"Sing meinen Song": Warum wir nie echte Emotionen sehen

Was Rea Garvey wohl dachte, als die Schlagersängerin auf der Bühne stand? Die 69-Jährige Mary Roos, flotter blonder Bob und theatralische Gestik, wippte munter hin und her und machte aus Garveys Rock-Nummer "Through the Eyes of a Child" etwas, das problemlos Teil eines pathetischen Musicals sein könnte. Und dann klang das auch noch irgendwie gut, muss man ja zugeben.
Wirklich eine Neuerung in der mittlerweile fünften Staffel von "Sing meinen Song – Das Tauschkonzert" wäre doch, wenn die Musiker sagen würden, was sie wirklich denken. Wenn ein Rea Garvey von der Couch aufspringen und rufen würde: "Nee, das isses nicht, so habe ich das nun wirklich nicht gemeint, als ich mit 35 zwischen den Bierdosen und Pizzakartons saß und diese Zeilen aufgeschrieben habe."
Rea Garvey hat sogar geweint
Echte Emotionen, Wahrhaftigkeit – das wird ja immer so beschworen im Fernsehen. Erst recht in dieser Möchtegern-heimeligen Musikshow, in der jeder jeden mag, am Ende alle dicke Freunde werden und ihre Hamster nach dem jeweils anderen benennen. Die zweite Folge, in der die Musiker die Songs von Reamonn-Frontmann Rea Garvey coverten, hatte sogar einen echten Superlativ: Garvey hat geweint! Naja, nicht richtig. Aber da war Wasser in seinen Augen. Es hat geglänzt, als die Kamera dicht herangefahren ist und der Licht-Assi den Scheinwerfer in seine Richtung gehalten hat.
Aber was er wirklich dachte, das hat Rea Garvey nicht gesagt. War nämlich immer alles ganz toll, und so toll können nicht einmal Judith Holofernes und Johannes Strate durchgehend sein. Bei Mark Forster hat sich Garvey sogar so sehr mit seinem Lob überschlagen, dass er ihn gelobt hat, noch bevor er seinen Song performt hat. "Ich bin beeindruckt", stöhnte Garvey, und Mark Forster erwiderte etwas verdutzt: "Warte doch, bis ich mein Lied performt habe." Nein, schon wegen der Auswahl des Liedes alleine war Garvey beeindruckt.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Garvey ein gläubiger Mann ist und ganz dem Zeitgeist entsprechend versucht, in allem das Beste zu sehen. Unter jede seiner SMS, haben die Zuschauer am Dienstagabend erfahren, schreibt er "God bless." Dass Mark Forster, Judith Holofernes und Rea Garvey einander noch SMS schreiben, war an dieser Information eigentlich viel erstaunlicher.
Mark Forster holt den Sieg des Abends
Als er dann performt hat, hat Mark Forster seine Sache richtig gut gemacht. Und bewiesen, dass er trotz SMS und Käppi auch irgendwo tatsächlich cool ist: Er hat sich vor einen Synthesizer gesetzt und "Bow Before You" in derartiger Schlichtheit und Kraft gesungen, dass Garvey ihm den Sieg des Abends zuteilte.
"Du hast die Geschichte besser erzählt als ich", lobte Garvey den kleinen Forster. Das war sogar für "Sing meinen Song" ein wirklich großes Lob. Die müssen sich alle durchgehend fühlen, als wären sie auf einer Firmenfeier und ihr Chef würde eine Rede halten und sie loben. Wo soll man hingucken? Soll man stolz lächeln oder sich lieber bedeckt halten? Auf einer Firmenfeier sagt man auch nur Nettes, ehrlich ist da keiner. Und am Ende geht man wie bei "Sing meinen Song" mit einem leichten Zuckerschock und einem Schwips ins Bett.