"Mich nicht mehr schämen zu müssen, ist ein wunderbares Gefühl"
Fußball-Fans kennen Jessica Libbertz (Mädchenname Jessica Kastrop) als toughe Sky-Moderatorin. In ihrem Buch schreibt sie über ihre Krisen und darüber, wie sie einen Ausweg aus der Schamfalle gefunden hat.
Sie ist erfolgreiche Sportjournalistin und hat als erste Frau in Deutschland die Uefa Champions League moderiert. Auch als Autorin eher leichterer Lesekost wie "Liebe in Zeiten der Champions League", "Blond kickt gut" oder "The Stylish Life – Fußball" ist sie bereits in Erscheinung getreten. Nun hat Jessica Libbertz, Fußball-Fans noch besser bekannt unter ihrem Mädchennamen Kastrop, ein Buch geschrieben, das auf den ersten Blick so gar nicht zu der kompetenten Frontfrau von Sky passen will: "No Shame – Wie wir den Teufelskreis der destruktiven Scham verlassen" widmet sich einem der größten Tabuthemen unserer Gesellschaft. Die 44-Jährige beschreibt, wie sie selbst – nach außen hin nicht sichtbar – jahrzehntelang unter dem Gefühl der Scham gelitten und verschiedene Krisen erlebt hat, bis sie schließlich vor ein paar Jahren einen Ausweg aus der Schamfalle gefunden hat. Im Interview spricht die Wahl-Münchnerin, die seit Sommer 2018 mit dem Dichter Roman Libbertz verheiratet ist, über ihr Werk und auch darüber, wie sich ihre persönliche wie berufliche Einstellung komplett verändert haben.
prisma: Frau Libbertz, Sie sind TV-Moderatorin und somit auch gewöhnt, in der Öffentlichkeit zu stehen. Warum haben Sie nun ausgerechnet ein Buch über das Thema Scham geschrieben?
Jessica Libbertz: Ich hatte früher oft das Gefühl, ich stehe mir selbst im Weg und wusste lange Zeit nicht, warum. Bis ich vor ein paar Jahren die Erkenntnis gewonnen habe, dass es die Scham ist, die mich in meinem persönlichen Leben behindert. Daraufhin habe ich über insgesamt drei Jahre zu diesem Thema recherchiert und dabei wiederum festgestellt, dass in Deutschland sehr wenig Literatur darüber existiert. Wenn, dann handelt es sich nur um sehr spezifische Fachliteratur, die aber auch nur den Ist-Zustand beschreibt und nicht die Möglichkeiten aus der Scham heraus offeriert, die ich in dem Buch aufzeigen wollte. Es sollte ursprünglich kein klassischer Ratgeber werden, aber irgendwie ist "No Shame" am Ende doch genauso geworden, wie ich es mir gewünscht habe.
prisma: "No Shame" unterscheidet sich ja doch sehr von Ihren bisherigen Publikationen ...
Libbertz: Das lässt sich überhaupt nicht vergleichen. Ich bin auch gefragt worden, ob es nicht mutig sei, so persönliche Dinge preiszugeben. Ich musste dann schmunzeln, denn ich empfinde das gar nicht mehr als mein eigenes Ich. Das ist wie eine Art vorheriges Leben, über das ich schreibe. Und dafür schäme ich mich nicht, warum auch? Ich habe das nie als Lebensbeichte empfunden, das würde ich auch zwingend verneinen, dafür steckte in "No Shame" viel zu viel Arbeit und dafür ist das Buch auch viel zu wissenschaftlich.
prisma: Sie geben aber doch ziemlich viel von sich preis. Wird man dadurch nicht auch verletzlicher?
Libbertz: Das wäre die alte Jessica ganz sicher. Aber da ich mich mit ihr so nicht mehr identifizieren kann, sehe ich die Gefahr nicht. Die Botschaft ist nicht, Hey, das war ich, sondern die Botschaft lautet: Was sind die Gründe und wie kann man ein ganz anderes, viel schöneres und glücklicheres Leben mit viel mehr Möglichkeiten führen?
prisma: Welchen Stellenwert hat dann dieses Buch für Sie?
Libbertz: Für mich bedeutet es einen Wendepunkt, ein neues Kapitel in meinem Leben. Ich hatte schon vorher ein schönes, aufregendes, teilweise auch anspruchsvolles Leben, aber das, was ich jetzt erleben darf, ist ein viel leichteres und lebenswerteres Dasein.
prisma: Was hat sich beispielsweise geändert?
Libbertz: Es hat sich alles geändert, weil ich wirklich nicht mehr diese Belastung empfinde. Viele Menschen, die sich schämen, kennen das Gefühl, in diesem Gefängnis zu stecken, und natürlich hat das viel mit Verletzlichkeit zu tun. Aber die Möglichkeit, sich zu öffnen, darüber zu sprechen und die Dinge klar anzusprechen, erlebe ich als wahnsinniges Geschenk.
prisma: Haben Sie den Eindruck, dass Sie auch in Ihrem Beruf selbstbewusster auftreten, gelassener sind und einfach nicht mehr alles an sich heranlassen?
Libbertz: Das ist nicht nur im Beruf so. Ich empfinde mich insgesamt als sehr dankbarer und sehr gesegneter Mensch. Mich nicht mehr für mich selbst schämen zu müssen, ist ein wunderbares Gefühl. Ich bin einen langen Weg gegangen, um dahin zu kommen. Aber auch das ist eine wichtige Botschaft: Es ist möglich, sich von negativen Dingen wie Kritik oder Zwängen weniger beeindrucken zu lassen. Wobei das Buch auf keinen Fall eine Anleitung zur Selbstoptimierung sein soll. Genau das wollte ich eben nicht, denn dann steckt man wieder in derselben, vom Erfolgsdruck geprägten Denkspirale drin. Es ist wichtig, sich immer wieder genau da rauszunehmen und alles geschehen zu lassen.
prisma: Was aber schwierig ist in einer Leistungsgesellschaft, in der der Erfolg sehr viel zählt ...
Libbertz: Erfolg, da glaube ich fest daran, ist immer das, was folgt. Wenn ich eine Arbeit mit Leidenschaft und mit vollem Herzen und mit ganzer Aufrichtigkeit verrichte, dann ist es sehr schwer, dabei nicht erfolgreich zu sein. Ich strebe aber nicht nach diesem Erfolg. Wenn, dann strebe ich in meinem anderen Beruf als Moderatorin danach, den Menschen die Freude darin zu bereiten, dass ihr Lieblingshobby zu ihnen nach Hause kommt. Das würde ich unter anderem als Zweck dieses Berufs sehen, dass wir der verlängerte Arm der Zuschauer sind, der die Fragen, die sie haben, an ihre Akteure stellt.
prisma: Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem heutigen Wissen über die Auswirkungen der Scham denselben beruflichen Weg gegangen wären?
Libbertz: Das ist im Nachhinein schwer einzuschätzen. Ich bin durch sehr viele interessante Erfahrungen gegangen. Es kann sein, dass ich vielleicht gesagt hätte: Ich setze mich der Öffentlichkeit nicht aus. Was paradox klingt, aber die Scham hat natürlich letzten Endes da auch immer sehr viel Futter bekommen. Durch öffentliche Kritik war man natürlich auch sehr angreifbar.
prisma: Sie schreiben, dass Sie als junges Mädchen Selbstzweifel hatten, sehr unsicher waren, Essstörungen hatten ...
Libbertz: Ich gehörte schon früher eher zur Außenseiter-Fraktion. Ich bin im ländlichen Raum aufgewachsen, konnte aber den dortigen Dialekt nicht. Daraufhin bin richtig scheu geworden. Dann hat sich eben auch die destruktive Scham entwickelt, und ich hatte das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt. Heute kann ich sagen, dass ich dieses Grundgefühl nicht mehr habe, sondern mit mir fein bin.
prisma: Wieso haben Sie dann ausgerechnet so einen öffentlichen Beruf als TV-Moderatorin gewählt?
Libbertz: Ich wollte ja über Fußball schreiben. Fußball war schon immer mein Ding. Mein Vater war ein großer Fußballfan, meine Großmutter war schon ein Fan, meine Urgroßmutter auch. Ich habe da für mich eine Nische entdeckt, in der ich mich sehr wohlgefühlt habe. Auf der einen Seite war es etwas Besonderes, da als Frau unterwegs zu sein, auf der anderen Seite hatte ich auch relativ viel meine Ruhe. Dass ich zum Fernsehen kam, war eigentlich mehr Zufall und so nie geplant.
prisma: Vielleicht haben Sie sich ja unbewusst diesen schwierigeren Weg gesucht ...
Libbertz: Das ist auch meine Erklärung im Nachhinein. Jetzt macht es mir zum ersten Mal richtig Spaß, denn jetzt habe ich nicht mehr diesen selbst auferlegten Druck, kann es auch genießen und habe mal richtig Freude daran. Denn das muss man schon auch wissen: Das ist ein sehr schöner Job, den ich da machen darf, und ich bin auch sehr dankbar dafür.
prisma: Als Fußballmoderatorin bewegen Sie sich ja doch eher in einer Männerwelt. Haben Sie dafür kämpfen müssen, als Frau da ernst genommen zu werden?
Libbertz: Ich glaube, es geht Frauen fast überall so, das hat gar nicht so viel mit Fußball zu tun. Die Zahlen sind verheerend: Wir haben in deutschen Führungsetagen 94 Prozent Männer. Das heißt, nur ein verschwindend geringer Teil von Frauen schafft es wirklich bis in Führungspositionen. Und leider müssen wir aufpassen, dass das gesamte Frauenbild nicht wieder rückschrittlicher wird. Frauen werden wieder konformer, sie werden wieder braver und gehorsamer. Wir müssen genau hinschauen, dass das, was die letzten 30 Jahre erarbeitet wurde, nicht wieder zusammenfällt.
prisma: In der Sportwelt scheint es aber noch extremer zu sein ...
Libbertz: Ja, natürlich. Wobei die Sportart das natürlich schon mit sich bringt. Wir übertragen auf dem Niveau eben Männerfußball. Immerhin hat sich viel getan in der Berichterstattung, mittlerweile sehen wir viele weibliche Reporterinnen, Moderatorinnen, ja sogar Kommentatorinnen. Da sind wir viel weiter.
prisma: Es gibt ja auch genug Frauen unter den Fußball-Fans. Bis der erste Verein aber mal von einer Frau geführt wird, wird wohl noch viel Zeit vergehen ...
Libbertz: Aber es wäre so eine wunderbare Idee! Immerhin gibt es jetzt diese erste Trainerin beim BV Cloppenburg, die in der Oberliga eine Männermannschaft trainiert. Auch ich könnte mir vorstellen, später mal eine Aufgabe zu übernehmen, vielleicht bei meinem alten Klub, dem 1. FC Kaiserslautern, aber das ist Zukunftsmusik.
prisma: Was haben Sie als Nächstes vor? Werden Sie sich weiter mit dem Thema Scham beschäftigen?
Libbertz: Ja. Die Termine für die ersten Vorträge darüber stehen, ich freue mich wahnsinnig darauf! Ich glaube, es ist nicht damit getan, das Buch zu schreiben. Ich möchte viele dieser Dinge weiter vorantreiben, sonst hätte es irgendwie keinen Sinn gemacht für mich. Es einfach bei diesem Buch zu belassen ist mir persönlich zu wenig. Dafür habe ich zu viel Energie, was das angeht, dafür ist es mir auch viel zu wichtig.
prisma: Sie haben letztes Jahr geheiratet – wie sieht es mit der Familienplanung aus?
Libbertz: Da sage ich: Das kommt, wie es kommt. Ich bin noch so jung, dass es klappen kann, aber ob das klappt, weiß man ja nie. Wenn das Geschenk des Lebens noch kommt, dann nehmen wir es sehr gerne an, wenn nicht, wird es auch ok sein. Wir fühlen uns sehr glücklich, so wie es ist, und wenn das kommen sollte, ist es fein. Wenn nicht, sind wir auch so dankbar, dass wir uns gefunden haben.
Quelle: teleschau – der Mediendienst