Neue ZDF-Serie "Concordia"

Jonas Nay über Überwachung und KI: "Wir brauchen definitiv Gesetze und Regelungen"

21.10.2024, 14.06 Uhr
von Eric Leimann

In der ZDF-Serie 'Concordia' spielt Jonas Nay einen Widerständler gegen die totale Überwachung durch KI in einer fiktiven Stadt. Die Serie stellt Fragen zur Balance zwischen Privatsphäre und technologischem Fortschritt.

Die sechsteilige Near Future-Serie "Concordia" (Sonntag, 20. Oktober, 22.15 Uhr, ZDF, bereits in der Mediathek) porträtiert eine fiktive Stadt, in der sich alle Bewohner freiwillig der totalen Überwachung durch eine KI hingeben. Diese überwacht das Leben jedes einzelnen per Kamera, Mikrofon und Live-Körperdaten. Die Gesellschaft in Concordia ist liberal, divers und positiv. Aber will man in einer solchen cleanen Welt leben?

Jonas Nay, der als Hauptdarsteller der Serientrilogie "Deutschland 83 bis 89" bekannt wurde, ist nicht nur Schauspieler, sondern auch ausgebildeter Musiker und Komponist, der auch für Filme und Serien arbeitet. Der 34-jährige Lübecker erzählt offen, in welchen Lebens- und Arbeitsbereichen ihm Künstliche Intelligenz jetzt schon enorm hilft. Werden wir bald in einer Welt leben, in der vorwiegend Künstliche Intelligenz für Kunst und Unterhaltung sorgen?

prisma: Gibt es den wohlmeinenden "Big Brother", oder ist Überwachung immer nur schlecht?

Jonas Nay: Was ich an "Concordia" gut finde, ist, dass die Grenze zwischen Dystopie und Utopie fließend ist. Und, dass die Serie ihren Charakteren bezüglich des moralischen Kompasses eine Doppelbödigkeit lässt. Jeder, der heute Technik nutzt, gibt viel von sich preis. Wir alle füttern den Algorithmus. Ob wir nun Navigationssysteme nutzen, Suchmaschinen, Online-Bestellungen tätigen oder auf Social Media aktiv sind. Wer behauptet, er ließe sich nicht überwachen, sitzt auf einem hohen Ross, denn das ist fast unmöglich geworden. Trotzdem wäre es noch mal ein Schritt, diese Daten einer Regierungsautorität freiwillig preiszugeben, so wie in "Concordia". Dafür muss man schon sehr an die guten Absichten dieser Regierung glauben. Viele Menschen im Osten Deutschlands haben ja noch bis Ende der 80-er ihr Leben in einem Überwachungsstaat verbracht.

prisma: Wie viel Angst haben Sie vor einer Zukunft mit viel KI in unserem Leben?

Nay: Ich hoffe, dass wir einen guten Umgang damit finden. KI übernimmt gerade Funktionen in vielen Bereichen unseres Lebens, das ist schon eine Art Revolution. Ich glaube aber, wenn es darum geht, Menschen in ihrem Privatleben per Kamera und über andere Live-Daten zu überwachen, da ist das gesunde Maß weit überschritten. Es gibt aber viele Grautöne zwischen Privatsphäre und totaler Überwachung.

"KI funktioniert überall dort gut, wo Dinge nach Regeln funktionieren"

prisma: Jede Folge der Serie beginnt mit einem Clip, in dem zufriedene Concordia-Bewohner berichten, warum ihnen das Leben in dieser KI-Modellstadt so gut gefällt. Einige Argumente kann man nachvollziehen: Krankheiten werden früh erkannt, ebenso kriminelle Energie ...

Nay: Ich sehe KI keineswegs ausschließlich negativ. Wir stehen vor gewaltigen Aufgaben als Menschheit, wenn ich allein den Klimawandel betrachte, dass wir jede Hilfe beim Lösen komplexer Probleme gebrauchen können. KI vermag es definitiv, uns beim Lösen solcher Probleme zu unterstützen. Algorithmisches Denken kann uns bei der Verkehrswende, in der effizienteren Nutzung von Ressourcen oder deren idealer Verteilung helfen. Aber natürlich gibt es auch Grenzen. Zum Beispiel in der Medizin: Bei der Verbesserung von Diagnostik kann uns KI enorm helfen. Aber will man sich einen Chip einsetzen lassen, der 24 Stunden pro Tag Körperfunktionen misst? Mir ginge so etwas definitiv zu weit.

prisma: Wie intensiv nutzen Sie KI in ihrem Alltag?

Nay: Ich bin zurückhaltend und würde mich eher der Old School zuordnen. Ich nutze weder ChatGPT noch Alexa oder Siri. Meine Laptop-Kamera ist abgeklebt, und ich löse den Klebestreifen, wenn ich ein Videogespräch habe wie jetzt gerade (lacht). Dann aber gibt es Bereiche, da nutze ich sie schon. Als Musiker zum Beispiel hat man bei der Produktion viele Vorteile durch KI. Wenn man sie zum Beispiel einen Equalizer automatisch einstellen lässt für den bestmöglichen Sound. Oder nehmen wir Spracherkennung: Ich liebe es, meine Nachrichten zu diktieren. Und natürlich bei der Navigation und beim Bearbeiten von Videos, die ich für meine Band produziere. Du kannst einen Menschen per Hand aus einem Bild ausschneiden oder es von der KI machen lassen. Letzteres funktioniert deutlich schneller und exakter.

prisma: Berufe, die Sie betreffen, könnten sich in naher Zukunft durch KI stark verändern oder sogar gefährdet sein: Schauspieler, Drehbuchautoren, Musiker, Komponisten – überall könnte die KI übernehmen.

Nay: Ich stimme zu, wenn wir über den Bereich Dienstleister-Kunst sprechen. Da könnte ich mir vorstellen, dass mich die KI als Filmmusik-Komponist schneller einholt als als Schauspieler. Ich kenne jetzt schon KI-gestützte Systeme, die sehr gut arbeiten. Die nehmen Komponisten bereits anspruchsvolle Sachen wie Orchestrierung ab. KI funktioniert überall dort gut, wo Dinge nach Regeln funktionieren. Wenn man früher einen Dreisatz rechnen sollte, wusste man irgendwann: Der Taschenrechner macht es schneller. So ist es heute mit der KI. Und doch glaube ich: In bestimmten Bereichen der Kunst werden wir auf Menschen nicht verzichten wollen.

"Deshalb wird menschliche Kunst überleben"

prisma: Welche Bereiche meinen Sie?

Nay: Bleiben wir bei der Filmmusik und schauen uns musikalische Motive an, die man bestimmten Charakteren im Film zuordnet. Natürlich könnte eine KI diese Charaktere im Bild erkennen und vielleicht sogar feststellen, welche Emotion dieser Charakter gerade ausdrückt. Aber macht Kunst nicht aus, dass man mit Doppelbödigkeiten und Irritationen spielt? Dass man vielleicht, weil man als Künstler dieser Meinung ist, einen anderen Aspekt aus einer Szene heraus kitzeln möchte als jenen, den die "Daten" vorgeben? Ich glaube, dass wir Menschen in der Kunst immer auf der Suche nach dem Individuellen sind. Deshalb wird menschliche Kunst überleben.

prisma: Eine schöne These ...

Nay: Die aber überhaupt nicht abwegig ist. KI ist letztlich immer Reproduktion und Neuverknüpfung bereits gelernter Dinge. Sie schafft meiner Meinung nach aber keine originäre Kreativität.

prisma: Wenn man sich Hollywood-Blockbuster oder auch viele Fernseh-Krimis anschaut, hat man das Gefühl, sie wären schon von einer KI geschrieben – so gleichförmig sind die Erzählmuster. Vielleicht versuchen wir Menschen lediglich, Algorithmen des Erfolgs nachzuahmen. Wird man bald auch das Unerwartete, Überraschende in die KI einbauen lernen?

Nay: Das ist sicher ein Stück weit möglich, aber wir Menschen suchen ja nicht nur nach dem Unerwarteten, sondern auch nach einem persönlichen Stempel. Natürlich versucht KI in vielen Bereichen menschliches Denken nachzuahmen. Andererseits sind da natürlich auch Felder, da will die KI nichts mit menschlichem Denken zu tun haben, weil rein maschinelles Denken total überlegen ist. Zum Beispiel im Bereich des faktischen Wissens. Da kann kein Mensch mehr mit einer KI mithalten.

"Mit KI ist es wie mit jeder neuen, revolutionären Technik"

prisma: Und wo sind wir überlegen?

Nay: In unserer Emotionalität. Das ist ein hohes Gut, nach dem wir ständig im Leben suchen. Wir sind gefühlsgesteuerte Wesen, und das können wir einer KI nicht beibringen. Emotionen kann eine KI nicht haben. Sie beruhen auf chemischen Prozesse, nicht auf Rationalität. Wir suchen in der Kunst wie im persönlichen Leben nach den extrem besonderen Dingen. Dieser Bereich ist nicht die Stärke der KI, sondern von uns Menschen.

prisma: Es gibt bereits Beispiele, wo Stimmen teils verstorbener Schauspieler in neue Dialoge oder Monologe verwandelt wurden. Und es gibt Schauspieler, die digital gescannt wurden, um danach von der KI errechnete neue Szenen zu spielen. Macht Ihnen das Angst?

Nay: Ich finde so etwas einerseits cool, andererseits sehe ich die Gefahr. Die Gewerkschaften in Hollywood haben diesbezüglich schon einige Verbote ausgehandelt, was man machen darf und was nicht. Wir brauchen definitiv Gesetze und Regelungen zu all diesen Themen.

prisma: Waren Sie als Schauspieler schon selbst betroffen von KI-Anwendungen?

Nay: Ja, vor kurzem spielte ich in der internationalen Serie "The Tattooist of Auschwitz" (auf Sky, d. Red.). Da musste ich auch in ein digitales Studio, wo ich durchgescannt wurde, damit man mich in einer Szene im KZ noch mal in der Totalen von links nach rechts laufen lassen konnte. Das wirft schon Fragen auf. Wenn es am Ende günstiger ist, mich digital von links nach rechts laufen zu lassen, ist das für unseren Beruf nicht unbedingt eine gute Nachricht.

prisma: Wissen Sie denn, warum Sie in der Serie digital eingesetzt wurden?

Nay: Gesagt hat man es mir nicht, aber man kann darüber spekulieren, warum man Menschen für Filme digitalisiert. Einmal natürlich, weil man dann weniger Statisten braucht. Der Computer rechnet einfach das Vielfache an Lagerinsassen, Aufsehern oder Soldaten hinzu, und fertig ist eine überzeugende Massenszene. Auch die Dimensionen eines in der Realität riesigen Sets wie dem KZ Auschwitz-Birkenau kann man durch KI eher gerecht werden – und man muss nicht so viel bauen. Man dupliziert einfach Baracken, Krematorien und eben auch Menschen. Mit KI ist es wie mit jeder neuen, revolutionären Technik. Man kann großartige Dinge damit anstellen – und natürlich auch schlechte.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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