Free-TV-Premiere in der ARD

"Der junge Karl Marx": Biopic über einen Weltveränderer

von Maximilian Haase

"Der junge Karl Marx" erinnert in einem überraschend vielschichtigen Biopic daran, dass die Befreiung des Menschen aus der Knechtschaft das Wichtigste überhaupt ist. Das Erste zeigt den Film nun als Free-TV-Premiere. Leider zu sehr später Stunde.

ARD
Der junge Karl Marx
Drama • 06.05.2019 • 00:05 Uhr

An ihn traute man sich bislang kaum heran: Während diverse Hitlers oder Churchills in vielfältiger Erscheinung durch Filme stolzierten, war mit Karl Marx eine der bedeutendsten und widersprüchlichsten Persönlichkeiten der Geschichte bislang seltener Leinwandgast. Mögen die Theorien des gebürtigen Trierers von Eisenstein bis Godard die Meisterwerke der Kinogeschichte geprägt haben – über das Leben des "Kapital"-Autors erfuhr man bislang im fiktionalen Bewegtbild wenig.

Das änderte sich erst in den letzten Jahren – insbesondere im Jubiläumsjahr 2018. Doch schon bevor an Marx zum 200. Geburtstag erinnert wurde und Mario Adorf dem alten Marx die filmische Ehre erwies, erzählte Regisseur Raoul Peck 2017 in "Der junge Karl Marx" von den frühen Jahren des deutschen Ökonomie-Genies und Aufklärers, dessen Schriften über das Wesen des Kapitalismus historisch weitreichende Folgen haben sollten. Mit einem herausragenden August Diehl als Marx gelingt ein überraschend theorie- und debattenlastiges Porträt eines von sich selbst überzeugten jungen Mannes, der die Welt revolutionieren wollte. Die ARD zeigt den Film nun als Free-TV-Premiere.

"Die Philosophen haben die Welt nur interpretiert – es kommt aber darauf an, sie zu verändern": Dieses Marxsche Aperçu lässt Peck seinen jungen Protagonisten auf der Straße nach dem Suff in der Kneipe lallen. Neben ihm steht ein nicht minder betrunkener Friedrich Engels (Stefan Konarske), der seinem guten Freund Karl selbstredend zustimmt. "Der junge Karl Marx" – als Figur und Film – lässt keinen Zweifel: Die großen Fragen werden lauthals, pointenreich und offensiv thematisiert; für Kenner der Marx/Engels-Werke zudem gespickt mit anspielungsreichen Zitaten, die in beinahe jeder Szene die grundlegenden Theorien der beiden Philosophen und Ökonomen aufblitzen lassen.

Mit sanften Erkundungen von Psyche und Beziehungen hält sich das diskursreiche Biopic kaum auf. Einerseits, weil dieser Marx sogleich derart eloquent und süffisant daherkommt, wie es seine bisweilen amüsant-ironischen Veröffentlichungen versprechen und wie es nur einer wie der wunderbare August Diehl zu spielen imstande ist. Anderseits natürlich, weil auf dem Weg zur Emanzipation von den untragbaren Verhältnissen keine Zeit verloren gehen darf. Schließlich befinden wir uns im Jahr 1844, inmitten der beginnenden Industriellen Revolution, die den Menschen aus seinen traditionellen Zusammenhängen herausreißt und als geknechteten Lohnarbeiter unter brutaler Kapitalisten-Ägide wieder ausspuckt.

Es wird viel gestritten

Die Arbeiterinnen und Arbeiter, das zeigt der Film in notwendiger Verkürzung eindrücklich, schuften in den Fabriken und vegetieren im Elend, während die Kapitalisten durch diese Ausbeutung ihr Kapital vermehren. Diese offensichtliche Ungerechtigkeit geht dem jungen Karl Marx, der als Sohn eines konvertierten Juden ebenfalls in ärmlichen Verhältnissen lebt, gehörig gegen den Strich. Als junger Journalist schreibt er gegen die Verhältnisse und die Zensur an.

Da ist der Weltbürger Marx bereits mit seiner Frau Jenny (Vicky Krieps) und den Kindern im Exil in Paris angekommen und gilt als Berühmtheit in intellektuellen Kreisen. Mit dem Industriellen-Sohn Engels, dessen Widerstand gegen das Kapitalisten-Elternhaus in England etwas schematisch daherkommt, freundet er sich an und lernt dessen Studien zum englischen Proletariat schätzen. Entscheidend ist, dass das Biopic hier nicht den Fehler begeht, die entscheidenden theoretischen Fragen als Nebenher-Geplätscher eines wilden Aufmüpfigen zu behandeln.

Zwar wird viel gesoffen und geraucht, noch viel mehr aber gestritten und debattiert. Das ist – im Gegensatz zur biederen Historienfilm-Kostüm-Ästhetik – keine Staffage: Die Streits mit den Junghegelianern werden inhaltlich ebenso ausgeführt wie die befruchtenden Gespräche mit dem Anarchisten Proudhon oder die Betrachtungen von Wert, Ware und Arbeiterklasse. Denn Letztere, so Marx' und Engels' Ziel, soll durch die kommunistische Revolution aus der Unmündigkeit befreit werden. Gemeinsam mit Jenny verfassen sie Schriften ("Das Kommunistische Manifest"), halten Reden, agitieren die Arbeiter und hoffen auf die 1848er-Revolution.

Die beeindruckende Präsenz eines klugen Mannes, der – nicht unarrogant – schon mit Mitte 20 das Scheitern der bürgerlichen Gesellschaft prophezeien wollte, trifft der "Der junge Karl Marx" überraschend vielschichtig auf den Punkt. Mit dem Wissen um das, was da noch kommen sollte – "Das Kapital", die Sowjetunion, Stalin und der unterdrückerische Staatssozialismus ebenso wie Kolonialismus, Großkapital und Globalisierung – birgt der Film für den Zuschauer eine ebenso bedrückende Aktualität wie die Schriften seiner Hauptfigur.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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