Ein neuer Begriff macht die Runde: „digitales Entgiften“. Damit ist der Wunsch vieler Menschen gemeint, sich vom Smartphone oder Tablet nicht mehr ihre wertvolle Lebenszeit stehlen zu lassen. Denn die „Mediensucht“ greift um sich. prisma hat einen Experten befragt und zeigt Auswege auf.
Eltern kennen das: Hat sich der Nachwuchs in die digitale Alternativwelt begeben, wirkt er wie fremdgesteuert, hört nicht mehr richtig zu, reagiert auf mehrfache Aufforderungen, das Handy doch endlich einmal wegzulegen, nur wie in Trance oder aggressiv und beleidigt. Doch es sind längst nicht nur junge Menschen, die ständig auf den Bildschirm starren. „Die Digitalisierung bestimmt unser Leben: Mails, Smartphone und Messenger-Dienste wie WhatsApp gehören zum allgemeinen Kommunikations-Standard“, sagt Dr. Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck. „Sich rund um die Uhr digital auszutauschen, ist für viele längst Alltag. Schon der Gedanke, eventuell auch nur kurzzeitig ohne Verbindung zu sein, lässt den Stresslevel oftmals rapide hochschnellen.“ Sind Handy oder Tablet einmal nicht zur Hand oder fallen Akku oder das Netz aus, so reagiert manch passionierter Nutzer nervös und unsicher.
Neben der Angst, etwas zu verpassen, spielt laut Dr. Hagemann auch der selbst auferlegte Erwartungsdruck eine Rolle. „Das heißt: Ich denke, dass das Gegenüber eine sofortige Antwort erwartet, und ich entspreche nicht den Erwartungen, ich enttäusche.“ Doch ab wann wird die übermäßige Nutzung von Handy & Co. zum Risiko? „Wer sein Smartphone nicht ab und zu offline schaltet, riskiert eine permanente Überflutung an Nachrichten, Bildern und weiteren Informationen“, sagt Dr. Hagemann. „Der ständige Blick aufs Handy und ‚die Aktivitäten der Anderen‘ setzen uns häufig erheblich unter Druck. Wir befürchten, irgendetwas zu verpassen.“ Überfordert von der Vielfalt an Stories und Events, wachse die Angst, von den Erlebnissen der anderen ausgeschlossen zu sein. Dieses psychische Phänomen wird als „Fear of missing out“ (FOMO) bezeichnet.
Ob jemand an einer Mediensucht leidet, kann er selbst prüfen: Nimmt die Mediennutzung absolute Priorität ein und vernachlässige ich andere Hobbys oder Kontakte zu Familie und Freunden? Werde ich nervös oder gereizt, wenn ich offline bin? Schalte ich nicht ab, obwohl ich mich müde, matt oder gesundheitlich beeinträchtigt fühle? Verliere ich das Gefühl für Raum und Zeit? Sprechen mich Partner, Familie oder Freunde auf den hohen Medienkonsum an? „Neben psychischen Störungen kann Medienabhängigkeit übrigens auch körperliche Beschwerden wie Kopf- oder etwa Rückenschmerzen verursachen“, sagt der Experte. „Das ständige ‚nach unten schauen‘ hat auch den Begriff ‚Handynacken‘ geprägt.“
Doch wie schützt man sich vor der Bildschirmsucht? „Zu lernen, wieder für gewisse Zeiten ohne Handy auszukommen, ist eine bewährte Präventiv-Maßnahme – und einer der wichtigsten Therapieschritte im Falle einer Mediensucht. Nicht ständig erreichbar zu sein, schafft mehr persönliche Freiräume und fördert zudem den Stressabbau.“ Hilfreich sei es auch, selbst zu überprüfen, wie lang man online ist. „Das Ergebnis wird manchen überraschen und eventuell zum achtsameren Umgang motivieren.“ Ein wirksames Mittel gegen digitalen Stress ist auch das Stummschalten, um ungestört entspannen zu können. Dr. Hagemanns Tipp: „Nehmen Sie sich generell feste Auszeiten. Bereits 20 oder 30 Minuten täglich ‚abgezwackt‘ für die eigenen Bedürfnisse, helfen dabei, dem Stress mental entgegenzusteuern.“ Ebenso hilfreich und entspannend sei es, das ständige Multitasking zu beschränken, also beispielsweise neben dem Telefonieren nicht gleichzeitig Mails zu checken oder im Internet zu surfen. „Diese parallelen Tätigkeiten überfordern unser Gehirn. Denn es ist nicht in der Lage, sich gleichzeitig auf zwei komplexe Tätigkeiten zu konzentrieren.“ Sein Tipp: „Sich besser nacheinander auf jeweils eine Sache konzentrieren, statt stets zwischen zwei komplexen Aufgaben hin und her zu springen. Ansonsten ist negativer Stress buchstäblich vorprogrammiert.“