Marilyn Manson über Donald Trump: "Solche Feindbilder helfen"
Schockrocker Marilyn Manson hat in den vergangenen Jahren in seinem privaten Umfeld viele Verluste hinnehmen müssen. Im Interview spricht er über seinen Vater, seine Katzen und Depressionen.
Konzerte von Marilyn Manson nahmen ja manchmal einen blutigen oder zumindest schmerzhaften Verlauf, das war so aber nicht geplant: Bei einem Konzert in New York City ist kürzlich ein Teil der Bühnendekoration – zwei übergroße Pistolen – auf den umstrittenen US-Musiker gestürzt. Der Gig wurde abgebrochen, der 48-jährige Schockrocker in eine Klinik eingeliefert. Neun Auftritte musste Manson infolge des Unfalls streichen, die Deutschlandtkonzerte ab Mitte November sind nach jetzigem Stand aber nicht in Gefahr. Beim Interviewtermin wenige Wochen vor dem Zwischenfall in New York präsentiert sich Brian Warner alias Marilyn Manson noch in Topform – zumindest körperlich. Es gibt ein neues Album, "Heaven Upside Down" (hier bei Amazon bestellbar) – die Gelegenheit, mal wieder den Staub von der satanischen Bibel zu klopfen.
Es ist später Nachmittag. Marilyn Manson sitzt in der schummrigen Kellerbar des Berliner Soho House und hat einen sitzen. Zur Begrüßung gibt es eine überschwängliche Umarmung. Das Enfant terrible der US-Rockszene geht auf Kuschelkurs, was ungewohnt, aber nach den jüngsten Schicksalsschlägen doch verständlich ist. Vor vier Jahren verstarb seine Mutter, im Frühjahr auch noch sein Vater. Der Sänger, Künstler und Schauspieler hatte ein gutes Verhältnis zu beiden: "Mein Dad und ich waren oft mit meinen Kumpels feiern", erinnert sich der Rockstar. "Aber mein Dad hatte Krebs. In der Nacht, bevor er starb, wurde er noch wiederbelebt. Am Morgen musste ich die Entscheidung fällen, die Geräte abzuschalten."
Manson, der Katzenfreund
Trotz dieser tragischen Geschichte muss Manson grinsen. "Seine Schwester hielt dabei seine eine Hand, die andere hatte er an seinem besten Stück. Ich erzähle das, weil mein Dad sich freuen würde, wenn die ganze Welt wüsste, dass er mit der Hand an seinem Schwanz gestorben ist." Manson kippt noch mal etwas Wodka hinterher und zeigt auf seinem Handy, bei wem er sich aktuell nachts ausheult: "Ich habe diese Typen hier." Er verweist auf ein Bild mit zwei grau getigerten Katzen. "Das sind William White Boy Manson und Rusty Manson. Sie sind Brüder, sehr schlau und intuitiv. Sie wissen genau, wann ich traurig oder glücklich bin." Auch an der Katzenfront gab es für Manson Verluste: Seine schneeweiße Schönheit Lily White verstarb vor einem Jahr.
"Ich vermisse sie sehr, aber da ist viel Lily in meinen beiden Katern." Man möchte Manson, den man selten so herzlich erlebt, am liebsten in den Arm nehmen und trösten. Aber das besorgt er ja schon selber mit dem Wodka. "Ich habe gelernt, mit Trauer umzugehen. Ich mache einfach etwas, das mich glücklich macht. Meistens hat das mit Musik zu tun." Manchmal auch mit Johnny Depp. Die beiden verbindet eine enge Freundschaft: "Wir sind wie Brüder und unterstützen uns, wo es nur geht. Wir haben uns beide ein identisches Tattoo über den ganzen Rücken stechen lassen. Es ist eine Zeichnung von Charles Baudelaire von einem Baum mit einem Skelett. Dass wir uns den Rücken freihalten, ist also wörtlich zu nehmen." Manson zeigt ein paar private Schwarz-Weiß-Aufnahmen von sich mit dem Hollywood-Schauspieler auf dem Handy. "Keine Schwanzfotos", kommentiert Manson lachend.
Obwohl Manson einst gegenüber dem amerikanischen "Rolling Stone" offenbarte, dass er mehrmals am Tag Sex bräuchte, wirkt der selbsternannte God of Fuck im Interview wie ein echter Gentleman. Der 1969 in Canton, Ohio geborene Brian Hugh Warner hat allerdings auch schon in einige Abgründe geblickt. Chris Cornell und Chester Bennington sind die jüngsten Depressionsopfer im Rockzirkus – Manson ist ein Überlebender. "Das bin ich wirklich! Aber wenn du depressiv bist und jemand sagt dir: 'Hey, du bist großartig', dann macht es das eigentlich noch schlimmer. Denn das Problem bei einer Depression ist ja: Du weißt, dass du besser sein kannst, aber du kannst es nicht umsetzen. Wenn ich heute solche Momente habe, sage ich mir: 'Scheiß drauf, ich tu es einfach!"
Wütend, stark und selbstsicher
Mit dieser Attitüde entstand auch Marilyn Mansons zehntes Album "Heaven Upside Down". Das 48-jährige Gesamtkunstwerk ist sich sicher, dass sein Vater das neue Werk geliebt hätte. "Weil es die überzeugendste Platte ist, die ich je gemacht habe. Er hat seinen Glauben an mich weitergereicht." Wie schon auf dem Vorgänger-Album "The Pale Emperor" von 2015 arbeitete Manson mit dem Soundtrack-Komponisten Tyler Bates in Los Angeles zusammen. "Tyler und ich fragten uns am Anfang der Aufnahmen: 'Warum machen wir nicht Musik wie die, die wir hörten, als wir 21 waren?' The Cure, Joy Division, Ministry – das sind Bands, die damals nicht zwingend kommerziell waren, aber unglaublich inspirierend. Wir haben das dann sehr frei interpretiert."
Die neuen Songs klingen wütend, stark und selbstsicher. Es ist der womöglich beste Manson seit gefühlten zwei Dekaden. In seiner Musik wirkt der Schockrocker nun endlich wieder gefährlich, auch wenn man merkt, wie verletzlich der private Manson ist. Themen wie Gewalt, Sex, Politik und Romantik ziehen sich durch die Stücke, in denen der Musiker wie lange nicht mehr die Konfrontation sucht – etwa in der Single "We Know Where You Fucking Live". Manson: "Die Botschaft ist recht eindeutig, oder? Verarsch mich nicht oder irgendjemanden, der mir nahesteht. Denn sonst werde ich dir übel mitspielen."
Mit neuen Feindbildern wie Donald Trump hat der "Sons Of Anarchy"-Darsteller offensichtlich sein Mojo wiedergefunden. "Das stimmt, solche Feindbilder helfen", bestätigt der Künstler. "Aber seltsamerweise habe ich dasselbe gesagt, als George W. Bush an die Macht kam. Denn das System ändert sich nie. Amerika ist Amerika. Seit ich 1996 'Antichrist Superstar' veröffentlicht habe, hatte ich noch nie so viele Déjà-vus wie heute. Und jedes Mal wusste ich, was als nächstes passieren würde."
"Für die Fantasie anderer kann ich nichts"
In Mansons im November 2016 veröffentlichtem Video zum Lied "Say10" sieht man einen geköpften Mann am Boden liegen, der sehr viel Ähnlichkeit mit dem aktuellen US-Präsidenten hat. "Für die Fantasie anderer Leute kann ich nichts", winkt er ab und lässt sich nicht festnageln. "Vor der Wahl wurde ich immer wieder gefragt: 'Wie wird die Sache ausgehen?' Das Video war meine Antwort. Darüber hinaus will ich mit der Platte gar kein politisches Statement abgeben." Darauf noch einen Wodka.
Quelle: teleschau – der Mediendienst