"In zwei Wochen bin ich wieder weg"

Strafversetzt nach Göttingen sieht sich Charlotte Lindholm einem dramatischen Fall gegenüber – und einer neuen Kollegin, die genauso stur ist wie sie selbst.
Angeschlagen und gekränkt muss Charlotte Lindholm in Göttingen neu anfangen. Ein Start mit Hindernissen.
"Tatort: Das verschwundene Kind"
Sonntag, 3.2.
20.15 - 21.45 Uhr
ARD
"Heute Abend komm ich rechtzeitig, dann sprechen wir noch mal darüber", verspricht Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) ihrem Sohn, der sich in den Kopf gesetzt hat, Fußballprofi zu werden. Es ist einer dieser Sätze, die man in Krimis schon oft gehört hat. Und aus Erfahrung weiß man: Sie wird ihr Versprechen nicht halten können. Es kommt ein Fall dazwischen.
Dabei hat sie ihren letzten Einsatz, den "Fall Holdt", noch gar nicht richtig verarbeitet. Strafversetzt nach Göttingen versucht sie trotzdem, ihren Alltag in den Griff zu kriegen, so etwas wie Routine einkehren zu lassen, ohne es sich in der neuen Umgebung allzu bequem zu machen. "Ich hab ein Kind in Hannover. Ich werde bestimmt nicht nach Göttingen ziehen." Einer der ersten Sätze, die ihr neuer Chef Gerd Liebig (Luc Feit) von ihr zu hören bekommt.
Auch ermittlungstechnisch hat Lindholm gleich mehr als genug zu tun. In einer abrissreifen Schulumkleide wird Blut gefunden. Jede Menge. Dazu ein Satanszeichen an der Wand und – in einer Toilette – eine Plazenta samt Nabelschnur. Dankbar, wer sein Abendbrot mit ausreichend Vorlauf zu sich genommen hat. Doch der Zuschauer hat auch einen Vorteil: Anders als die strafversetzte Ermittlerin weiß er, von wem die Spuren stammen. Von Julija Petkow (Lilly Barshy), einer Schülerin, die seit einer Woche nicht im Unterricht war. Was aber genau passiert ist – mit ihr, aber auch mit dem Neugeborenen –, weiß auch er nicht. Ebenso wenig wie die Ermittler.
Der Tatort aber wäre nicht der Tatort, läge darin Lindholms einziges Problem. So genügt eine einzige, rassistische Dummheit, um die neue Kollegin Anaïs Schmitz (Florence Kasumba, lesen Sie hier ein Interview) auf die Palme zu bringen. Für die anderen braucht es härtere Geschütze, doch auch die feuert sie sauber ab: "Ich arbeite lieber allein, Kommunikation ist nicht so mein Ding und Teamwork auch nicht", wirft sie dem Team als Einstand an den Kopf. "Ich hab' Probleme, mich auf das Tempo und die Befindlichkeiten anderer einzustellen, und ich hab' ein Problem mit Kollegen, die nicht auf meinem Niveau ermitteln. Und damit Sie es genau wissen: In zwei Wochen bin ich wieder weg." Es wird also nicht lange dauern, bis die Situation eskaliert.
Grenzen und Tabus
Vieles von dem, was dieser Tatort dem Zuschauer zumutet, ist schwer zu ertragen, Bilder und Charaktere kratzen an Grenzen und Tabus. Doch selten auch war ein Fall um Charlotte Lindholm derart nah an den Abgründen des Alltags, den zwischenmenschlichen, den sozialen, den psychischen. Einzig am Ende fällt dieser Tatort ab, vor allem in Bezug auf die internen Konflikte, die innerhalb weniger Momente und damit zu schnell geglättet werden. Fraglich, wie viel davon sich in die kommenden Fälle retten lässt. Hoffnung macht da Maria Furtwängler selbst, wenn sie sagt: "Daraus kann man noch viel Spannendes entwickeln, weil man das auch nicht so häufig sieht, dass es zwei Alphafrauen gibt, zwei Frauen, die sich nicht ankuscheln, sondern ganz handfest verschiedene Arten haben, an eine Sache heranzugehen, die ein unterschiedliches Temperatur haben, ohne jemals zickig oder hysterisch zu sein." Also dann: auf ein Neues. In Göttingen.