"Unterleuten": gelungene Romanverfilmung ohne Schnickschnack
Das ZDF hat den Roman von Juli Zeh in drei 90-Minütern verfilmt und zeigt diese allesamt zur Primetime. Ein mutiges Unterfangen, das es verdient hätte, mit einer ordentlichen Quote belohnt zu werden.
Dreimal 90 Minuten Zeit schenkt das ZDF einem dem meistdiskutierten deutschen Romane der letzten Jahre: Juli Zehs Bestseller "Unterleuten". Als Status Quo des deutschen Gegenwartsromans wurde das Buch gefeiert, weil es in Form einer zerbrechenden Dorfgemeinschaft im Brandenburgischen vom Menschen an sich erzählt. Umgeben von goldenen Getreidefeldern liegt dort ein fiktives dörfliches Idyll mit altbekannten Stärken und Schwächen. Hier ist es ruhig, die Menschen haben Platz, alles geht in gemächlicher Ruhe vonstatten. Nur das Geldverdienen fällt in Unterleuten schwer. Zumindest, wenn man nicht zu den Zugereisten gehört, die noch zu ihren Jobs nach Berlin pendeln.
Viele der Alteingesessenen arbeiten in der Landwirtschaft – beim knorrigen Unternehmer Gombrowski (Thomas Thieme), der schon zu DDR-Zeiten die LPG leitete. Dombrowskis Gegenspieler ist ein stets skeptischer Senior namens Kron (Hermann Beyer), der andeutet, dass der Patriarch Leichen aus alter Zeit im Keller liegen hat.
Krons Tochter Kathrin (Bettina Lamprecht) hat die schlechte Laune der Vätergeneration allerdings nicht geerbt. Mit ihrem Schriftsteller-Mann (Bjarne Mädel), dessen zeitlupenhafte Arbeit an einem Bühnenstück sie freundlich erträgt, und der gemeinsamen kleinen Tochter "Krönchen" verbringt sie schon ihr gesamtes Leben in Unterleuten. Auch Bürgermeister Arne Seidel (Jörg Schüttauf) gehört zum Alt-Inventar. Er sieht sich als Agent des Ausgleichs zwischen alt und neu im dünn bevölkerten Berliner Umland. Neu sind hingegen die Zugezogenen wie der Wissenschaftler Dr. Gerhard Fließ (Ulrich Noethen) mit seiner deutlich jüngeren Frau Jule (Rosalie Thomass) und dem gemeinsamen Baby. Auch Linda Franzen (Miriam Stein) und ihr Freund Frederick (Jacob Matschenz), sind Städter, die sich hier ein altes Häuschen gekauft haben. Linda träumt von einem Reiterhof und will eine erfolgreiche Unternehmerin werden.
In das Biotop Unterleuten gerät Bewegung, als ein Windpark in unmittelbarer Nähe des Dorfes entstehen soll. Anne Pilz (Mina Tander), smarte Repräsentantin eines niedersächsischen Öko-Energiekonzerns, bietet den Besitzern bestimmter, scheinbar attraktiver Flächen viel Geld für Land an, von dem man zuvor nicht zu träumen gewagt hatte, dass es mal wertvoll werden könnte. Auch der bayerische Unternehmer Meiler (Alexander Held) bekommt Wind von dem Projekt. Durch geschickte Investitionen ins Dorf will auch er seinen Reichtum mehren. Als das Geld ins Dorf zu kommen scheint, bilden sich neue Allianzen und alte zerbrechen. Windkraftbefürworter, in der Regel aus monetären Gründen, und Gegner belauern sich und planen ihre nächsten Schritte. Letztendlich verfolgt jeder im Dorf seine eigenen Ziele. Und nicht immer ist das, was geschieht, sofort zu verstehen. Über 270 Minuten wird immer klarer: In Unterleuten gärt und eskaliert etwas. Alles läuft auf einen großen, dramatischen Schlussakkord hinaus.
Das Ensemble, welches der XXL-Fernsehfilm versammelt, könnte prominenter nicht sein. Neben den erwähnten Darstellern sieht man auch Stars wie Charly Hübner, Dagmar Manzel, Christine Schorn oder Nina Gummich in Charakterrollen, die weitgehend so auch im Roman Juli Zehs zu finden sind. Grimmepreisträger und Edel-Drehbuchautor Magnus Vattrodt ("Tatort: Für immer und dich") dramatisierte das hochgelobte Werk der 45-jährigen Autorin, die übrigens ebenfalls mit Mann und zwei Kindern im Brandenburgischen lebt, für den Fernsehschirm. Dabei spart die kürzere Drehfassung vor allem am geschichtlichen Background der Figuren, die im Roman teilweise tief in die DDR-Geschichte hineinreichen. Matti Geschonneck ("Boxhagener Platz") übernahm die Regie und setzte dabei eher auf die Stärke der Vorlage als auf auffällige Filmkunst: In ruhigen Bildern ohne viel Schnickschnack wird das Beziehungsgeflecht langsam aufgebaut und verdichtet.
Man muss das ZDF loben für sein Projekt, einem Nicht-Krimistoff (auch wenn es ein Geheimnis um ein früh verstorbenes Mitglied der Dorfgemeinschaft gibt) so viel Raum in der Primetime zu schenken. Schließlich ist "Unterleuten" eine Erzählung, in der es um die unterschiedliche Konstruktion von Wahrheiten und ihre Dynamik für das Leben der Beteiligten geht, nicht unbedingt jedermanns Sache. Andererseits ist die Erzählung so bestechend – und zwischendurch auch immer wieder erfrischend skurril bis tragikomisch – dass man beim Zuschauen keine Langweile verspürt.
Für ihr exemplarisches Deutschland-Biotop aus Wendegewinnern und Verlierern, aus Geschäftemachern und Kommerz-Aussteigern, hat Autorin Juli Zeh, die sich sehr zufrieden mit der Verfilmung äußert, übrigens auch ihre eigenen virtuellen Realitäten geschaffen. Auf extra angelegten Webseiten wie www.unterleuten.de kann man sich auf einen Rundgang durch das fiktive Dorf begeben oder die fiktive Speisekarte der ebenso fiktiven Dorfkneipe als PDF herunterladen. Der Realitätswahn passt irgendwie, denn so schrecklich weit von der Wirklichkeit sind Juli Zehs Charaktere leider nicht entfernt. Etwa anderthalb Jahre bevölkerte sie mit ihrem Roman die Spiegel-Bestseller-Liste. Nun muss man schauen, ob sich – ähnlich wie vor einigen Jahren bei "Der Turm" – auch ein großes TV-Publikum für die Verfilmung eines großen deutschen Gegenwartsromans interessiert.
Teil zwei läuft am Mittwoch, 11. März, Teil drei am Donnerstag, 12. März, jeweils 20.15 Uhr. Ab Montag, 2. März, gibt es alles komplett in der ZDF Mediathek zu sehen.
Unterleuten – Das zerrissene Dorf – Mo. 09.03. – ZDF: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH