"Süßer Rausch – Die Familie": Schnaps, Drama und Verrücktheiten
Die Familiensaga "Süßer Rausch" beeindruckt mit einer poetischen Darstellung des Leidens einer dysfunktionalen Reichenfamilie. Die Geschichte rund um die Grappa destillierende Familie Preus besticht durch kluge Dialoge, eine Topbesetzung und wunderschöne venezianische Schauplätze.
Ein gutes Tröpfchen und feine Gedanken
"Ich glaube nicht, dass jeder von uns seine eigene Droge hat", sagt eine TV-Talkerin zur trockenen Alkoholikerin und Suchtexpertin Julia (Leslie Malton) in der Garderobe nach ihrem Interview. Und fährt fort: "Ich zum Beispiel bin maßvoll." Natürlich sagt die junge Journalistin dies nicht, ohne vorher erwähnt zu haben, dass ihr Vater an seiner Alkoholsucht starb. Daraufhin Julia, immer noch trocken: "Sachlichkeit kann auch eine Sucht sein."
Es sind feine Gedanken wie diese, die den ZDF-Zweiteiler "Süßer Rausch" von 2022 – 3sat wiederholt jetzt beide Folgen am Stück – zu einem Erlebnis machen. Neben der absoluten Topbesetzung und einer angenehmen, fast schon südeuropäischen Verrücktheit im Ausgestalten dieser Familiengeschichte und ihres Personals. Erzählt wird von der Grappa destillierenden Familie Preus, die zwar genauso deutsch daherredet, wie ihr Name klingt, die aber an wunderschönen Schauplätzen in Venetien zu Hause ist, wo die Familiensaga (Regie: Sabine Derflinger) auch gedreht wurde.
Im Mittelpunkt steht anfangs Patriarch Karl Preus (Sven-Eric Bechtolf), der gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester, die bereits erwähnte Julia, 60. Geburtstag feiert. Verheiratet ist Karl mit Ricarda (Désirée Nosbusch), die ihre Krebserkrankung geheim hält und mit der er zwei Töchter hat: Marguerite (Antonia Bill), Mutter zweier kleiner Kinder und verheiratet mit einem zur Gewalt neigenden Mann, und deren kleine Schwester Simone (Lilly Charlotte Dreesen), die ein handfestes Drogenproblem hat.
Dann gibt es da noch Karls erste Frau Constanze (Suzanne von Borsody), die gut in die aktuelle Familie "integriert" scheint und aktuell mit Karls bestem Freund und Berater Hans (Rainer Bock) verheiratet ist. Schließlich muss man Julias Sohn Jakob (Hannes Wegener) erwähnen, der seinen Vater nicht kennt und der mit Frau Lilly (Alina Levshin) Beziehungsprobleme hat. In weiteren Nebenrollen sieht man Jörg Schüttauf als moralischen Alkoholiker, Oliver Mommsen als Psychotherapeuten sowie Helmfried von Lüttichau als Gesellschaftskolumnisten.
Hochglanz-Zweiteiler für Sinnsuchende
Das sind viele, ja sehr viele Figuren. Tatsächlich braucht es ein bisschen, bis man das Familiengespinst rund um Lebenskünstler Karl Preus verstanden hat. Einen Mann, den alle irgendwie lieben, an dessen Unstetem und Exzentrik man aber auch verzweifeln kann. Vor allem in Bezug auf jene Geheimnisse und Beziehungsverflechtungen, die das exquisit gespielte und gefilmte (Kamera: Peter Joachim Krause) Drama zu bieten hat. Apropos Drama: Normalerweise kommen derlei Familiengeschichten unter Reichen in Deutschland gerne mal arg aufgeräumt daher, was "Problemlage" und Figuren betrifft. Gleichzeitig oft ziemlich humorfrei. Quasi "Dallas" ohne Texas, aber mit kalten deutschen Villen und erwartbaren Charakteren. Das alles ist in "Süßer Rausch" angenehm anders. Figuren verhalten oder entwickeln sich anders, als man denkt, ja sie tun verrückte Dinge – im Kleinen wie im Großen. Bei aller Tristesse ihrer Erlebnisse sind sie auf fast schon poetische Art auf der Suche nach Lebensglück.
Autor Sathyan Ramesh ("Das Leben vor mir") ließ sich offenbar nicht von steifen deutschen Mehrteilern rund um Familiendynastien inspirieren, sondern vielleicht von französisch verspielteren Ansätzen oder auch einem Pedro Almodóvar. Von Filmen eben, in denen die Figuren nicht immer das tun müssen, was man im nächsten Zug von ihnen erwartet.
In vielen Szenen schimmert subtiler Humor durch das Drama, und tatsächlich baut sich so etwas wie eine Verbindung zu fast allen Figuren auf, sodass man wissen will, wie es ihnen weiter ergeht. "Süßer Rausch" schafft einen beachtlichen Spagat: Das Primetime-Produkt hatte genug Best-Ager-Schauwerte und Hochglanzbilder zu bieten, um das klassisch lineare Publikum über 60 zufriedenzustellen: Immerhin 4,11 Millionen schalteten im Herbst 2022 diese etwas schräge Geschichte ohne Krimi ein. Zugleich steckt in den lebensklugen 180 Minuten auch genug für jene Sinnsuchenden im Leben, die sich ein solches Format normalerweise nicht anschauen würden.
Süßer Rausch – Die Familie – Fr. 21.06. – 3sat: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH