"Reich und Herzlich": bisschen rührend, bisschen schmierig
Multi-Millionär Saygin Yalcin kehrte für das RTL-Format "Reich und Herzlich – Ein Millionär geht undercover" in seine Heimatstadt Bremen zurück und arbeitete für sozial Schwache.
Ob er Milliardär ist oder knapp davor, ist nicht ganz klar. Der Deutschtürke Saygin Yalcin wuchs in einfachsten Verhältnissen in der Bremer Neustadt auf. 2009 brach er nach Dubai auf, um dort sein Glück zu suchen. Mittlerweile hat der 37-Jährige eine seiner früheren Firmen für 580 Millionen Dollar an Amazon verkauft und darf sich heute größter Autohändler des Nahen Ostens nennen.
Yalcin befindet sich aber auch auf einer anderen Mission: Er zeigt seinen Leben auf Social Media-Kanälen mit bis zu einer Million Followern. Für die RTL-Primetime-Doku "Reich und Herzlich – Ein Millionär geht undercover" gründete Yalcin nun ein neues Persönlichkeits-Start-up: das des Wohltäters für einfache, leidende Menschen. Dafür kehrte er an die Schauplätze seiner Kindheit zurück und lud beispielsweise die Ex-Nationalspieler Gerald Asamoah und Kevin Kurányi zum Kicken mit Problem-Kids ein.
Kurz bevor Saygin Yalcin als Sozialpraktikant "Can" ein Brennpunkt-Jugendzentrum in Bremen-Hemelingen besucht, sagt er einen Satz, den er sicher ehrlich meint, der aber auch ein bisschen das Grundproblem dieser Reportage verrät: "Ich bin eher ein von Daten und Zahlen getriebener Mensch. Entscheidungen werde ich basierend auf Daten treffen. Ich seh' mich halt nicht als emotional intelligenten Menschen und ich glaub, so eine Reise hilft mir, dort meine Fähigkeiten zu verbessern."
Warum muss die Kamera dabei sein?
Ja, Saygin Yelcin hat in der 105-minütigen RTL-Primetime-Doku an vielen Stellen geholfen. Vor allem in der alten Heimat Bremen mit dem Jugendhaus Hemelingen, dem Verein Herzenswunschambulanz, dem Assistenzhunde-Zentrum, der inklusiven Reit- und Fahrgemeinschaft Auetal und in München dem Verein für Rentner e.V. Doch irgendwie fragt man sich: Warum lässt sich der Mann, der alles hat, dabei filmen?
Wer sich schon mit Saygin Yalcin beschäftigt hat, weiß, dass seine acht Jahre jüngere, an schwerer Epilepsie leidende Schwester als Motor für vieles gilt, was der erfolgreiche Unternehmer tut. Schon als kleiner Junge wollte er sehr viel Geld verdienen, um der Schwester "Heilung kaufen" zu können.
Einige der in der Doku vorgestellten Hilforganisationen hatten indirekt mit Yalcins Familiengeschichte zu tun. Einer Zwölfjährigen Epileptikerin wurde der Therapiehund finanziert, einem inklusiven Reitverein – auch die Schwester erlebte auf dem Rücken von Pferd "Felix" einst Stunden der Leichtigkeit – spendierte der Multimillionär ein neues Pferd und übernahm die Mitgliedsbeiträge für ein ein Jahr. Wobei er zunächst mal "undercover" als Sozialpraktikant Can die Mistgabel schwang oder sich im Jugendzentrum oder bei älteren Mitbürgern als Helfer nützlich machte. Die Anwesenheit der Kameras wurde damit erklärt, dass man für RTL eine Doku über ehrenamtliche Helfer drehen würde.
Absurder Reichtum prall auf Armut
Auch wenn Can, der sich bei seinem zweiten Besuch im Designer-Anzug und mit Blumenstrauß als Superreicher "outete", in seinen Einsätzen als authentisch bodenständiger Helfer rüberkam, hier und da wurde es unfreiwillig komisch – und zwar immer dann, wenn es im Zahlen ging: "Jede zweite Rente liegt unter 900 Euro. Unser Verein finanziert mal eine Fahrkarte zum Arzt, eine neue Brille oder eine Matratze", erzählt die Leiterin des Münchner "Vereins für Rentner". In München hat Yalcin früher auch mal gelebt, daher diese Station. "Vielen unserer Rentner bleiben weniger als 100 Euro zum Leben im Monat", sagt die Leiterin und Yalcin kommentiert später: "Diese Zahlen schockieren, ich kann mir das gar nicht vorstellen. 100 Euro, das geben wir teilweise fürs Parken aus."
Auch bei der Bremer Jugendzentrums-Köchin, die ihrem Pfannkuchen-Praktikanten Can steckt, dass sie 1,20 Euro pro Problemkind und Mahlzeit zur Verfügung hätte und dafür Sonderangebote in Discountern abklappern müsse, um diesen Kids die wohl einzige warme Mahlzeit des Tages bieten zu können, muss der Dubai-Selfmade-Man berichten: "In Dubai kostet Essen gehen schon mal mehrere tauend Euro."
War die RTL-Doku moralisch verwerflich? Nein, denn die Hilfe Yalcins war sicher auf allen fünf Stationen der Wohltäter-Reise gut angelegt. Trotzdem lebt ein solches Format natürlich ein bisschen vom Ausstellen materiellen Reichtums und dem Staunen der Armen darüber, dass nun ein Teil dieser Glitzerwelt zu ihnen kam.
Eine in äußerst bescheidenen Verhältnissen lebende, fast 80 Jahre alte Dame in München hatte es Yalcin besonders angetan – und umgekehrt. Zum Dank erhielt die früher alleinerziehende Mutter dreier Kinder, der das Geld für ein Telefon fehlt, ein Luxusessen mit ihrem Wohltäter, samt vorherigem Umstyling sowie einem brandneuen iPhone – damit sie mit ihren weit weg lebenden Kindern kommunizieren kann. Ein bisschen rührend, ein bisschen schmierig und ein bisschen absurd war das.
In der vielleicht bewegendsten Szene des – zunächst einmaligen – Helpformats mit dem Multimillionär begleitet er "undercover" zwei alleinstehende Herren aus dem Altersheim bei ihrem Herzenswunsch: Der ehemalige Seemann und sein Freund wollten noch mal eine Bremer Hafenrundfahrt mit Bierchen und Zigarettchen machen. Als die beiden glückselig das Weserufer betrachten, fragt Yalcin: "Würden Sie auch sagen, dass solche Momente viel mehr zählen als irgendwelche Dinge, die man besitzt?" – "Ja, das sind so Erlebnisse, die kann man nicht kaufen", antwortet der eine Alte. Tatsächlich wirkte "Reich und herzlich" wie eine Sendung, mit der sich ein Superreicher genau dieses Gefühl einkaufen wollte.
Quelle: red/teleschau – der mediendienst GmbH