Tim Mälzer schockiert beim Pflegeheim-Experiment: "Lieber wäre ich tot"










Tim Mälzer und André Dietz starten ein einzigartiges Projekt: In der "Herbstresidenz" treffen junge Menschen mit Behinderung auf Senioren in einem Pflegeheim. Das Experiment verspricht mehr Lebensfreude und ein neues Zuhause-Gefühl für alle Beteiligten.
Für TV-Koch Tim Mälzer ist dieses Generationenprojekt eine ganz persönliche Angelegenheit: "Mein Vater ist im letzten Jahr frühzeitig verstorben und hat uns damit den Gefallen getan, uns mit dieser Problematik nicht auseinandersetzen zu müssen." Dann sprach er mit seiner Mutter über das Thema Pflegeheim, doch die blockte immer ab. Seitdem beschäftigt ihn die Frage: "Warum haben Leute so viel Angst vor dem Altersheim?"
Gemeinsam mit Schauspieler André Dietz, selbst Vater einer Tochter mit Einschränkung, startete er das Projekt, bei dem zehn Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in 90 Tagen eine Qualifizierung zum Alltagshelfer machen. Dafür überließ die Caritas Mälzer und Dietz für drei Monate ein Pflegeheim, das sie in die "Herbstresidenz" verwandeln sollten – ein Pflegeheim, das so gut ist, dass man sogar freiwillig einziehen will. Am Mittwoch lief bei VOX die erste Folge.
"Die sollen den Laden komplett auf Links drehen", will Dietz ein echtes Zuhause schaffen. Die Vorteile für die Senioren: "Mehr Zeit, mehr Freude, mehr Genuss, mehr Gespräche, mehr Gefühl." Der Schauspieler sieht großes Potenzial: "Dieses Experiment wird für Deutschlands Pflegeheime alles verändern."
Tim Mälzer: "Ich glaube, da würde ich wieder anfangen zu trinken"
Doch zuerst zieht Mälzer selbst ins Altenzentrum St. Nikolaus in Bernkastel-Kues an der Mosel ein, um sich ein Bild aus der Bewohnerperspektive zu verschaffen. Kaum betritt er sein zweckmäßig eingerichtetes Zimmer, stellt er fest: "Das war wie im Krankenhaus." Bis vor eineinhalb Wochen wohnte hier jemand anders. "Und da ist er auch gestorben?", fragt Mälzer mit Kloß im Hals.
Die stellvertretende Pflegedienstleiterin Sabine erklärt: "Ich glaube es gibt hier kein Zimmer, wo noch kein Bewohner drin gestorben ist." Bei Mälzer breitet sich Unbehagen aus: "Was ich nicht mochte, war der Galgen am Bett. Wäre das der letzte Bereich meines erlebten Lebens, ich glaube, da würde ich wieder anfangen zu trinken."
Als seine Essenswünsche abfragt werden, wird ihm immer unwohler: "In dem Moment wird mir das Leben ja komplett aus der Hand genommen." Freiheit und Selbstbestimmung? Nicht im Pflegeheim. Die Seniorinnen und Senioren fristen ein tristes Dasein ohne Aufgaben und Perspektive für den Tag. Was sich die meisten wünschen: "Einschlafen und nicht mehr wachwerden." Einzig die agile 94-jährige Frau Schmitt, die mit ihrem Rollator überall unterwegs und nie um einen frechen Spruch verlegen ist, macht Mälzer ein bisschen Hoffnung.
"Ist der Moment des Einzuges hier der Beginn des Sterbens?"
Schon am nächsten Morgen ist Mälzer die Leichtigkeit abhandengekommen und er fragt sich: "Ist der Moment des Einzuges hier der Beginn des Sterbens?" Für Mälzer eine schreckliche Vorstellung, dass das Leben nur noch aus atmen, essen und schlafen besteht: "Lieber wäre ich tot." Die Pflegefachkräfte haben jedoch genug Stress mit der Grundversorgung. Was sie sich wünschen: mehr Zeit für die Menschen.
Genau diese Veränderung bringen die zehn neuen Azubis ins Heim. André Dietz weiß: "Die Explosivität dieser Mischung ist ja die: Auf der einen Seite haben wir eine Gruppe junger Menschen, die mit einer gewissen ungefilterten Emotionalität sich in dieses Abenteuer stürzen. Auf der anderen Seite haben wir eine Generation, die nie was mit Menschen mit Behinderung zu tun hatte. Und wenn, dann war das alles von Vorurteilen oder Ängsten geprägt." Tim Mälzer appelliert an die Senioren: "Geben Sie ihnen die Chance."
Gänsehaut beim Aufeinandertreffen
Das erste Aufeinandertreffen beschreibt er dann so: "Einige waren ein bisschen überfordert. Die waren ein bisschen so wie ich früher in der Dorfdisco, wenn ich jemanden ansprechen musste." Doch dann bricht das Eis und die ersten Annäherungsversuche geschehen einfach. Sarah gewinnt die Herzen durch ihre ungefilterte Freude.
Florian führt geduldig ein Gespräch mit der schwerhörigen Frau Lang. Frau Staudt greift sich sofort einen willigen Mitspieler für eine Runde Rummikub ab. Kevin connected mit Frau Westhoff, da beide an Depressionen leiden. Eine Pflegekraft beobachtet begeistert, wie sich die Begegnungen ganz von alleine ergeben: "Ich habe gerade Gänsehaut."
Doch bei der Körperpflege zeigen die Azubis Berührungsängste. Für Florian ist es ungewohnt, unbekleidete Menschen zu sehen. Ebenso Alina: "Total ekelhaft. Das klappt bei mir gar nicht." Und trotzdem gehen sie einfühlsam und liebevoll mit den Senioren um und übernehmen die Aufgaben, die ihnen liegen. Der frische Wind tut auch Pflegerin Carmen gut: "Ich hatte noch nie so eine verrückte Schicht. Die haben das auch gut gemacht. Aber alle!" Die Wärme der Azubis berührt sie: "Das Herz geht einfach auf."
Aus dem Heim wird ein Zuhause
Der erste Schritt ist getan, jetzt will Mälzer den Alten wieder eine Aufgabe im Leben geben: "Wenn wir ihnen diese Beweglichkeit nehmen, weil wir uns nicht mehr drum kümmern, dann ..." Er zögert. "Dann schaffen wir lebendige Leichen." Dem will er mit mehr Aktivität entgegenwirken. Sein Versuch des gemeinsamen Kochens schlägt zwar fehl. Doch dann geht er gezielter an jeden Einzelnen heran.
Herr Schreckinger, der seiner dementen Frau zuliebe sein altes Leben aufgegeben hat, um mit ihr ins Heim zu ziehen, war früher leidenschaftlicher Bäcker. Also lockt ihn Mälzer zurück an den Teig, und plötzlich kehrt das Leben zurück in den 88-Jährigen. "Es wurde gelächelt, die Augen wurden schärfer, spitzer", grinst Mälzer. Auch die Schmerzen in den Gelenken waren vergessen. Mälzers Plan scheint langsam zu fruchten: "Dadurch wird diese Unterbringung nicht zu einem Heim, sondern zu einem neuen Zuhause."
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH