Eckart von Hirschhausen: "Die größte Gesundheitsgefahr ist und bleibt die Klimakrise"
Während die Kultur in der Coronakrise brach liegt, wurde Medizinern und dem Pflegepersonal ungewohnte Aufmerksamkeit zuteil. Kabarettist und Arzt Dr. Eckart von Hirschhausen kennt beide Welten und bietet im Interview Einblicke in einen Alltag zwischen Hoffnung und Resignation.
Dr. Eckart von Hirschhausen hat mit medizinischem Kabarett dem Humorfach einst eine neue Gattung verschafft. Der promovierte Arzt tourt seit Jahren durch die großen Hallen der Bundesrepublik – stets nach dem Motto "Humor ist die beste Medizin". Seine aktuelle Live-Tour mit dem Bühnenprogramm "Endlich!" ist jedoch wegen der Coronakrise unterbrochen. Im TV bleibt von Hirschhausen vor allem dank "Hirschhausens Quiz des Menschen XXL" (Samstag, 29. August, 20.15 Uhr, ARD) trotzdem präsent. In der Jubiläumsausgabe zum zehnjährigen Bestehen der beliebten TV-Show begrüßt der 52-Jährige unter anderem Comedian Bülent Ceylan, TV-Koch Nelson Müller und Schlagerstar Beatrice Egli.
Welche Unterstützung er sich in der Corona-Zeiten von der Politik wünscht, was die Krise mit dem Klimawandel zu tun hat und warum er wenig Hoffnung auf nachhaltige Veränderungen in der Pflegebranche hat, erklärt Dr. Eckart von Hirschhausen im Interview.
prisma: Forscher, Virologen und Epidemiologen rückten in der Coronakrise in den Fokus der Öffentlichkeit. Wie bewerten Sie als Mediziner und Wissenschaftsjournalist deren Rolle?
Dr. Eckart von Hirschhausen: Die Rolle dieser Wissenschaftler können wir gar nicht genug schätzen, denn was wir jetzt brauchen, sind Fakten. Deswegen muss auch konsequent gegen Verschwörungstheorien und die "Infodemie" vorgegangen werden. Konkret: Wenn es im Netz heißt, wir sollten Desinfektionsmittel zum Schutz trinken, braucht es eine Stelle, die das zeitnah einordnen hilft. Lieber desinfiziert und informiert, als desinformiert und infiziert. Ich erlebe zwei Welten – eine offizielle und eine komplette Parallelwelt in den sozialen Medien.
prisma: Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Parallelwelt?
von Hirschhausen: Das ist enorm gefährlich, weil sich psychologisch jeder die Informationen sucht, die zu seiner Weltsicht passen. Die Algorithmen von Google, Facebook und YouTube verstärken und verzerren massiv zugunsten von Hass, Hysterie und Populismus. Von Menschen, die ich eigentlich für vernünftig gehalten habe, bekomme ich Videos mit den krudesten Typen und Botschaften weitergeleitet. Auch Prominente beteiligen sich an der Verbreitung, bis hin zu Staatsoberhäuptern wie Trump und Bolsonaro, die eine antiwissenschaftliche Haltung weltweit salonfähig gemacht haben.
prisma: Der Applaus für das Pflegepersonal wurde weltweit zu einem Symbol der Solidarität und Wertschätzung. Politische Maßnahmen zur Eindämmung des Pflegenotstandes oder eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte sind in Deutschland jedoch nach wie vor nicht beschlossen. Was wird sich in einer Zeit nach Corona ändern?
von Hirschhausen: Ich befürchte, nicht viel. Im Konjunkturpaket war von Verbesserungen in der Pflege plötzlich keine Rede mehr. Mit dem Deutschen Pflegetag bin ich seit vielen Jahren ein Befürworter einer Bundespflegekammer, die langsam, aber sicher vorankommt. Die größte Gruppe im Gesundheitswesen ist noch unsichtbarer: die pflegenden Angehörigen. Was die jeden Tag ungelernt und unbezahlt tun, ist ein Vielfaches von dem Wert, was die Pflegekassen überhaupt an Geld haben. Und der Bedarf steigt rapide durch unsere gestiegene Lebenserwartung. Hier würde ich gerne von der Schweiz lernen, die in jedem Bürger einen "Reservisten" sieht.
prisma: Wo herrscht in Deutschland Nachholbedarf?
von Hirschhausen: Der Wehrdienst ist abgeschafft, aber damit leider auch der Zivildienst. Früher haben viele junge Menschen über die konkrete Arbeit in den Krankenhäusern, Altenheimen und Behindertenwerkstätten Kontakt mit anderen sozialen Welten bekommen, neue Talente an sich entdeckt und viel fürs Leben gelernt. Dieser Kontakt hält eine Gesellschaft zusammen. Mein Vorschlag wäre: Jeder macht nach der Schule ein Jahr für die Gemeinschaft, bekommt dafür zum Beispiel das Zertifikat "Pflegehelfer". In Krisen gäbe es dann viele, auf deren Grundwissen wir zurückgreifen können. Die demografische und die ökologische Krise kommen ja erst noch.
prisma: Dank Workshops von Ihrer Stiftung "Humor hilft heilen" sind Sie regelmäßig in Kontakt mit Pflegekräften. Wie ist derzeit die Stimmung in der Branche?
von Hirschhausen: Für eine Reportage des WDR war ich während der Corona-Zeit eine Woche auf einer Intensivstation, um die Menschen vorzustellen, die ein Krankenhaus in Krisenzeiten am Laufen halten: Ärzte, Rettungskräfte, Reinigungskräfte und vor allem die Pflegekräfte. Nach der anfänglichen Begeisterung für die Pflegekräfte wollte ich zeigen, dass für sie die Krise überhaupt noch nicht vorbei ist, sondern die zusätzlichen Schutzmaßnahmen vor allem ein mehr an Arbeit, an Risiko und an körperlichen Strapazen bedeuten – und davon wird sich so schnell nichts lockern lassen. Auf die Frage nach der "Systemrelevanz" bekam ich von einer Pflegerin eine ganz klare Antwort: "Wir sind immer schon systemrelevant". Was mich schon sehr nachdenklich macht ...
prisma: Ja?
von Hirschhausen: Keiner aus der Pflege, mit dem ich sprach, glaubt daran, dass nach den großen Versprechungen zu Beginn der Krise wirklich etwas umgesetzt wird. Dabei hatten wir schon vor der Krise viel zu wenig Fachkräfte und steuern sehenden Auges auf die Katastrophe hin – völlig unabhängig von Corona.
prisma: Die soziale Isolation während der Corona-Zeit hat bei vielen Menschen zu psychischen Problemen geführt. Welche Ratschläge haben Sie für Menschen, die mit Einsamkeit zu kämpfen haben?
von Hirschhausen: Die aktuelle Situation ist extremer Stress, und die seelische Gesundheit vieler hat in der Quarantäne gelitten. Wir haben viele Menschen, die sowieso schon an Vereinsamung, an Depressionen und an Sucht leiden. Nach der Finanzkrise gab es eine Zunahme an Suiziden. Gerade weil momentan unklar ist, wie lange die Beschränkungen gelten, ob es eine zweite Welle gibt und was aus vielen Freiberuflern wird, ist das schwer auszuhalten. Wichtig: Die eigene Einsamkeit ernst nehmen und sich in akuten Krisen professionelle Hilfe holen, bei der Telefonseelsorge, beim Patiententelefon der Kassenärztlichen Vereinigung und bei den Fachleuten in der Psychiatrie.
prisma: Trotz aller Probleme: Welche gesellschaftlichen Chancen birgt Corona?
von Hirschhausen: Meine große Hoffnung ist, dass wir nach der Krise neu darüber nachdenken, welche Art von Wachstum wir denn wieder ankurbeln wollen, wenn es mit sauberer Luft, mehr Fahrrad und weniger sinnlosen Flügen eigentlich viel schöner ist. Wenn uns das Überleben einzelner heute befähigt, unseren Lebensstil zu ändern, sollte das nicht auch für das Überleben der Menschheit gelten? Die größte Gesundheitsgefahr ist und bleibt die Klimakrise, die Zerstörung unserer Mitwelt, die sich an vielen Stellen rächt: durch eine Zunahme von Infektionskrankheiten, von Allergien, von Hitze, Dürre und Waldbränden. Darüber redet gerade keiner mehr, dabei hängen die Krisen eng zusammen. Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten.
prisma: Kulturschaffende leiden wie kaum eine andere Berufsgruppe unter den Corona-Einschränkungen, fühlen sich von der Politik aber übergangen. Welche Maßnahmen wünschen Sie sich von den Politikern, um Menschen, die im Live-Kulturbetrieb tätig sind, zu helfen?
von Hirschhausen: Erst einmal muss in die Köpfe der Politiker: Kultur, Konzerte, Lesungen und Kabarett sind auch systemrelevant! Kunst ordnet die Realität ein, hilft uns zu verstehen, gibt uns Kraft. Wirklich in meinem Element bin ich auf der Bühne – deswegen vermisse ich das auch am meisten. Ausverkaufte Termine abzusagen ist nicht lustig, weder für die Zuschauer und die Techniker noch die Veranstalter, Agenturen und alle, die noch mit dranhängen. Warum retten wir ständig mit kollektivem Steuergeld Jobs in Branchen, die uns kollektiv schaden, wie die Braunkohle, die Agrarindustrie und der Flugverkehr? Wir brauchen zukunftsfähige Arbeit, die nicht nur darin besteht, sich ständig im Hamsterrad zu drehen, sondern auch darin, darüber nachzudenken, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH