Steffen Schwarzkopf über die USA und Corona: "Es ist ein extrem geteiltes Land"
Die USA gelten als globaler Hotspot der Corona-Pandemie. Wie das Virus den Alltag in den Staaten bestimmt und wie herausfordernd sich dieser Tage die Arbeit als US-Korrespondent gestaltet, erklärt WELT-Reporter Steffen Schwarzkopf im Interview.
Wenn dieser Tage über die zum Teil fürchterlichen Folgen des Corona-Virus geredet wird, richtet sich der Blick meist schnell gen USA. Die Vereinigten Staaten avancierten zum globalen Hotspot der Pandemie – insbesondere aufgrund der enorm hohen Infizierten- und Todeszahlen. Doch auch die Berichte über Massengräber vor New York, über rasant ansteigende Waffenkäufe und demonstrierende Lockdown-Gegner erregten hierzulande Aufsehen. Nicht zuletzt natürlich zudem ein Präsident, der beinahe täglich für bisweilen bizarre Schlagzeilen sorgt – Stichwort: Bleichmittel-Therapie. Mittendrin im US-amerikanischen Pandemie-Chaos befindet sich TV-Reporter Steffen Schwarzkopf, der seit 2016 als US-Korrespondent für den Nachrichtensender WELT, vormals N24, über den großen Teich hinweg berichtet – so auch jetzt, etwa in der Reportage "Corona-Krise – Epizentrum New York" (verfügbar in der WELT-Mediathek). Die Corona-Krise erlebt der 47-Jährige, der schon in den gefährlichsten Kriegsgebieten der Welt im Einsatz war, mit seiner Familie im US-Bundesstaat Maryland nahe Washington D.C. Was sich für ihn als Fernsehreporter veränderte und wie er den Umgang der US-Amerikaner mit der Pandemie wahrnimmt, berichtet Steffen Schwarzkopf im Interview.
prisma: Wie geht es Ihnen in diesen Zeiten der Pandemie – und wie hat sich Ihr Reporterleben in den USA seit Corona verändert?
Steffen Schwarzkopf: Es ist natürlich ein anderes Reporterleben als vorher. Gerade jetzt, in einem Wahljahr, in dem normalerweise Wahlkampf herrschen und ich aktuell Donald Trump und Joe Biden folgen würde. Das alles ist jetzt weggebrochen – und schade, weil es für einen Reporter das Salz in der Suppe ist, herumzureisen und mit den Leuten zu reden. Dennoch: Die Arbeit ist nicht weniger geworden.
prisma: Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus?
Schwarzkopf: Ich arbeite viel vom Büro aus, drehe bisweilen aber auch außerhalb, mit besonderem Mikro, um genügend Abstand zu halten. Und es kommt vor, dass ich meine Familie mit auf den Dreh nehme. Auch die Kinder kommen dann mit, tragen natürlich Masken. In Atlantic City etwa haben wir sie zum Strand geschickt – und die waren happy, dass sie draußen spielen konnten. Ich versuche dieser Tage, das eine mit dem anderen zu verknüpfen. Es ist ein anderes Arbeiten als noch vor ein paar Monaten.
prisma: Sie thematisieren Ihre persönliche und familiäre Situation auch in so manchem Bericht.
Schwarzkopf: Ja, die persönliche Note habe ich mit einfließen lassen, weil sich unser Alltag derzeit ja nicht vom Alltag Millionen anderer Amerikaner unterscheidet. Insofern versuche ich zu veranschaulichen, wie sich auch für uns als Familie alles verändert hat – und wie wir damit umgehen. Dann wird die Situation greifbarer.
prisma: Sie haben in den vergangenen Jahren aus zahlreichen Krisen- und Kriegsgebieten weltweit berichtet. Stellt die Corona-Krise dennoch auch für Sie eine ungekannte Situation dar?
Schwarzkopf: Auf jeden Fall. Natürlich erlebte ich Situationen, ob in Afghanistan, Libyen oder Syrien, in denen ich Angst um mein Leben hatte. Das habe ich aktuell nicht. Es droht keine Waffengewalt oder Ähnliches. Insofern ist es eine Ausnahmesituation, aber nicht vergleichbar mit den Dingen, die ich in vielen Ländern mitbekam. Ein Wechselbad der Gefühle durchlebe ich während der Corona-Pandemie dennoch.
prisma: Inwiefern?
Schwarzkopf: Anfangs war ich wie viele andere auch sehr tiefenentspannt. Das änderte sich, als sich die Lage in New York zuspitzte und man erwartete, dass es hier bei uns, in Maryland nahe Washington, in eine ähnliche Richtung gehen könnte. Da kam auch bei mir angesichts eines drohenden Lockdowns die Sorge auf, wie es nun weitergehen soll. Am Ende konnten wir uns aber mit allem arrangieren.
prisma: Gab es trotzdem einen Zeitpunkt, an dem Sie und Ihre Familie überlegten, für die Zeit der Krise nach Deutschland zu kommen?
Schwarzkopf: Kollegen riefen angesichts der Bilder in den Medien an, um zu fragen, ob wir nicht ins sicherere Deutschland kommen wollen. Aber ernsthaft darüber nachgedacht haben wir nicht. Einerseits ist die medizinische Versorgung hier gewährleistet – und andererseits wollte ich gerade während der Krise als US-Korrespondent aus dem Hotspot berichten.
prisma: Hatten Sie während Ihrer Recherchen Angst, sich mit dem Virus zu infizieren?
Schwarzkopf: Anfangs war man etwas unvorsichtiger, da nahm ich während eines Interviews dann doch mal den Mundschutz runter. Aber im Laufe der Wochen haben wir uns und die Interviewpartner gut geschützt. Angst vor einer Ansteckung hatte ich in diesem Sinne nicht. Aber klar: Du achtest immerzu auf Symptome, ob es nun Druck in der Brust oder Halskratzen ist. Diese Fragen betreffen mich allerdings nicht als Reporter – die stellt sich aktuell ja jeder.
prisma: Bekamen Sie als Reporter Zugang zu Orten, die für andere Menschen verschlossen bleiben?
Schwarzkopf: Das Mikro öffnet dir sicher so manche Tür. So besuchten wir Fabriken für Desinfektionsmittel, oder Läden, die normalerweise für die Öffentlichkeit geschlossen sind. Behörden hingegen sind extrem zurückhaltend. Beim Versuch, in Krankenhäusern zu drehen, bekamen wir regelmäßig ein "No" zu hören. Auch bei einer Geschichte über die Polizei beschränkte sich das Drehen auf ein Interview per Zoom.
prisma: Können Sie einschätzen, ob Ihre Interviewpartner in Zeiten der Pandemie aufrichtig antworten?
Schwarzkopf: Insgesamt sind die Amerikaner ja extrem offen, was Interviews angeht. Sie halten es für eine Form der Höflichkeit, dir als Reporter ehrlich zu antworten. Auch während Corona-Krise habe ich das Gefühl, dass die Menschen sagen, was sie denken, was sie beschäftigt und was ihnen Sorgen bereitet. Allgemein gilt auch: Die Leute neigen auch jetzt zu Extremen.
prisma: Wie zeigt sich das?
Schwarzkopf: Das reicht vom anfänglichen "Was interessiert mich das Virus, das ist ja weniger schlimm als eine normale Erkältung" bis zu einer jetzt herrschenden extremen Vorsicht. In Washington etwa sind die Menschen fast nur noch mit Masken unterwegs, auch an der frischen Luft, selbst wenn niemand in der Nähe ist. Wenn ich mit dem Fahrrad morgens zur U-Bahn fahre, springen die Leute freiwillig in den Busch oder holen sich an der Mauer eine Schürfwunde, um mir aus dem Weg zu gehen. So groß ist die Sorge, einer anderen Person zunahe zu kommen.
prisma: Ist es auch in der Pandemie ein geteiltes Land?
Schwarzkopf: Was in Deutschland manchmal nicht ganz ankommt: Die USA sind von der Corona-Krise zwar stark getroffen – vor allem aber in den Ballungsgebieten, an den Küsten. Es gibt jedoch Bundesstaaten wie Arkansas oder Tennessee, in denen es vielleicht lediglich ein paar hundert Infektion gibt. Dort hat nie ein Notstand geherrscht. Nicht überall ist New York. Viele Bundesstaaten, in denen nie eine Infektionswelle ankam, wollen die Stay-at-Home-Order daher aufheben. Es ist ein extrem geteiltes Land.
prisma: Hier in Deutschland bekommt man insbesondere auch die Demonstrationen gegen den Lockdown und die gestiegenen Waffenkäufe mit. Entspricht dieses Bild der Wirklichkeit?
Schwarzkopf: Das ist tatsächlich so. Die Waffenkäufe sind um bis zu 70 Prozent gestiegen, und das passiert wirklich aus Überzeugung. Die Leute sagen, sie wissen nicht was kommt, vielleicht ein Bürgerkrieg – und dass sie in der Lage sein wollen, sich und ihre Familien zu verteidigen. Dann kaufen sie sich bisweilen die neunte oder zehnte Waffe für zu Hause. Gleichzeitig gibt es die Proteste: In den letzten Wochen gingen Tausende auf die Straßen, um für die Geschäftsöffnungen zu demonstrieren.
prisma: Was sind das für Menschen?
Schwarzkopf: Viele sind Trump-Anhänger, die den Demokraten den Tod an den Hals wünschen. Da vermengen sich verschiedene Dinge: Das alltägliche Leben geht immer gleich in den politischen Bereich über. Trump spielt diese Karte klugerweise aus und inszeniert sich als Befreier der Unterdrückten. Interessanterweise sind diese Leute gegenüber Medien sehr zurückhaltend – gegenüber deutschen Medien jedoch sehr offen.
prisma: Woran liegt das?
Schwarzkopf: Sie halten die ausländische Presse für objektiver, ehrlicher und journalistischer. Es ist daher nicht schwer, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Man muss sich als Journalist nicht verstellen, sie sehen einen eher als Multiplikator.
prisma: Ist es in diesen Zeiten eigentlich noch schwieriger, persönliche Meinung und journalistische Objektivität gebührend zu trennen?
Schwarzkopf: Natürlich wird man die ganze Zeit von Trumps Äußerungen und den entsprechenden Fernsehsendern beschallt. Ich bin immer wieder hin- und hergerissen. Gerade wenn es in den Diskussionen darum geht, ob die Maßnahmen zur Viruseindämmung sinnvoll waren, oder ob es doch nur eine normale Grippe ist. Da fällt es bisweilen schwer, die Argumente nicht an sich herankommen zu lassen. Ich versuche mir beide Seiten anzuschauen – etwa CNN auf der einen und Fox News auf der anderen.
prisma: Wie erleben Sie die Stimmung bei den Kollegen der US-Medien?
Schwarzkopf: Über die persönlichen Meinungen kann ich nicht viel sagen. Ich stelle aber eine gewisse Corona-Müdigkeit fest. Das geht den Kollegen so, und mir ehrlicherweise auch. Seit sieben, acht Wochen berichten wir fast ausschließlich über Covid-19. Alle freuen sich auf den Tag, an dem sie wieder etwas anderes machen können. Klar, man muss sich von diesem Gefühl freimachen – aber ob es aktuell die schönste Reporterzeit meines Lebens ist, würde ich mit einem großen Fragezeichen versehen wollen.
prisma: Auch, weil sich die Berichterstattung im Grunde wiederholt?
Schwarzkopf: Bei vielen Beiträgen denke ich, dass ich das so ähnlich schon einmal gesagt habe. Da freut man sich aus journalistischer Sicht zur Abwechslung fast schon, wenn Donald Trump Desinfektionsprodukte als mögliche Allheilmittel anpreist, die man schlucken oder injizieren kann. Das sind dann die Highlights. Normalerweise gibt es viele planbare Termine, das ist aktuell eben nicht so. Stattdessen viel tagesaktuelles Geschehen, das nächste Trump-Briefing, die neuesten Zahlen.
prisma: Glauben Sie daran, dass sich das in diesem Jahr noch ändert?
Schwarzkopf: Ich habe dahingehend große Sorge. In einem Wahljahr sind etwa die Parteitage der Parteien gigantische skurrile Partys und normalerweise Höhepunkte für einen Reporter. Jener der Demokraten wurde nun schon in den August verschoben. Schade wäre es, wenn das auch flachfallen würde.
prisma: Gibt es etwas, das Sie während der Corona-Krise bei den Amerikanern besonders bemerkenswert fanden?
Schwarzkopf: Vieles entspricht dem Bild, das ich vorher hatte. Bemerkenswert und ausgesprochen positiv ist, dass die Leute extrem hilfsbereit sind – sei es in der Nachbarschaft, sei es in der Schule. Einerseits sagen die Amerikaner, dass es eine fürchterliche Situation ist – andererseits fragen sie aber auch: "Wie können wir helfen"? Da wird dazu aufgerufen, Sandwiches für Obdachlose zu schmieren oder Kleidung und Geld zu sammeln. Da sind die Amerikaner eben schnell dabei, an andere zu denken. Das ist absolut liebenswert.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH