Grimme-Preis: Zeitenwende auf dem Fernsehmarkt
Mediale Revolutionen erreichen Deutschland traditionell verspätet. Ebenso verzögert reagieren die Institutionen mit anerkennenden Ehrungen auf derlei Veränderungen. Wenn nun also der begehrte Grimme-Preis an Pay-TV- und Streaming-Serien vergeben wird, bedeutet das vor allem: Die mediale Umwälzung, die mit Netflix begann, ist hierzulande endgültig im Mainstream angekommen.
Der Grimme-Preis ist mit Blick auf die Qualität relevanter als jeder andere TV-Award hierzulande. Mit "Babylon Berlin", "4 Blocks" und "Dark" werden nun gleich drei deutsche Qualitäts-Serien ausgezeichnet. Letztere ist als erste reine Streamingproduktion überhaupt dabei – noch vor wenigen Jahren undenkbar. Auch im non-fiktionalen Bereich geht man mit der Zeit: Böhmermanns "Eier aus Stahl" erhalten ebenso einen Preis wie das bei der "Goldenen Kamera" inszenierte "Gosling Gate" von Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf.
Sieben Preise für Netflix-Serie "Dark"
Erstmals in der Geschichte der renommiertesten hiesigen TV-Auszeichnung wird ein Streamingdienst prämiert: Ganze sieben Preise erhält die erste deutsche Netflix-Serie "Dark", die auch international Anerkennung fand. Der Mystery-Serie um eine deutsche Kleinstadt, verschwundene Kinder und Zeitreisen gelingt damit eine Premiere: Als bislang einzige Grimme-prämierte Produktion ist sie nicht im deutschen Fernsehen zu sehen.
Ausgezeichnet werden die beiden Showrunner Baran bo Odar (Regie) und Jantje Friese (Drehbuch), zudem die Schauspieler Louis Hofmann, Oliver Masucci und Angela Winkler in der Kategorie Darstellung. Für das Production Design geehrt wird Udo Kramer, Simone Bär für das Casting. "Der Grimme-Preis ist eine große Ehre und eine wundervolle Bestätigung für uns als Serienschöpfer, die wir als Duo immer unsere ureigene Vision verfolgt haben – kompromisslos, neugierig und abseits bereits betretener Pfade", teilten die beiden Showrunner mit.
Als "in jedem Sinne bahnbrechend" und "Glücksfall für das deutsche Fernsehen" bezeichnete die Jury auch die von der ARD und Sky gemeinsam produzierte Serie "Babylon Berlin". Das 40 Millionen Euro teure Prestige-Epos über die Hauptstadt in den 20er-Jahren erhält den Grimme-Preis für Regie (Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries), Szenenbild, Montage, Kostüm sowie für die Szenen- und Filmmusik. Ebenfalls ausgezeichnet werden die Hauptdarsteller Liv Lisa Fries, Volker Bruch und Peter Kurth. Die Serie sei laut Jury "opulenter Budenzauber und feinnerviges Zeitgeschichtsstück in einem. Unter den vielen Schauwerten tut sich eine kluge Analyse über die politischen und sozialen Kraftströme der Weimarer Republik auf".
Ebenfalls im Bereich "Fiktion" prämiert wird beim 54. Grimme-Preis die Mafia-Serie "4 Blocks", die von TNT Serie produziert und bereits auf ZDFneo ausgestrahlt wurde. Die Produktion, die sich einem libanesischen Clan in Berlin-Neukölln nähert, wird ausgezeichnet im Bereich Regie (Marvin Kren) sowie für die schauspielerische Leistung von Maryam Zaree und Kida Khodr Ramadan. Mit Blick auf den Erfolg der Serien-Produktionen sagte Grimme-Institut-Direktorin Frauke Gerlach: "Die Qualität dieser hochklassigen Serien zeigt, dass Deutschland auch auf dem internationalen Serienmarkt bestehen kann".
Öffentlich-Rechtliche Produktionen geehrt
Ganz zurückstehen müssen die traditionell ausgezeichneten Öffentlich-Rechtlichen aber auch in diesem Jahr nicht: Mit dem DDR-Drama "Zuckersand" erhält die ARD einen Preis im Bereich "Fiktion"; mit dem Zweiteiler "Landgericht – Geschichte einer Familie" wird auch das ZDF für eine historische Produktion geehrt, in der laut Jury "deutsche Zeitgeschichte unter bisher selten gezeigten Aspekten behandelt" werde. In der Sektion "Information und Kultur" gingen die Preise ausschließlich an öffentlich-rechtliche Produktionen: die ARD/BR-Doku "Sewol – Die gelbe Zeit", "Alles gut – Ankommen in Deutschland" (NDR/SWR), "Ab 18! Du warst mein Leben" (ZDF/3sat) und "Cahier Africain" (ZDF/3sat). "Für besondere journalistische Leistungen" wird die "Panorama"-Redaktion geehrt.
Zeitgemäß gibt sich die Grimme-Jury in diesem Jahr auch im Bereich "Unterhaltung". Geehrt wird hier nicht nur Jan Böhmermanns "Neo Magazin Royal", das für den legendären Diss gegen "Max Giesinger und die deutsche Industriemusik" bereits den dritten Grimme-Preis erhält. Ebenfalls ausgezeichnet werden Joko und Klaas für ihren Coup bei der "Goldenen Kamera": Die Entertainer hatten bei der Verleihung ein Double von Ryan Gosling eingeschleust, das sich als der echte Hollywoodstar ausgab und eine Auszeichnung in Empfang nahm – laut Jury "gleichermaßen packendes Unterhaltungsfernsehen im gewohnten Stil der Sendung wie auch bitterböse Medienkritik", für die auch Gosling-Darsteller Ludwig Lehner, ein Koch aus Bayern, geehrt wird.
Vergeben werden die Grimme-Preise am Freitag, den 13. April; 3sat überträgt die Veranstaltung zeitversetzt ab 22.25 Uhr aus dem Theater in Marl.
Quelle: teleschau – der Mediendienst