Schon mit fünf Jahren stand Mae West auf der Bühne. Sie imitierte Schauspieler, spielt klassische Kinderrollen, darunter auch den "kleinen Lord". Mit sieben Jahren begann sie in der Hal Clarendon's Stock Company. Durch mehrere Tourneen wird sie als "Baby Vamp" bekannt. Ihr Broadwaydebüt in der Revue "A la Broadway and Hello, Paris" war 1911 ein großer Erfolg. In den Folgejahren war sie eine vielbeschäftigte Vaudeville-Schauspielerin. 1918 erschien sie als erste weiße Tänzerin in Shuberts Theater, und sie wurde ein Star. Ihr erstes Filmrollenangebot von Pathé lehnte sie allerdings ab.
Während der Stummfilmära hatten Frauen als Produzentinnen und Regisseurinnen eine starke Position, mit dem Tonfilm, mit der technischen Revolution des Kinos wurde dieser Einfluss rasch geringer. Mae West war eine der wenigen Frauen, die sich nicht nur als Showgirl durchsetzten. Sie wurde zu einer Bastion. Ihre Filme retteten nicht nur der amerikanischen Paramount das Leben. Tabus akzeptierte sie nicht, mit Zensoren und Frauenvereinen stand sie stets auf Kriegsfuß, dennoch verdiente sie 1935 das zweitgrößte Privateinkommen, direkt nach dem Zeitungszar William E. Hearst.
Denn Mae West, neben Theda Bara und Jean Harlow der Vamp des amerikanischen Kinos, war Kassenmagnet, Geschäftsfrau und einfallreiche Autorin. Sie schrieb ihre Filme selbst, und Bewunderer sagten ihr nach, dass sie für die Überwindung der viktorianischen Sex-Tabus mehr geleistet habe als alle ihre Konkurenten und Konkurentinnen. Mae West heiratete mit 19 den Jazz-Sänger Frank Wallace, trennte sich aber bald wieder von ihm. Erst 1942, als ihr Filmruhm im Schwinden war, liess sie sich scheiden. Mae war so etwas wie ein cinéastisches Wunder, schrieb sich zweideutige Szenen zurecht und proklamierte von der Leinwand herab Freiheit der Liebe und Gleichheit der Geschlechter.
Sie befeite Hollywood vom Muff und war gleichzeitig gefürchtet, verehrt und bewundert. Schon zur Zeit ihrer Bühnenkarriere machte sie Furore: 1926 schreibt sie sich selbst die Rolle einer Hafennutte in einem eigenen Musical auf den Leib, nannte es skandalöserweise "Sex" und musste acht Tage Knast auf sich nehmen wegen "unanständiger Schaustellung", ein Jahr später inszenierte sie selbst ihr Stück "Drag" über Homosexuelle.
Mae West hatte großen Erfolg mit ihren Stücken am Broadway und auf Tourneen, vor allem "Diamond Lil" war ein großer Hit. Ihr erster Kinofilm war "Night After Night" (1932) von Archie Mayo. In "Sie tat ihm unrecht" (1933) inszenierte Lowell Sherman Wests Erfolgsstück "Diamond Lil" für die Leinwand. Der Film erzählt von der Tingeltangel-Sängerin Lou, die mit dem Besitzer des Etablissements zusammen ist. Dennoch sind auch andere Männer hinter der attraktiven Frau her - nur Captain Cummings von der Heilsarmee gibt sich spröde. Das hat seinen Grund, denn er ist Detektiv und sein Ziel ist es, dem Mädchenhandel, den der Betreiber des Tingeltangel unterhält, ein Ende zu bereiten.
Eine Frau angelt einen Mann, doch sie ist keine gewöhnliche Frau: Sie ist Rivalin jener anderen, unschuldigen, der sie mit Verruchtheit begegnet. Niemand besitzt Tira, sie aber besitzt die anderen. Mae West als Tingeltangelwunder, das wohlgebaute Männer mag. Obwohl sie Slick, den Taschendieb liebt, macht sie sich an den schönen Cary Grant ran. Das ist Wesley Ruggles' "Ich bin kein Engel" von 1933, eine brillant gebaute Komödie, erneut geschrieben von Mae West. Und auch "Die Schöne der neunziger Jahre", 1934 von Leo McCarey inszeniert, beruht auf einem Drehbuch des Stars Mae West. Hier liebt sie sich als Protagonistin durch das New Orleans der Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts und wirbelt frech durch die gar nicht emanzipierte Männerwelt. Am Ende bleibt sie beim Preisboxer.
"Auf in den Westen" oder "Go West, Young Man" (1936) heißt Henry Hathaways Western mit Mae West und Randolph Scott, das der Star nach dem Stück "Personal Appearance" von Lawrence Riley schrieb. Es beginnt mit einer Theaterszene, in der Mae West auftritt, und diese Aufführung steht im Mittelpunkt eines Filmes, den man im Film sieht. Also: Theater im Film im Film. Es ist die Umkehrung der Don-Juan-Geschichte: Mae West spielt eine resolute Schauspielerin, die sich einen Mann angelt und damit alle Normen der herrschenden Gesellschaftsmoral auf den Kopf stellt. "Every Day's a Holliday" (1938), inszeniert von Edward Sutherland, erzählt von einer Schwindlerin, die zum gefeierten Bühnenstar wird: Fifi ist der Hit der Stadt und es gelingt ihr mit Raffinesse, den Wahlsieg eines korrupten Bürgermeisters zu torpedieren. Auch hier fungiert Mae West als Autorin und Darstellerin.
Nach 1943 sieht man Mae West kaum noch im Film. 1970 tritt sie in "Myra Breckenridge" auf, einem unglaublichen Filmdesaster von Michael Sarne, laut Kritikermeinung einer der schlechtesten Filme aller Zeiten. 1978 sieht man sie in "Sextette" neben Tony Curtis, Timothy Dalton und den Rockstars Keith Moon und Alice Cooper.