Ein jüdischer Häftling unterrichtet einen KZ-Kommandanten in einer Sprache, die es gar nicht gibt: Die "Persischstunden" sichern ihm das Überleben in einem eindrücklichen Holocaust-Drama, in dem Worte zur stärksten Waffe gegen das Vergessen werden.
"Man sieht die Sonne untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist." – Treffender könnten die ersten Worte nicht sein, mit denen KZ-Häftling Gilles (Nahuel Pérez Biscayart) seine "Persischstunden" beginnt. Er soll dem SS-Hauptsturmführer Klaus Koch (Lars Eidinger) Farsi beibringen. Doch Gilles ist Jude und spricht die Sprache gar nicht, die sein Überleben sichern könnte. Also erfindet er in Vadim Perelmans "Persischstunden" (2020) eine Fantasiesprache und trifft damit auf offene Ohren. ARTE wiederholt den Film nun im Rahmen eines Themenschwerpunktes anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945.
Es ist eine fast schon absurde Ausgangssituation, die der in der Ukraine geborene Regisseur ("Haus aus Sand und Nebel") zu einem eindringlichen Holocaustdrama verdichtet. Sein auf der Erzählung "Erfindung einer Sprache" von Wolfgang Kohlhaase basierender Film mag Züge eines Schelmenstücks tragen, ist aber vor allem die detailreiche Schilderung der Barbarei aus einer ungewöhnlichen Perspektive.
Dass Gilles überhaupt noch lebt, gleicht einem Wunder. Auf dem Weg zu seiner Erschießung durch die Nazis im besetzten Frankreich hatte er mit einem anderen Gefangenen ein halbes Sandwich gegen ein persisches Buch getauscht und entging dadurch dem Massaker. Er behauptete, Perser zu sein, und die SS-Leute freuten sich auf eine Belohnung: Schließlich hatte der Küchenchef in einem Durchgangslager für jeden "echten Perser" zehn Dosen Konservenfleisch ausgelobt.
SS-Mann Klaus Koch will Farsi lernen, damit er nach dem Krieg ein Restaurant in Teheran eröffnen kann. Er macht Gilles, der sich fortan Reza nennt, zu seinem Lehrer und wird, ohne es zu wissen, in einer Sprache unterrichtet, die es gar nicht gibt. Mehr noch: Gilles, der wegen seiner sauberen Handschrift auch das Gefangenenregister führt, bildet die Fantasiewörter aus den Namen der todgeweihten Häftlinge.
Das Grauen hat viele Gesichter, das ist die große Stärke des Films, der die schrecklichen Taten der SS-Männer zwar eher konservativ bebildert, aber dennoch sehr detailreich ist in den Schilderungen der Barbarei in dem Lager. Das Überleben hängt auch von Zufällen, Launen und Gerüchten ab oder von den Intrigen, Rachefeldzügen und Machtspielen der SS-Leute (darunter ein beängstigender Jonas Nay). Insbesondere eine Szene, in der ein Häftling einen anderen ersticht, damit Gilles nicht auffliegt und seinen kranken Bruder weiter mit Nahrung versorgen kann, zeigt, wie unmenschlich das System ist.
In den dicht inszenierten, düsteren Kammerspielszenen zwischen Gilles und Koch, von Nahuel Pérez Biscayart und Lars Eidinger eindringlich gespielt, manifestieren sich Unterdrückung und Todesangst in perfider Ruhe. Auch wenn das Opfer zum Lehrer und der Täter zum Schüler wird: Es ist der SS-Mann, der allein über Leben und Tod entscheidet. Gilles mag besser verpflegt werden als seine Mithäftlinge, und er mag Privilegien genießen; mit der Angst aufzufliegen, weil er seine erfundene Sprache nicht richtig und konsequent spricht, ist er allein.
Aber Gilles weiß auch, dass die Hoffnung mit dem Vergessen stirbt. Genau dagegen stemmt sich "Persischstunden": Gilles geht es nicht nur um sein eigenes Überleben, es geht ihm um das Überleben der Erinnerungen an die Ermordeten. Er kämpft bis zum Schluss dafür, die in seiner Fantasiesprache versteckten Namen der Naziopfer ins Licht der Erinnerung zurückholen zu können. 2.840 Menschen bewahrt Gilles davor, endgültig ausgelöscht zu werden.
Nach dem Spielfilm zur Primetime geht der Themenschwerpunkt zum Holocaust-Gedenktag weiter. im Anschluss folgt mit "Im Kopf eines Nazis" eine Dokumentation über Jonathan Littells großen Roman "Die Wohlgesinnten" (22.15 Uhr). Danach zeigt ARTE zwei Dokumentationen aus Claude Lanzmanns Zyklus "Vier Schwestern" sowie in der Nacht eine Dokumentation über den Holocaust-Comic "Maus" von Art Spiegelmann (1.50 Uhr). Beschlossen wird der Schwerpunkt am Donnerstag, 23. Januar, von den Dokus "Papst Pius XII. und der Holocaust" (20.15 Uhr) und "Stolpersteine" (21.05 Uhr), die in Erstausstrahlung gezeigt wird. Alle Formate sind auch in der ARTE-Mediathek abrufbar.
Persischstunden – Mi. 22.01. – ARTE: 20.15 Uhr