
prisma: Was würden Sie den jungen Klimaaktivistinnen sagen, die oft den individuellen Konsum kritisieren?
Steffens: Fridays For Future ist als wichtige und große Bewegung ein gutes Beispiel, weil ich die gerne unterstütze und auch bei einigen Demos mitgelaufen bin. Aber sie fordern etwa, dass man keine Fernflüge mehr machen soll. Damit beschäftige ich mich persönlich natürlich viel, weil ich in meinem Beruf auf Fernflüge angewiesen bin. Man merkt da, dass der Verzichtswunsch zu kurz greift. Das sah man etwa in Afrika: Dort blieben während der Corona-Krise Millionen Touristen aus – und in der Folge brachen große Teile des dortigen Artenschutzes zusammen.
prisma: Wieso das?
Steffens: Weil der Tourismus die Naturschutzgebiete finanziert, die Gehälter der Ranger, den Treibstoff für die Geländewagen. Die Naturschützerinnen und Naturschützer sind zu Tausenden nach Hause gelaufen, weil sie kein Geld mehr bekommen haben. So haben wir zwar Treibhausgase eingespart – auf der anderen Seite aber einen riesigen ökologischen Schaden, der möglicherweise größer ist als der Nutzen durch CO2-Einsparung.
prisma: Welche Schlüsse ziehen Sie daraus, was den Klimaschutz angeht?
Steffens: Man sieht: Denkt man nur an Klimaschutz, geht an anderer Stelle vielleicht mehr kaputt. Das ist die Lehre daraus: Wir müssen holistisch denken. Wir müssen die Erde als ein einziges, großes Natursystem denken, in dem alles mit allem zusammenhängt und wir dürfen nicht die ganze Zeit nur über Klima reden. Das greift zu kurz.
prisma: Versuchen Sie, in Ihren aktuellen "Terra X"-Ausgaben darüber aufzuklären?
Steffens: So ist es. Denn oft nehmen wir zu kurze Kausalketten als Entscheidungsgrundlage. Wir dürfen nicht Ursache und Wirkung nur in ein, zwei Schritten denken. Auch wenn es anstrengend ist: Die Natursysteme müssen als ganzheitliche betrachtet werden. Sonst reparieren wir ständig das eine und machen dabei das andere kaputt. Damit wäre nichts gewonnen, wir schlittern so nur von einer Krise in die nächste. Die gute Nachricht ist aber: Die Wissenschaft beginnt erstmals in der Menschheitsgeschichte, diese Zusammenhänge zu begreifen.
prisma: Was bedeutet das genau?
Steffens: Es gibt komplette Kreisläufe, die sich um die ganze Erde spannen. In der Sendung erläutern wir das etwa anhand der sogenannten Kieselalge. Wir Menschen stehen am Rande dieser Kreisläufe und leben von ihnen. Wenn wir irgendwo in dieser Kette, von den Gletschern über die Regenwälder bis in die Wüsten, ungeschickt eingreifen – dann geht das ganze System hops. Wenn das kippt, sind wir am Arsch, um es ganz geradeaus zu sagen.
prisma: Würden sich nicht dennoch viele Leute fragen: Was kümmert mich die Kieselalge?
Steffens: Wir Menschen können dazulernen. Ein Beispiel: Ich bin jetzt 53 – bis ich 17 war, haben alle in meiner Umgebung geraucht. Uns war nicht bewusst, wie gefährlich das Rauchen ist, obwohl die Wissenschaft das schon damals klar belegen konnte. Es war ein schmerzhafter gesellschaftlicher Prozess. Ich kann mich noch genau an die Diskussionen erinnern, als das Rauchen in den Kneipen verboten werden sollte. Da haben so viele das Ende der Gastronomie herbeigeschrien, was rückblickend betrachtet völliger Quatsch war. Man sieht daran, wie schwierig es ist, selbst bei einer solchen Kleinigkeit einen Wandel herbeizuführen.
prisma: Ist das nicht ernüchternd?
Steffens: Man sah auch: Wenn man lange genug und ohne nachzulassen diese dicken Bretter bohrt, dann kann das funktionieren. Irgendwann ist die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Rauchen für die Gesundheit extrem schädlich ist, so weit durchgedrungen, dass es erste Gesetze gibt, dass die Politik handelt. So müssen wir das sehen.
prisma: Aber ist nicht auch da der Einzelne gefordert?
Steffens: Wir können nicht davon ausgehen, dass jeder Einzelne sich ständig über jede wissenschaftliche Entwicklung informiert – und dann die richtige Entscheidung trifft. Das wäre wünschenswert, ist aber praktisch unmöglich. Auch ich kann nicht durch den Supermarkt laufen und bei jedem Produkt schauen, ob das gut oder schlecht ist, wie die gesamte Produktions- und Lieferkette aufgebaut ist. Das überfordert uns. Wir müssen daher den gesellschaftlichen Diskurs führen, bis die großen Hebel in Bewegung gesetzt werden. In Politik, Industrie und Handel.
prisma: Auch deshalb scheint der Naturfilm in den letzten Jahren politischer geworden zu sein. Welchen Anteil hatten Sie an dieser Entwicklung?
Steffens: Anfangs habe ich mich ziemlich allein gefühlt. Ich bin viel dafür kritisiert worden, dass ich mich so sehr auf den Aspekt der Umweltvernichtung konzentriert habe. Da hieß es dann: "Du bist ja gar kein Journalist mehr, sondern Aktivist."
prisma: Was sagen Sie jenen, die Sie Ihnen Aktivismus unterstellen?
Steffens: Es ist ein intellektuell nicht haltbares Argument. Das wäre, als würde man eine Politik-Korrespondentin, die aus einem diktatorisch regierten Land berichtet und in einem Kommentar den Wert der Demokratie und der Menschenrechte hervorhebt, als "politische Aktivistin" bezeichnen. Das würde ja niemand tun – nur weil sie sich für universelle Freiheiten und Grundrechte ausspräche. Diese Werte stehen nicht zur Diskussion. Werden Grundwerte verletzt, muss man als Journalist darüber berichten – und darf nicht nachlassen. Das gilt für das Wahlrecht, die Pressefreiheit, die Gleichberechtigung – aber eben auch für die Umwelt. Ich würde sogar sagen: für die Umwelt noch viel mehr.
prisma: Können Sie das ausführen?
Steffens: Die Diskussionen um Freiheit und Gleichberechtigung kann nur eine Gesellschaft führen, die atmen, essen und trinken kann. Voraussetzung dafür sind unsere Lebensgrundlagen – insbesondere die Biodiversität. Können wir nicht gesund und satt leben, ist alles andere irrelevant. Darauf hinzuweisen, ist kein Aktivismus, sondern eine verdammte journalistische Pflicht.
prisma: Sie wehrten sich in der Vergangenheit schon öfter gegen die Bezeichnung "Umweltaktivist". Zuletzt ließen Sie aber auch durchblicken, sich damit arrangiert zu haben.
Steffens: Ja, ich bin ständig dabei, mich zu wehren (lacht). Und prinzipiell nervt es mich weiter. Aber ich habe das Gefühl, dass der Begriff nicht mehr ganz so böse ist wie noch vor 20 Jahren. Das ist auch ein großes Verdienst der FFF-Bewegung. Man wird nicht mehr gleich in eine politische Ecke gedrückt oder als nicht objektiv gebrandmarkt, nur weil man eine Sache als richtig erkennt.
prisma: Bisweilen wird Journalisten dieser Tage ja auch vorgeworfen, nicht ausgewogen zu berichten. Muss man also auch beispielsweise Klimaleugner zu Wort kommen lassen?
Steffens: Es ist falsch, über Unsinn zu berichten und Verblendeten das Wort zu erteilen. Wir haben das journalistisch die ganze Zeit gemacht und damit riesigen Schaden angerichtet. Es ist ein journalistisches Grundversagen. Wendet man das Prinzip des politischen Journalismus – mit allen Seiten zu sprechen – auf den Wissenschaftsjournalismus an, wird es katastrophal falsch. Angenommen, eine Astrophysikerin sagt in einer Talkshow, die Erde sei eine Kugel. Dann sitzt da noch einer, der behauptet, die Erde sei eine Scheibe. Die Wahrheit liegt verdammt noch mal nicht in der Mitte. Wenn von zwei Aussagen eine völliger Unsinn ist, darf der Journalismus den Unsinn nicht genauso zu Wort kommen lassen wie die Wahrheit. Das ist unverantwortlicher Quatsch. Wir müssen schauen, wo die größte wissenschaftliche Plausibilität herrscht. Da muss Journalismus ansetzen – und von da darf er nicht weggehen. Wozu bräuchten wir sonst die ganzen Redaktionen, wenn sie nicht in der Lage wären, zu beurteilen, was Sinn macht und was nicht.
prisma: Und bei der Klimadebatte?
Steffens: Wir haben zur Klimakrise so lange die andere Seite eingeladen, irgendwelche abgedrehten Klimawandelskeptiker, die den Eindruck erwecken wollten, auch sie hätten eine wissenschaftliche Grundlage. Dabei gibt es zehntausende Studien, die den menschengemachten Klimawandel nachweisen, und vielleicht eine Handvoll, die das nicht tun. Diese wenigen sind so irrelevant, dass ich dazu niemanden einlade oder befrage. Bei der Coronakrise haben wir wieder den gleichen Quatsch gemacht.
prisma: Wurde Coronaleugnern zu viel Raum gegeben?
Steffens: Auch da saßen in den Talkshows Leute, die wissenschaftliche Evidenz nicht anerkannt haben. Immer mit dem Argument, man müsse ja auch die andere Seite hören. Ich werde nicht müde zu sagen: Wenn die andere Seite vollständiger Quatsch ist, dann dürfen wir unsere Zeit nicht damit verschwenden, ihnen zuzuhören.
prisma: Zuletzt erhielten Sie die Ehrendoktorwürde der Uni Bayreuth. Ist es für Sie eine Art Adelung, auch von wissenschaftlicher Seite Anerkennung zu bekommen?
Steffens: Oh ja! Ich habe ja, was mich sehr freut, in meinem Berufsleben schon ein paar Preise bekommen – aber diese eine Auszeichnung ist etwas Besonderes. Denn ich berichte ja über die Forschung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Und wenn die mich dann dafür auszeichnen, wie ich über ihre Arbeit berichte, dann ist das wirklich cool.
prisma: Sie haben das journalistische Handwerk gelernt, Kollegen wie Harald Lesch etwa kamen dagegen aus der Forschung zum Wissenschaftsjournalismus. Stellen Sie da Unterschiede fest?
Steffens: Ich muss mir das Wissenschaftliche erarbeiten, die anderen eher das Journalistisch-Narrative. Aber große Unterschiede kann ich nicht feststellen. Vielleicht betrachten diejenigen, die aus der Wissenschaft kommen, den Wissenschaftsbetrieb etwas weniger kritisch, und Leute wie ich nehmen das Erzählerische vielleicht etwas zu wichtig. Mit Harald Lesch bin ich gut befreundet, daher reden wir viel darüber. Er ist in erster Linie ein Wissenschaftler mit dem riesigen Talent, die Sachen so spannend und cool zu erzählen, dass jeder gerne zuhört.
prisma: Sitzen Sie eigentlich in einem Büro zusammen?
Steffens: Ja, es gibt einen Raum in Unterföhring, da stehen unsere Namen an der Tür. Durch meinen Beruf und Haralds Verpflichtungen sind wir allerdings beide nicht oft da.
prisma: Gibt es ein wissenschaftliches Thema, über das Sie beide am liebsten reden?
Steffens: Wir reden ständig über den Urknall (lacht)! Und da geht es auch um den Wissenschaftsbetrieb.
prisma: Inwiefern?
Steffens: Wir müssen uns ja fragen, welche Wissenschaft für uns die relevanteste ist. Beispielsweise werden viele Milliarden Euro für Teilchenbeschleuniger ausgegeben – könnte man nicht auch ein paar in die Forschung zum Artensterben stecken? Wir können viele grundsätzliche Fragen aus der Ökologie nicht beantworten, aber forschen darüber, was in der ersten hundertstel Sekunde nach dem Urknall passiert ist. Das kann man auch mal kritisch sehen.
prisma: Verstehen Sie auch, wenn Menschen die Milliardenprogramme der Raumfahrt kritisieren? Hier liegt ja schließlich auch Potenzial für wichtige Forschung.
Steffens: Raumfahrt ist schon großartig. Vieles, was wir über das Geosystem unseres Planeten wissen, erfuhren wir nur vom Weltall aus. Auch Projekte wie "Ikarus", in dem Tierwanderungen beobachtet werden, sind nur satellitengestützt möglich. Und denken Sie an die Klimaforschung – die wäre ohne Satellitentechnologie nicht möglich. Da wird das Geld nicht verpulvert, sondern ist sehr notwendig.
prisma: Sie haben in letzter Zeit öfter betont, dass Sie das Artensterben für wichtiger halten als den Klimawandel. Spitzen Sie das absichtlich zu?
Steffens: Nein, es ist nicht zugespitzt. Wir konzentrieren uns so auf das Klima, dass wir das Gefühl bekommen: Wenn wir das lösen, ist alles wieder gut. Das ist definitiv falsch. Klima ist nur ein Aspekt der großen globalen Ökokrise. Man muss sich grundsätzlich fragen: Was ist für uns das Wichtigste? Für uns Menschen ist das Wichtigste, dass wir ein gutes Leben führen können. Bei der Beurteilung dessen sollten wir nicht auf abstrakte Messwerte schauen.
prisma: Was heißt das?
Steffens: Theoretisch kann es menschliche Zivilisation ohne einen einzigen Gletscher auf dem Planeten geben. Aber ohne Artenvielfalt kann kein einziger Mensch leben. Menschliches Leben wäre ohne Biodiversität nicht möglich. Ich fasse es gern so zusammen: Der Klimawandel stellt infrage, wie wir leben. Das Artensterben stellt infrage, ob wir leben. Es gibt eine Hierarchie des Lebensnotwendigen. Ich will den Klimawandel nicht kleinreden – er ist womöglich sogar noch bedrohlicher, als wir es gerade ahnen. Aber hinter diesem Monster sitzt ein Mega-Monster, wenn man so will. Wenn wir Biodiversität schützen, ist der Klimaschutz fast schon ein Nebeneffekt davon.
prisma: Warum reden dann aber alle über das Klima und nur wenige über das Artensterben?
Steffens: An der Klimaschutzdebatte sehen Sie, wie lange es braucht, bis grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse im gesellschaftlichen Diskurs ankommen. Das Artensterben als Forschungsthema ist noch viel jünger. Es dauert, bis wir Wissenschaft in die Köpfe kriegen. Zum anderen ist das Artensterben weniger messbar. Biologische Systeme reparieren sich selbst; wenn von 50 Insektenarten, die einen Apfelbaum bestäuben, 20 aussterben, kann es sein, dass es keine Auswirkungen gibt – oder dass die Ernte verloren ist. Schwer vorherzusagen. Fünf Massenaussterbeereignisse gab es schon in der Geschichte des Lebens auf der Erde. Danach dauerte es jeweils Millionen Jahre, bis die Biodiversität wieder wie vorher war.
prisma: Kann man die Dringlichkeit des Themas im Fernsehen nicht besser unterstreichen als den abstrakten Klimawandel?
Steffens: Man kann natürlich Pflanzen und Tiere insofern gut instrumentalisieren, als dass sie Emotionen wecken können. Beim Klimawandel geht es um Gase, das ist natürlich schwieriger zu vermitteln. Beim Artenschutz ist das einfacher – und daher kann man auch mal einen Eisbären zeigen. Andererseits: Wenn der Eisbär morgen ausstirbt, ist es für die Menschheit mehr oder weniger egal. Jeden Tag sterben 150 Arten aus, das ist das schlimmste Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Das Problem ist dieses Massenaussterben, dass das System ins Wanken bringt und zudem viele verschiedene Ursachen hat. Da geht es auch um unseren Lebenswandel und die Überbevölkerung. Schaut man sich das Artensterben an, landet man in allen Lebensbereichen.
prisma: Ist es nicht vielleicht auch problematisch, immer nur Katastrophenszenarios zu zeigen?
Steffens: Ja, das schaut sich niemand an. Katastrophenerzählungen können wir nicht mehr ertragen. Wir müssen ein positives Narrativ schaffen. Wir müssen Menschen motivieren und herausstellen, was wir gewinnen, wenn wir die Umwelt schützen. Nämlich ein schöneres, gesünderes Leben. Deshalb stelle ich mich nicht auf eine Müllkippe, wenn ich von der Umwelt rede, sondern in den Regenwald. Der ist schön. Und Natur macht glücklich.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH