TV-Team war 21 Tage an Bord der "Sea-Watch 3"
Im Sommer 2019 versuchte Carola Rackete mit der "Sea-Watch 3" mit 53 Flüchtlingen an Bord am Hafen von Lampedusa anzulegen. Ein Team von Dokumentarfilmern war mit an Bord, der NDR zeigt die brisante Doku.
Es hätte die erlösende Einfahrt in einen rettenden Hafen werden sollen. Doch was Kapitänin Carola Rackete und die 53 aus Seenot geretteten Flüchtlinge an Bord der "See-Watch 3" in Lampedusa erwartete, war ein unmenschliches Trauerspiel. "Du Komplizin von Menschenhändlern! Schäm dich!", brüllten ihr aufgebrachte Menschen am Hafenanleger entgegen. Die Reporter Jonas Schreijäg und Nadia Kaiouli waren dabei und berichten von den Geschehnissen, die lange die Schlagzeilen bestimmten, nun in einer bemerkenswert intensiven TV-Doku.
Sobald das Schiff, das zuvor eine wochenlange Odyssee auf hoher See unter menschenunwürdigen hygienischen und medizinischen Bedingungen hinter sich gebracht hatte, festmachte, erfolgte der angekündigte Schock: Carola Rackete wurde im Hafen von Lampedusa abgeführt und vorläufig festgenommen. Die deutsche Seenotretterin, die sich zuvor schon einen medialen Kleinkrieg mit dem mittlerweile abgelösten italienischen Innenminister Matteo Salvini geliefert hatte, hatte ihr Boot ohne offizielle Erlaubnis der italienischen Behörden in den Hafen gesteuert.
Ihre Festsetzung war der traurige vorläufige Höhepunkt einer wochenlangen Irrfahrt, bei der die Geflüchteten zu Spielbällen einer sehr unentschlossenen, in Menschenrechtsfragen auch zunehmend reservierten Weltpolitik wurden. Nun gibt es einen Nah-Blick auf das alltägliche Grauen an Bord und den enormen Druck, der auf Carola Rackete, die mittlerweile wieder freigelassen wurde und sich weiterhin für ihre humanitären Ziele stark macht, lastete: Die TV-Reporter Schreijäg und Kailouli haben für den NDR den Film "Seatwach 3" gedreht, der am Dienstag, 8. Oktober, zur nachtschlafenden Uhrzeit um 0.00 Uhr im NDR-Fernsehen erstausgestrahlt wird und danach dort in der Mediathek zu sehen sein wird.
21 Tage verbrachten die Filmemacher mit an Bord. Die räumliche Nähe erlaubt einen äußerst intensiven Blick hinter die Kulissen auf die wahren menschlichen Schicksale. Dabei standen die Reporter, die vor Ort in Lampedusa ebenfalls stark angefeindet wurden, selbst unter Druck. Sie mussten nicht nur die qualvolle Enge an Bord aushalten, sondern auch journalistische Distanz zum Geschehen wahren, so schwer ihnen das fiel.
"Wir wollen den Fokus mehr auf die Geflüchteten und deren Erfahrung legen", sagt Jonas Schreijäg im Rückblick in einem "jetzt"-Interview. "Durch den Dokumentarfilm können wir eine ganz andere Perspektive zeigen: diejenige der Menschen, die geflohen sind." Über die Kapitänen sagt Schreijäg, sie habe auf ihn "sehr abgeklärt" gewirkt: "Ich meine: Sie hatte ständig Polizeibesuch auf der Brücke und hat nach außen fast nie Nervosität gezeigt."
"Als Kailouli und Schreijäg zu den Dreharbeiten für diesen Film aufgebrochen sind, hatte sich lange Zeit kaum jemand mehr für die Situation auf dem Mittelmeer interessiert", heißt es in der Ankündigung des NDR-Fernsehens. "Die staatliche Seenotrettung war eingestellt, viele private Rettungsschiffe waren beschlagnahmt. Das Sterben von vielen Menschen auf der Flucht war aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden und hatte doch nie aufgehört." Der Film dokumentiere nun "ein dramatisches Stück Zeitgeschichte". Es handele sich um ein "außergewöhnlich ehrliches Protokoll einer Rettungsmission, deren Kapitänin unfreiwillige Berühmtheit erlangt, als sie 53 Menschen rettet, Salvini die Stirn bietet und so den Kurs der gesamten EU-Migrationspolitik infrage stellt".
Die Filmemacher erlebten in den 21 Tages vieles selbst mit. Nicht weniger schwer erträglich müssen aber die Geschichten gewesen sein, die ihnen die Gefüchteten erzählten. Eine junge Frau, die ihren Peinigern in Libyen irgendwann entkommen konnte, schilderte laut NDR: "Sie haben Menschen die Kehle durchgeschnitten. Sie haben Menschen vor unseren Augen verbrannt."
Quelle: teleschau – der Mediendienst