Film über die Tennis-Legende

Günther Bosch und Boris Becker: So war das damals wirklich

von Frank Rauscher

Der RTL-Film "Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon" konzentriert sich auf die Anfänge von Boris Becker. Eine große Rolle spielt dabei auch Günther Bosch. Aber wie war es damals wirklich? Die Trainer-Legende erinnert sich.

"Die äußeren Rahmenbedingungen, die diesem Spielfilm zugrunde liegen, sind historisch belegt. Der Spielfilm ist im Übrigen aber weitgehend fiktional." – So steht es ganz am Anfang des RTL-TV-Eventmovies "Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon" in grellgelben Lettern geschrieben. Natürlich nicht ohne Grund. Das Biopic, das am Donnerstag, 16. Dezember, 20.15 Uhr, ausgestrahlt wird und den Fokus auf die Genese des jungen Boris Becker vom Teenager zum gefeierten Weltstar und zur westdeutschen Identifikationsfigur legt, basiert auf Fred Sellins Buch "Ich bin ein Spieler: Das Leben des Boris Becker". Ganz zu Beginn heißt es noch, der Hinweis gelte vor allem "für die Dialoge und die Darstellung der privaten Beziehungen der Beteiligten". Schon klar, wie das zu verstehen ist: Die Macher sind sich der seit jeher nicht unkomplizierten Gemengelage rund um Boris Becker bewusst, und sie nahmen sich die Freiheit, um Charakter und Vita des dereinst wahlweise als "Bum-Bum-Boris" oder "Bobbele" titulierten ersten deutschen Wimbledon-Siegers fernsehgerecht aufzurollen.

Das gelingt so gut, dass die überwiegend heiter und sehr unterhaltsam erzählte Story vor allem den älteren Sportfans, die den ganzen Wahnsinn damals, Mitte der 80-er, miterlebt haben, manchen Gänsehautschauer über den Rücken jagt. Aber was ist Wahrheit, was ist Dichtung – wie war das wirklich mit dem jungen Rotschopf aus Leimen und seinem Entdecker, dem großen Günther Bosch?

Game, Set and Match Becker

Der Film setzt an, wo so ein Film ansetzen muss: bei der überlieferten Realität. In Wimbledon. Am Sonntag, 7. Juli 1985, fünf Minuten vor 18.30 Uhr Ortszeit, wurde dort Sportgeschichte geschrieben. "Quiet, please!" – Auf dem Center Court verstummt das letzte aufgeregte Gebrabbel. Wer die Reportage von Rainer Deike damals im ZDF miterlebt hat, wird sich an diese Augenblicke erinnern, als wäre es gestern passiert: Viele hundert Kilometer entfernt hat es den Anschein, die ganze BRD steht für einen Moment still. 11,19 Millionen Fernsehzuschauer halten den Atem an. Ein harter Aufschlag, ein Return ins Nichts. Genau um 17.26 Uhr reckt ein 17-jähriger Teenager die Fäuste in den Himmel. Game, Set and Match Becker. Ein Schrei, ein Urknall für das deutsche Tennis. So weit, so bekannt.

Wirklich interessant wird es im Film aber erst jetzt: neun Jahre zuvor in Leimen. Denn hier beginnt die Story von Regisseur Hannu Salonen und der Drehbuchautoren Richard Kropf und Marcus Schuster. Zwischen Tennisplatz und Abendbrot haben die gutbürgerlichen Eltern Elvira (Christina Große) und Karl-Heinz Becker (Thomas Huber) durchaus ihre liebe Mühe mit dem trotzigen Boris, der auf dem roten Sand schon früh die Beckerfaust hochreckt, aber auch schon mal vor Wut schnaubend seinen Schläger durch die Gegend schleudert.

"Ich will einfach nur gewinnen", mault im Film ein fraglos talentierter, aber offensichtlich über die Maßen ehrgeiziger Junge (Boris Becker wird als Kind von Balthazar Zeibig dargestellt, später von Bruno Alexander). Günther Bosch, der Mann, der ihn zum Profi und zum Weltstar machen wird, sieht die Dinge schon da anders: "Du musst verlieren, verlieren, verlieren ... Und dann kommt dein großer Tag!" – "Was du hier machst", sagt der von Ausnahme-Schauspieler Samuel Finzi erstaunlich "echt" verkörperte Bosch in der Frühphase dieser außergewöhnlichen Beziehung, "ist kein Tennis. Das ist Holzhacken."

Hier wird reihenweise mit plakativen Zitaten dieser Gewichtsklasse gearbeitet. Erzählt werden soll, dass es von Anfang an ein Kampf war – für alle, die mit dem Ausnahme-Kämpfer Boris Becker zu tun hatten. Und auch für ihn selbst. Viele Tennissachverständige schüttelten beim Namen des Leimeners den Kopf, so wird es im Film kolportiert. Aber Bosch, der schon damals prominente Scout und Coach, glaubte an Boris, "weil der etwas hat, was die anderen Jungs nicht haben".

Eine Darstellung, die, fragt man bei Günther Bosch nach, der Wahrheit entspricht. "Sowohl Boris Becker als auch ich waren 'besessene Sportler", erinnert sich der 84-Jährige legendäre Tennis-Coach an jene Jahre. "Das ist das, was uns in unserer gemeinsamen Zeit ausgemacht hat."

Günther Bosch und Boris Becker haben keinen Kontakt mehr

Dass der heute in Berlin lebende Deutsch-Rumäne und sein ehemaliger Schützling schon seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr haben, hält Bosch keineswegs davon ab, in den höchsten Tönen von dem Talent von einst zu schwärmen. "Boris Becker war ein ungewöhnlich ehrgeiziger Sportler, und ich war damals sein erster Gegner, den er stets besiegen wollte", antwortet er vielsagend auf die Frage nach der besonderen Chemie des damaligen Sportler-Coach-Verhältnisses. "Wir haben nicht nur für den Tennissport gebrannt, wir haben mit Begeisterung Basketball eins gegen eins gespielt, Langlauf betrieben, uns im Sprint gebattelt, strategisch Backgammon und Schach gespielt. Wir hatten beide einen ausgeprägten Siegeswillen. Das hat uns nicht zuletzt auch im Tennis angetrieben."

Was den Tennisspieler Boris Becker definiert habe, seien "Ehrgeiz und Siegeswille" gewesen, berichtet Bosch weiter. "Er war der Spieler, der die meisten verloren geglaubten Matches noch wenden konnte und schließlich gewonnen hat. Das hat mich als Trainer fasziniert und die Zuschauer begeistert."

Schon als Becker ein achtjähriger Junge war, hatte Bosch ihn auf dem Schirm. Der Entdecker der langjährigen Galionsfigur des deutschen Tennissports arbeitete als Bundestrainer des DTB für den Nachwuchs. Später wurde er Beckers persönlicher Trainer, führte ihn zum erstem Wimbledon-Sieg '85 und baute ihm gemeinsam mit dem Manager Ion Tiriac (im Film von Mišel Maticevic gespielt) zum Weltstar auf. Doch 1987 trennen sich die Wege von Boris Becker und Günther Bosch sehr plötzlich, nachdem Becker wider Erwarten bei den Australian Open bereits im Achtelfinale scheiterte. "Ich brauche einen Trainer, der nicht Tag und Nacht auf mich aufpasst", gab Becker damals zu Protokoll. Der "Trainer des Jahres 1986" und der "Sportler des Jahres 1986" fanden seither nicht wieder zusammen.

Bosch: "Ich würde aus heutiger Sicht nichts anders machen"

Boris Beckers weiterer Werdegang ist hinreichend medial begleitet worden – heute arbeitet er unter anderem als Experte für Eurosport. Günther Bosch setzt sich noch im hohen Alter für die Nachwuchsförderung ein. "Den Menschen Boris Becker von heute kann ich nicht wirklich einschätzen, da ein persönlicher Kontakt nicht mehr besteht", räumt Bosch ein. "Was ich beurteilen kann, ist seine Arbeit als Tennis-Kommentator – und ich finde, dass er das sehr gut macht."

Günther Bosch blickt keineswegs wehmütig oder reumütig auf die unglaublichen Jahre an der Seite von Boris Becker. "Ehrlich gesagt, würde ich auch aus heutiger Sicht nichts anders machen", betont er. "Ich würde sportlich den gleichen Weg gehen, um Boris dabei zu helfen, die Nummer eins zu werden. Es war für uns der richtige Weg damals, und es wäre heute nicht anders."

Auf die Frage, ob er als Trainer jemals wieder einem Kaliber wie Boris Becker begegnet ist, antwortet Bosch zunächst überraschend: "Ich hatte nach der Zeit mit Boris sogar mehrere sehr talentierte Jugendliche unter meinen Fittichen." Einer davon sei beispielsweise Markus Gabriel gewesen: "Ein junger Spieler mit deutschen Wurzeln und in Argentinien aufgewachsen. Er war sehr talentiert und durchaus erfolgreich auf Sand. Er hat Lendl, Chang und Mancini geschlagen, alles Top-Ten Spieler zu der Zeit."

Warum es dann für ihn wie bei so vielen anderen nicht zur absoluten Weltspitze gereicht hat? Bosch verweist immer wieder auf die Wichtigkeit der Psyche im Tennis. "Vielen Talenten fehlte in matchentscheidenden Situationen der Mut zum Gewinnen. Und das kann man nur selten erlernen", erklärt er. "Zum Erfolg gehört viel mehr: Siegeswille, Ehrgeiz, eine besondere mentale Stärke und ein gutes privates Umfeld. Und Eltern, die nicht zu viel Druck ausüben. Zu viele Sportler scheitern damals wie heute am zu starken Leistungsdruck." Druck, den gab es fraglos auch bei Boris Becker damals, nicht zuletzt, weil er sich ihn selbst gemacht hat. Doch, so Günther Bosch: "Im Trio Becker, Bosch, Tiriac hat einfach alles zusammengepasst."

So sieht Günther Bosch den Film über Boris Becker

Dem Filmprojekt steht Günther Bosch wohlwollend gegenüber. Er finde "Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon" "sehr gelungen und authentisch". Ganz besonders schwärmt er von Samuel Finzi. "Ich schätze ihn als Schauspieler sehr", so Bosch. "Seine Art, mich zu spielen, hat mich sehr beeindruckt, weil ich mich in seiner Darstellung öfter selber wiedererkannt habe." Er möge "alle drei Hauptdarsteller in ihren Rollen. Sie haben unser Trio gut charakterisiert und wiedergegeben".

Noch einmal zurück zur Geburtsstunde des deutschen Tennisbooms. Sie hatte in Wirklichkeit wohl gar nicht so viel mit der Sportart als vielmehr mit diesem unvergleichlichen Protagonisten zu tun. Sein Geheimnis hat der ehemalige ZDF-Mann Rainer Deike einst im Interview zu einem Jahrestag trefflich beschrieben: "Der hatte nichts zu verlieren und haute sich voll rein. Boris sagte ja immer selbst: 'Wenn es um Talent geht, da waren etliche andere vor mir. Er lag quer in der Luft, arbeitete wie ein Wahnsinniger und sah nachher aus wie ein Grubenarbeiter mit seinen aufgeschürften Knien. Das war Charisma. Deshalb liebten ihn die Leute von Anfang an so sehr – vielleicht wie eine Art Uwe Seeler des Tennissports. Möglicherweise hatte das was mit den sogenannten deutschen Tugenden zu tun."

Man könnte jetzt die aktuelle Nummer drei der Tennis-Weltrangliste fragen, was sie darüber denkt. Aber Alexander Zverevs Story wird ja gerade noch nachdrücklich in die Sporthistorie gemeißelt – und dass auch "Saschas" unglaublicher Aufstieg für einen veritablen Spielfilm gut ist, steht schon jetzt außer Frage.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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