"Die Akte Otto Warmbier": Warum musste er sterben?
Weil er ein Propagandaplakat von einer Hotelwand entfernt haben soll, wurde der Student Otto Warmbier in Nordkorea zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt. Wenige Tage nach seiner Rückholung in die USA starb er. Die ARD-Doku eröffnet neue Lesarten zu dem tragischen Fall.
Am Ende eines prägnanten, aber ernüchternden Recherchefilms folgt die Kamera Cindy und Fred Warmbier zur Pforte des nordkoreanischen Konsulats in Berlin. Sie seien die "Eltern von Otto", sagt der Vater in die Gegensprechanlage, sie möchten den Botschafter sprechen. Dass es ein aussichtsloses Anliegen ist, wissen sie selbst. Gut möglich, dass nie ans Tageslicht kommt, was dem US-amerikanischen Musterstudenten Otto Warmbier auf seinem verhängnisvollen Abenteuer-Urlaubstrip nach Pjöngjang nach dem Jahreswechsel 2015/2016 widerfuhr. Sicher scheint allein: An der Enthüllung der Wahrheit über "Die Akte Otto Warmbier" hatten und haben gleich mehrere beteiligte Parteien ein überschaubares Interesse. Der langjährige Asien- und Amerika-Korrespondent Klaus Scherer arbeitet es in einer sehenswerten "Story im Ersten" deutlich heraus.
Scherer traf dazu Zeugen der schwierigen Verhandlungen und Rücküberführung Otto Warmbiers, etwa den Rettungsarzt Mike Flueckiger, der den im Wachkoma liegenden Gefangenen 2017 im Air Jet aus Nordkorea ausflog: Er könne heute über den Fall nur den Kopf schütteln, sagt der erfahrene Mediziner im Film. "Zu viele Lügen." Das bezieht den in den USA erhobenen Foltervorwurf mit ein.
Tatsächlich liegt der Verdacht einer schlimmen Misshandlung allzu nahe: Warmbier, 21 Jahre jung, "sportlich, gesund ernährt, wie soll der mal eben als Hirntoter enden?" – Die Anklage seiner Mutter klingt allzu plausibel. Was also geschah mit dem Studenten, der in einem entwürdigenden Schauprozess zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt wurde, weil er ein Propagandaplakat von einer Hotelwand entfernt haben soll? Woher stammt die Narbe am Fuß, woraus resultieren die verdrehten Schneidezähne? Warum musste er mit nur 22 Jahren sterben, wenige Tage nach seiner Rückholung in die USA? Eine all das erklärende Antwort bleibt auch die ARD-Doku schuldig.
Und doch macht der Beitrag unter anderem deutlich, dass beim Prozess, den die Warmbiers mithilfe regierungsnaher Anwälte und ausgewählter Gutachter 2018 gegen Nordkorea vor dem Washingtoner Bundesgericht anstrengten, wichtige Zeugen nicht vorgeladen wurden. Etwa die Gerichtsmedizinerin Lakshmi Sammarco, die bei der Obduktion keinerlei Beweise für Folter feststellen konnte. Was sie indes für nicht unplausibel hält, ist die Erklärung der nordkoreanischen Kollegen: Möglich, dass Otto Warmbier ein Beruhigungsmittel überdosiert verabreicht wurde, was zu einer Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn geführt haben könnte.
Ähnlich urteilt Flueckiger, der Rettungsarzt. "Ich suchte natürlich nach Folterspuren", sagt er im Interview vor der ARD-Kamera. "Aber nichts, was ich vorfand, ergab dafür Anzeichen. Mein Eindruck war nicht, dass die koreanischen Ärzte Informationen zurückhielten." Der mit dem Fall vertraute US-Diplomat Evans Revere will sogar aus Regierungskreisen erfahren haben: "Fürs Protokoll – es gab keine Folter." Auf Anfrage der Filmemacher verlautbarte dazu aus dem Weißen Haus und aus dem Außenministerium: kein Kommentar.
Bleibt neben der kriminalistischen die politische Lesart der Ereignisse – sie erscheint nicht weniger dubios. Wurde der "Kriegsgefangene" Otto Warmbier auf dem Höhepunkt der "Raketenkrise" zwischen Pjöngjang und Washington zum Spielball und Faustpfand? Vieles spricht laut den ARD-Recherchen dafür. Auch dafür, dass die Eltern in ihrem Leid instrumentalisiert wurden. Beim Trump-freundlichen TV-Sender Fox News durften sie gegen die vermeintliche Tatenlosigkeit der Obama-Regierung wettern und sich auf Veranstaltungen des neuen Präsidenten als Helden feiern lassen.
Doch Mitte Juni 2018 änderte sich Trumps drohender Tonfall gegen seinen Widersacher Kim Jong-un schlagartig. "Ich glaube nicht, dass die oberste Führung davon wusste", nahm Trump den Amtskollegen ohne weitere Begründung in Schutz. "Wissen Sie, das ist ein großes Land mit vielen Menschen. Er sagte mir, er wusste davon nichts, und ich nehme ihn beim Wort."
Mit aller diplomatischer Zurückhaltung und dennoch deutlich ordnet der damalige Warmbier-Unterhändler und UNO-Botschafter Bill Richardson den präsidialen Sinneswandel vor der Kamera Klaus Scherers ein: "Ich würde hoffen, dass der Präsident die Warmbiers nicht benutzt hat", sagt der frühere Gouverneur von New Mexico und fügt eine Kunstpause ein. "Aber die Sätze über seinen 'Kumpel Kim' sind verstörend – und enttäuschend."
Die Story im Ersten: Die Akte Otto Warmbier – Mo. 09.03. – ARD: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH