Ich habe nirgendwo eine schönere Beschreibung dessen gefunden, was Zeit für uns bedeuten kann, als in Michael Endes Roman "Momo". Momo ist ein Kind, das mit Begeisterung leben will. Plötzlich tauchen die Grauen Herren auf, bieten den Menschen ein Zeitsparkonto an und versuchen sie davon abzuhalten, ihr Leben wirklich zu leben. Aber Momo weiß um die Schönheit des Lebens.
In diesem Kind, das ganz im Augenblick lebt, erkennen die Männer den Hauptfeind. Sie versuchen den Menschen beizubringen, rationell zu leben, sich nur auf ihre Arbeit zu konzentrieren, auf soziale Kontakte zu verzichten und dadurch Zeit zu sparen. Aber das ist ein Irrweg.
Wir Menschen würden ruheloser, unser Leben würde sicherlich immer ärmer, gleichförmiger und kälter. Und im Grunde gewännen wir keine Zeit. Sie würde gestohlen, denn, so der Erzähler: "Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen."
Rituale oder Haltepunkte
Sollen wir uns wirklich auf die Vorschläge der Grauen Herren einlassen? Sieht so die Zukunft der Menschheit aus? Dinge und Beschäftigungen, die uns vom intensiven und lustvollen Leben ablenken, sind gefährliche Zeitdiebe. "Nimm dir Zeit und nicht das Leben." Dieser alte Spruch gewinnt eine neue Bedeutung, wenn man eingesehen hat: Unsere Zeit ist gerade deswegen kostbar, weil sie so knapp bemessen ist. Deshalb sollten wir sie schätzen, lernen, mit ihr gut umzugehen. Darin liegt eine Aufgabe und auch eine Chance für Familien, Schulen, für kirchliche oder therapeutische Einrichtungen: Sie könnten die Menschen lehren, in ihren Alltag Rituale oder Haltepunkte einzubauen.
Wir brauchen solche Haltepunkte im Strom der Zeit. Sie ergeben sich, wenn wir zusammenfinden, gemeinsam etwas unternehmen, uns in der Familie zum Essen, gemeinschaftlichen Singen, Spielen oder mit anderen zum Sport oder Tanzen treffen. Solche Momente erlauben es, die Zeit, unsere Zeit, zu genießen, über ihren Sinn zu reflektieren und sie in einer angemessenen Form zusammen zu leben.
Wir sollten uns daher von außen Zeit weder aufdrängen noch wegnehmen lassen.